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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Aus der Monographie:
Das System des Cartesius.

Die Philosophie des Cartesius ist aus dem Neide ge-
boren worden. Der Philosoph hat den Mathematiker um
seine Sicherheit beneidet.



Wie Archimedes einen festen Punkt, so begehrt Cartesius
das erste Gewisse. Er findet es in dem Satze: Cogito, ergo
sum.
In welcher (formalen) Eigenschaft sich aber Cartesius
diesen seinen ersten Grundsatz der gewissen Erkenntniß denkt,
ist ungewiß, er selbst scheint sich in dieser Beziehung nicht
klar gewesen zu sein. Allenfalls ließe sich noch ein hypo-
thetischer Vernunftschluß daraus bilden: Wenn etwas denkt,
so ist es. Ich denke. Also bin ich. -- Zu den unmittel-
baren Wahrheiten gehört der Satz gewiß nicht, obgleich dies
vielfach behauptet worden ist, so noch neuerdings von Hegel
in der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Denn
der Grundcharakter aller unmittelbaren Wahrheit ist das
Poniren, das Affirmiren schlechthin, durch das secundäre
Geschäft des Denkens gar nicht vermittelt, wesentlich nicht
einmal berührt. Ich denke, der Satz des Cartesius gehört
zu der Gattung der mathematischen Grundsätze, welche nichts

Aus der Monographie:
Das Syſtem des Carteſius.

Die Philoſophie des Carteſius iſt aus dem Neide ge-
boren worden. Der Philoſoph hat den Mathematiker um
ſeine Sicherheit beneidet.



Wie Archimedes einen feſten Punkt, ſo begehrt Carteſius
das erſte Gewiſſe. Er findet es in dem Satze: Cogito, ergo
sum.
In welcher (formalen) Eigenſchaft ſich aber Carteſius
dieſen ſeinen erſten Grundſatz der gewiſſen Erkenntniß denkt,
iſt ungewiß, er ſelbſt ſcheint ſich in dieſer Beziehung nicht
klar geweſen zu ſein. Allenfalls ließe ſich noch ein hypo-
thetiſcher Vernunftſchluß daraus bilden: Wenn etwas denkt,
ſo iſt es. Ich denke. Alſo bin ich. — Zu den unmittel-
baren Wahrheiten gehört der Satz gewiß nicht, obgleich dies
vielfach behauptet worden iſt, ſo noch neuerdings von Hegel
in der Encyklopädie der philoſophiſchen Wiſſenſchaften. Denn
der Grundcharakter aller unmittelbaren Wahrheit iſt das
Poniren, das Affirmiren ſchlechthin, durch das ſecundäre
Geſchäft des Denkens gar nicht vermittelt, weſentlich nicht
einmal berührt. Ich denke, der Satz des Carteſius gehört
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[[311]/0507] Aus der Monographie: Das Syſtem des Carteſius. Die Philoſophie des Carteſius iſt aus dem Neide ge- boren worden. Der Philoſoph hat den Mathematiker um ſeine Sicherheit beneidet. Wie Archimedes einen feſten Punkt, ſo begehrt Carteſius das erſte Gewiſſe. Er findet es in dem Satze: Cogito, ergo sum. In welcher (formalen) Eigenſchaft ſich aber Carteſius dieſen ſeinen erſten Grundſatz der gewiſſen Erkenntniß denkt, iſt ungewiß, er ſelbſt ſcheint ſich in dieſer Beziehung nicht klar geweſen zu ſein. Allenfalls ließe ſich noch ein hypo- thetiſcher Vernunftſchluß daraus bilden: Wenn etwas denkt, ſo iſt es. Ich denke. Alſo bin ich. — Zu den unmittel- baren Wahrheiten gehört der Satz gewiß nicht, obgleich dies vielfach behauptet worden iſt, ſo noch neuerdings von Hegel in der Encyklopädie der philoſophiſchen Wiſſenſchaften. Denn der Grundcharakter aller unmittelbaren Wahrheit iſt das Poniren, das Affirmiren ſchlechthin, durch das ſecundäre Geſchäft des Denkens gar nicht vermittelt, weſentlich nicht einmal berührt. Ich denke, der Satz des Carteſius gehört zu der Gattung der mathematiſchen Grundſätze, welche nichts

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. [311]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/507>, abgerufen am 29.03.2024.