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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung
des Spinozismus: die Erkenntniß soll eine intellectuelle Er-
kenntniß sein. Hier ist die große Kluft zwischen Malebranche
und Spinoza. Beide knüpfen an Cartesius an, beide setzen
das Fundament des Cartesianismus voraus, aber Malebranche
wird seinem Lehrer untreu, er wendet sich zur Anschauung,
er sieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raisonne-
ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt
treu, die Demonstration ist ihm das einzige Band zwischen
dem Absoluten und der Vernunft, ja er ist kühner als
Cartesius, er dehnt das Recht der Demonstration weiter
aus, der demonstrirende Verstand ist Alles und ist Allem
gewachsen! ...



Der Spinozismus ist der Enthusiasmus
der Mathematik
. In ihm vollendet und schließt sich
die cartesianische Methode der Demonstration, erst in ihm
gelangt sie zu ihrer völligen Consequenz. Erst unter Vor-
aussetzung des Cartesianismus erhält der Spinozismus sein
wissenschaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Cartesius
ergänzt werden muß, ersieht man am Besten in der Wissen-
schaftslehre des Spinoza.



Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe sich wohl
am Leichtesten an den Satz knüpfen: Wenn Gott ist, weil
wir ihn denken, so muß Denken und Sein eins sein. Das
ist sein Grundstein
.



erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung
des Spinozismus: die Erkenntniß ſoll eine intellectuelle Er-
kenntniß ſein. Hier iſt die große Kluft zwiſchen Malebranche
und Spinoza. Beide knüpfen an Carteſius an, beide ſetzen
das Fundament des Carteſianismus voraus, aber Malebranche
wird ſeinem Lehrer untreu, er wendet ſich zur Anſchauung,
er ſieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raiſonne-
ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt
treu, die Demonſtration iſt ihm das einzige Band zwiſchen
dem Abſoluten und der Vernunft, ja er iſt kühner als
Carteſius, er dehnt das Recht der Demonſtration weiter
aus, der demonſtrirende Verſtand iſt Alles und iſt Allem
gewachſen! ...



Der Spinozismus iſt der Enthuſiasmus
der Mathematik
. In ihm vollendet und ſchließt ſich
die carteſianiſche Methode der Demonſtration, erſt in ihm
gelangt ſie zu ihrer völligen Conſequenz. Erſt unter Vor-
ausſetzung des Carteſianismus erhält der Spinozismus ſein
wiſſenſchaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Carteſius
ergänzt werden muß, erſieht man am Beſten in der Wiſſen-
ſchaftslehre des Spinoza.



Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe ſich wohl
am Leichteſten an den Satz knüpfen: Wenn Gott iſt, weil
wir ihn denken, ſo muß Denken und Sein eins ſein. Das
iſt ſein Grundſtein
.



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[310/0506] erkannt werden. Aber jetzt kommt die eigenthümliche Wendung des Spinozismus: die Erkenntniß ſoll eine intellectuelle Er- kenntniß ſein. Hier iſt die große Kluft zwiſchen Malebranche und Spinoza. Beide knüpfen an Carteſius an, beide ſetzen das Fundament des Carteſianismus voraus, aber Malebranche wird ſeinem Lehrer untreu, er wendet ſich zur Anſchauung, er ſieht alle Dinge in Gott, aber unmittelbar, ohne Raiſonne- ment, nicht als Schlußfolgerung. Spinoza hingegen bleibt treu, die Demonſtration iſt ihm das einzige Band zwiſchen dem Abſoluten und der Vernunft, ja er iſt kühner als Carteſius, er dehnt das Recht der Demonſtration weiter aus, der demonſtrirende Verſtand iſt Alles und iſt Allem gewachſen! ... Der Spinozismus iſt der Enthuſiasmus der Mathematik. In ihm vollendet und ſchließt ſich die carteſianiſche Methode der Demonſtration, erſt in ihm gelangt ſie zu ihrer völligen Conſequenz. Erſt unter Vor- ausſetzung des Carteſianismus erhält der Spinozismus ſein wiſſenſchaftliches Fundament. Wie Spinoza durch Carteſius ergänzt werden muß, erſieht man am Beſten in der Wiſſen- ſchaftslehre des Spinoza. Die ganze Identitätslehre des Spinoza ließe ſich wohl am Leichteſten an den Satz knüpfen: Wenn Gott iſt, weil wir ihn denken, ſo muß Denken und Sein eins ſein. Das iſt ſein Grundſtein.

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/506>, abgerufen am 19.04.2024.