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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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für seinen sogenannten freien Willen oder seine freie Wahl
übrig bleibt. Am belehrendsten oder wichtigsten aber für
eine solche Forschung müssen jene Fälle erscheinen, wo ein
genialer Mensch nicht vereinzelt oder unvermittelt mit seiner
Umgebung dasteht, sondern wo dieselben Ursachen, welche ihm
selbst das Leben gaben, gleichzeitig und in seiner nächsten
Nähe eine Reihe ähnlicher oder verwandter Erscheinungen
hervorgerufen oder zur Folge gehabt haben."

Als der Verfasser von "Kraft und Stoff" diese Be-
merkung niederschrieb, dachte er vielleicht kaum daran, daß
ein solcher Fall, und zwar der instruktivsten Art, gerade in
seiner Familie vorliege. Wenn es wahr ist, daß, wie die
Physiologen behaupten und die tägliche Erfahrung bestätigt,
die Eigenschaften der Eltern auf die Kinder übergehen, und
daß eine glückliche Mischung der Charakter- und Geistes-
Eigenschaften der beiden Erzeuger eine der vornehmsten Be-
dingungen für die Tüchtigkeit des Erzeugten bildet, so muß
schon bei Georg's Eltern nach solchen Bedingungen oder nach
hervorragenden Geistes-Eigenschaften gesucht werden. Daß uns
in der That die oben bezeichnete Regel auch hier nicht im
Stiche läßt, haben wir in der Einleitung nachzuweisen ge-
sucht. Aber dies glückliche Erbe ist nicht blos dem Erst-
geborenen zu Theil geworden. Fast alle Geschwister Georg
Büchners sind, wenn auch nicht in gleichem Maaße, so doch
mehr oder weniger von jenem Strahle des Geistes beschienen
worden, welcher dem Namen ihres erstgeborenen Bruders
einen so gerechten Anspruch auf Erhaltung im Gedächtniß
der nachgebornen Geschlechter erworben hat. Es sind dies
die drei jüngsten Geschwister Georgs. Die beiden ihm zu-
nächst folgenden, Mathilde (geb. 20. April 1815) und

für ſeinen ſogenannten freien Willen oder ſeine freie Wahl
übrig bleibt. Am belehrendſten oder wichtigſten aber für
eine ſolche Forſchung müſſen jene Fälle erſcheinen, wo ein
genialer Menſch nicht vereinzelt oder unvermittelt mit ſeiner
Umgebung daſteht, ſondern wo dieſelben Urſachen, welche ihm
ſelbſt das Leben gaben, gleichzeitig und in ſeiner nächſten
Nähe eine Reihe ähnlicher oder verwandter Erſcheinungen
hervorgerufen oder zur Folge gehabt haben."

Als der Verfaſſer von "Kraft und Stoff" dieſe Be-
merkung niederſchrieb, dachte er vielleicht kaum daran, daß
ein ſolcher Fall, und zwar der inſtruktivſten Art, gerade in
ſeiner Familie vorliege. Wenn es wahr iſt, daß, wie die
Phyſiologen behaupten und die tägliche Erfahrung beſtätigt,
die Eigenſchaften der Eltern auf die Kinder übergehen, und
daß eine glückliche Miſchung der Charakter- und Geiſtes-
Eigenſchaften der beiden Erzeuger eine der vornehmſten Be-
dingungen für die Tüchtigkeit des Erzeugten bildet, ſo muß
ſchon bei Georg's Eltern nach ſolchen Bedingungen oder nach
hervorragenden Geiſtes-Eigenſchaften geſucht werden. Daß uns
in der That die oben bezeichnete Regel auch hier nicht im
Stiche läßt, haben wir in der Einleitung nachzuweiſen ge-
ſucht. Aber dies glückliche Erbe iſt nicht blos dem Erſt-
geborenen zu Theil geworden. Faſt alle Geſchwiſter Georg
Büchners ſind, wenn auch nicht in gleichem Maaße, ſo doch
mehr oder weniger von jenem Strahle des Geiſtes beſchienen
worden, welcher dem Namen ihres erſtgeborenen Bruders
einen ſo gerechten Anſpruch auf Erhaltung im Gedächtniß
der nachgebornen Geſchlechter erworben hat. Es ſind dies
die drei jüngſten Geſchwiſter Georgs. Die beiden ihm zu-
nächſt folgenden, Mathilde (geb. 20. April 1815) und

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[457/0653] für ſeinen ſogenannten freien Willen oder ſeine freie Wahl übrig bleibt. Am belehrendſten oder wichtigſten aber für eine ſolche Forſchung müſſen jene Fälle erſcheinen, wo ein genialer Menſch nicht vereinzelt oder unvermittelt mit ſeiner Umgebung daſteht, ſondern wo dieſelben Urſachen, welche ihm ſelbſt das Leben gaben, gleichzeitig und in ſeiner nächſten Nähe eine Reihe ähnlicher oder verwandter Erſcheinungen hervorgerufen oder zur Folge gehabt haben." Als der Verfaſſer von "Kraft und Stoff" dieſe Be- merkung niederſchrieb, dachte er vielleicht kaum daran, daß ein ſolcher Fall, und zwar der inſtruktivſten Art, gerade in ſeiner Familie vorliege. Wenn es wahr iſt, daß, wie die Phyſiologen behaupten und die tägliche Erfahrung beſtätigt, die Eigenſchaften der Eltern auf die Kinder übergehen, und daß eine glückliche Miſchung der Charakter- und Geiſtes- Eigenſchaften der beiden Erzeuger eine der vornehmſten Be- dingungen für die Tüchtigkeit des Erzeugten bildet, ſo muß ſchon bei Georg's Eltern nach ſolchen Bedingungen oder nach hervorragenden Geiſtes-Eigenſchaften geſucht werden. Daß uns in der That die oben bezeichnete Regel auch hier nicht im Stiche läßt, haben wir in der Einleitung nachzuweiſen ge- ſucht. Aber dies glückliche Erbe iſt nicht blos dem Erſt- geborenen zu Theil geworden. Faſt alle Geſchwiſter Georg Büchners ſind, wenn auch nicht in gleichem Maaße, ſo doch mehr oder weniger von jenem Strahle des Geiſtes beſchienen worden, welcher dem Namen ihres erſtgeborenen Bruders einen ſo gerechten Anſpruch auf Erhaltung im Gedächtniß der nachgebornen Geſchlechter erworben hat. Es ſind dies die drei jüngſten Geſchwiſter Georgs. Die beiden ihm zu- nächſt folgenden, Mathilde (geb. 20. April 1815) und

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/653>, abgerufen am 24.04.2024.