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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Zweiter Handwerksbursche. Vergißmeinnicht! Freund-
schaft! Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein Loch in
die Natur machen? Bruder! ich will ein Loch in deine
Natur machen, ich will dir alle Flöh' am Leib todt schlagen.
Bruder, ich bin auch ein Kerl, du weißt --
Erster Handwerksbursche. Meine Seele, meine un-
sterbliche Seele stinket nach Branntewein! Sie stinket, und
ich weiß nicht warum. Warum ist die Welt! Selbst das
Geld geht in Verwesung über! Der Teufel soll den lieben
Herrgott holen! Bruder, ich muß ein Regenfaß voll greinen!
Zweiter Handwerksbursche. Vergißmeinnicht! Warum
ist die Welt so schön! -- Ich wollt', unsere Nasen wären
zwei Bouteillen, und wir könnten sie uns einander in den
Hals gießen. Die ganze Welt ist rosenroth! Branntwein,
das ist ein Leben.
Erster Handwerksbursche. Meine Seele stinket, oh!
ich lieg mir selbst im Weg' und muß über mich springen!
Das ist traurig!

(Wozzeck stellt sich an's Fenster, blickt hinein. Marie und der
Tambour-Major tanzen vorbei, ohne ihn zu bemerken.)
Wozzeck. Er! Sie! Teufel!
Marie (im Vorbeitanzen). Immer zu! Immer zu!
Wozzeck. Immer zu -- immer zu! (Sinkt auf die
Bank vor dem Hause)
Immer zu! (Schlägt die Hände in einander.)
Dreht Euch, wälzt Euch! Warum löscht Gott nicht die Sonne
aus! Alles wälzt sich in Unzucht über einander! Mann und
Weib und Mensch und Vieh! Sie thun's am hellen Tag,
sie thun's schier Einem auf den Händen, wie die Mücken.
Weib! Weib! Immer zu. (Fährt heftig auf.) Wie er an ihr
Zweiter Handwerksburſche. Vergißmeinnicht! Freund-
ſchaft! Bruder, ſoll ich dir aus Freundſchaft ein Loch in
die Natur machen? Bruder! ich will ein Loch in deine
Natur machen, ich will dir alle Flöh' am Leib todt ſchlagen.
Bruder, ich bin auch ein Kerl, du weißt —
Erſter Handwerksburſche. Meine Seele, meine un-
ſterbliche Seele ſtinket nach Branntewein! Sie ſtinket, und
ich weiß nicht warum. Warum iſt die Welt! Selbſt das
Geld geht in Verweſung über! Der Teufel ſoll den lieben
Herrgott holen! Bruder, ich muß ein Regenfaß voll greinen!
Zweiter Handwerksburſche. Vergißmeinnicht! Warum
iſt die Welt ſo ſchön! — Ich wollt', unſere Naſen wären
zwei Bouteillen, und wir könnten ſie uns einander in den
Hals gießen. Die ganze Welt iſt roſenroth! Branntwein,
das iſt ein Leben.
Erſter Handwerksburſche. Meine Seele ſtinket, oh!
ich lieg mir ſelbſt im Weg' und muß über mich ſpringen!
Das iſt traurig!

(Wozzeck ſtellt ſich an's Fenſter, blickt hinein. Marie und der
Tambour-Major tanzen vorbei, ohne ihn zu bemerken.)
Wozzeck. Er! Sie! Teufel!
Marie (im Vorbeitanzen). Immer zu! Immer zu!
Wozzeck. Immer zu — immer zu! (Sinkt auf die
Bank vor dem Hauſe)
Immer zu! (Schlägt die Hände in einander.)
Dreht Euch, wälzt Euch! Warum löſcht Gott nicht die Sonne
aus! Alles wälzt ſich in Unzucht über einander! Mann und
Weib und Menſch und Vieh! Sie thun's am hellen Tag,
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[187/0383] Zweiter Handwerksburſche. Vergißmeinnicht! Freund- ſchaft! Bruder, ſoll ich dir aus Freundſchaft ein Loch in die Natur machen? Bruder! ich will ein Loch in deine Natur machen, ich will dir alle Flöh' am Leib todt ſchlagen. Bruder, ich bin auch ein Kerl, du weißt — Erſter Handwerksburſche. Meine Seele, meine un- ſterbliche Seele ſtinket nach Branntewein! Sie ſtinket, und ich weiß nicht warum. Warum iſt die Welt! Selbſt das Geld geht in Verweſung über! Der Teufel ſoll den lieben Herrgott holen! Bruder, ich muß ein Regenfaß voll greinen! Zweiter Handwerksburſche. Vergißmeinnicht! Warum iſt die Welt ſo ſchön! — Ich wollt', unſere Naſen wären zwei Bouteillen, und wir könnten ſie uns einander in den Hals gießen. Die ganze Welt iſt roſenroth! Branntwein, das iſt ein Leben. Erſter Handwerksburſche. Meine Seele ſtinket, oh! ich lieg mir ſelbſt im Weg' und muß über mich ſpringen! Das iſt traurig! (Wozzeck ſtellt ſich an's Fenſter, blickt hinein. Marie und der Tambour-Major tanzen vorbei, ohne ihn zu bemerken.) Wozzeck. Er! Sie! Teufel! Marie (im Vorbeitanzen). Immer zu! Immer zu! Wozzeck. Immer zu — immer zu! (Sinkt auf die Bank vor dem Hauſe) Immer zu! (Schlägt die Hände in einander.) Dreht Euch, wälzt Euch! Warum löſcht Gott nicht die Sonne aus! Alles wälzt ſich in Unzucht über einander! Mann und Weib und Menſch und Vieh! Sie thun's am hellen Tag, ſie thun's ſchier Einem auf den Händen, wie die Mücken. Weib! Weib! Immer zu. (Fährt heftig auf.) Wie er an ihr

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/383>, abgerufen am 29.03.2024.