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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Erzwingung des Rechts.

Die Rechtsanwendung, sagten wir, d. h. die rechtsverbind-
liche Feststellung, daß die im Rechtssatz abstrakt umschriebene
Pflicht in concreto gegeben ist, hat nur Sinn als Vorbereitung für
Erzwingung der so festgestellten Pflicht1.

2. Der mittelbare Zwang durch Strafe.

Wenn eine Pflicht nicht erzwungen werden kann, nicht nur
zufällig, weil sie ihrer Art nach dem Zwange nicht zugänglich ist,
sondern weil sie nach dem Willen des Gesetzes grundsätzlich
nicht erzwungen werden soll, ist es keine Rechtspflicht im eigent-
lichen Sinne; sie ist vielleicht rechtserheblich, d. h. erheblich für die
Entstehung einer anderen Pflicht, aber sie wird selbst nicht recht-
lich gefordert. Das Recht könnte die Erfüllung nicht fordern, ohne
ihr den Zwang zu leihen; und es hat, umgekehrt, keinen Sinn, die
Erfüllung von Rechts wegen zu fordern, wo das Recht sie nicht
erzwingen kann oder will, wo es also doch auf die (gewissenhafte)
Entschließung des Verpflichteten abstellt (S. 280). Viele Pflichten,
namentlich rechtsgeschäftliche Pflichten zu einem positiven Ver-
halten, wie persönliche Dienste, sind eben dieser Art: sie können
nach unserm heutigen positiven Recht nicht erzwungen werden;
aber wenn sie nicht erfüllt werden (oder genauer: wenn die so ver-
einbarte Leistung nicht geleistet wird), geben sie einer anderen,
erzwingbaren Pflicht das Leben, der Pflicht, Schadenersatz zu
leisten2.

die Anwendbarkeit des Gesetzes festgestellt, nicht immer durch besonderen
Anwendungsakt. Aber die Erzwingung setzt jene Feststellung immer lo-
gisch voraus. Wenn z. B. das Gesetz allen Stimmberechtigten eine Kopf-
steuer von 5 Fr. auferlegt, bleibt zunächst jedem Stimmberechtigten über-
lassen, die Steuer zu bezahlen, ohne daß die Steuerpflicht behördlich fest-
gestellt würde. Zahlt er sie aber nicht, so muß doch nachträglich fest-
gestellt werden, wer stimmberechtigt und steuerpflichtig (in dieser Ge-
meinde und zu dieser Zeit) gewesen sei, behufs Vollstreckung.
1 Auch die Feststellungsklage hat keinen anderen Sinn, als der spä-
teren Verwirklichung des (hier privaten) Rechts zu dienen. Nur platonischer
Genugtuung oder theoretischer Befriedigung wegen wird das Recht von
staatlichen Behörden nicht angewendet.
2 Schoßmann, Der Vertrag (1876) 311.
Die Erzwingung des Rechts.

Die Rechtsanwendung, sagten wir, d. h. die rechtsverbind-
liche Feststellung, daß die im Rechtssatz abstrakt umschriebene
Pflicht in concreto gegeben ist, hat nur Sinn als Vorbereitung für
Erzwingung der so festgestellten Pflicht1.

2. Der mittelbare Zwang durch Strafe.

Wenn eine Pflicht nicht erzwungen werden kann, nicht nur
zufällig, weil sie ihrer Art nach dem Zwange nicht zugänglich ist,
sondern weil sie nach dem Willen des Gesetzes grundsätzlich
nicht erzwungen werden soll, ist es keine Rechtspflicht im eigent-
lichen Sinne; sie ist vielleicht rechtserheblich, d. h. erheblich für die
Entstehung einer anderen Pflicht, aber sie wird selbst nicht recht-
lich gefordert. Das Recht könnte die Erfüllung nicht fordern, ohne
ihr den Zwang zu leihen; und es hat, umgekehrt, keinen Sinn, die
Erfüllung von Rechts wegen zu fordern, wo das Recht sie nicht
erzwingen kann oder will, wo es also doch auf die (gewissenhafte)
Entschließung des Verpflichteten abstellt (S. 280). Viele Pflichten,
namentlich rechtsgeschäftliche Pflichten zu einem positiven Ver-
halten, wie persönliche Dienste, sind eben dieser Art: sie können
nach unserm heutigen positiven Recht nicht erzwungen werden;
aber wenn sie nicht erfüllt werden (oder genauer: wenn die so ver-
einbarte Leistung nicht geleistet wird), geben sie einer anderen,
erzwingbaren Pflicht das Leben, der Pflicht, Schadenersatz zu
leisten2.

die Anwendbarkeit des Gesetzes festgestellt, nicht immer durch besonderen
Anwendungsakt. Aber die Erzwingung setzt jene Feststellung immer lo-
gisch voraus. Wenn z. B. das Gesetz allen Stimmberechtigten eine Kopf-
steuer von 5 Fr. auferlegt, bleibt zunächst jedem Stimmberechtigten über-
lassen, die Steuer zu bezahlen, ohne daß die Steuerpflicht behördlich fest-
gestellt würde. Zahlt er sie aber nicht, so muß doch nachträglich fest-
gestellt werden, wer stimmberechtigt und steuerpflichtig (in dieser Ge-
meinde und zu dieser Zeit) gewesen sei, behufs Vollstreckung.
1 Auch die Feststellungsklage hat keinen anderen Sinn, als der spä-
teren Verwirklichung des (hier privaten) Rechts zu dienen. Nur platonischer
Genugtuung oder theoretischer Befriedigung wegen wird das Recht von
staatlichen Behörden nicht angewendet.
2 Schoßmann, Der Vertrag (1876) 311.
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[283/0298] Die Erzwingung des Rechts. Die Rechtsanwendung, sagten wir, d. h. die rechtsverbind- liche Feststellung, daß die im Rechtssatz abstrakt umschriebene Pflicht in concreto gegeben ist, hat nur Sinn als Vorbereitung für Erzwingung der so festgestellten Pflicht 1. 2. Der mittelbare Zwang durch Strafe. Wenn eine Pflicht nicht erzwungen werden kann, nicht nur zufällig, weil sie ihrer Art nach dem Zwange nicht zugänglich ist, sondern weil sie nach dem Willen des Gesetzes grundsätzlich nicht erzwungen werden soll, ist es keine Rechtspflicht im eigent- lichen Sinne; sie ist vielleicht rechtserheblich, d. h. erheblich für die Entstehung einer anderen Pflicht, aber sie wird selbst nicht recht- lich gefordert. Das Recht könnte die Erfüllung nicht fordern, ohne ihr den Zwang zu leihen; und es hat, umgekehrt, keinen Sinn, die Erfüllung von Rechts wegen zu fordern, wo das Recht sie nicht erzwingen kann oder will, wo es also doch auf die (gewissenhafte) Entschließung des Verpflichteten abstellt (S. 280). Viele Pflichten, namentlich rechtsgeschäftliche Pflichten zu einem positiven Ver- halten, wie persönliche Dienste, sind eben dieser Art: sie können nach unserm heutigen positiven Recht nicht erzwungen werden; aber wenn sie nicht erfüllt werden (oder genauer: wenn die so ver- einbarte Leistung nicht geleistet wird), geben sie einer anderen, erzwingbaren Pflicht das Leben, der Pflicht, Schadenersatz zu leisten 2. 1 1 Auch die Feststellungsklage hat keinen anderen Sinn, als der spä- teren Verwirklichung des (hier privaten) Rechts zu dienen. Nur platonischer Genugtuung oder theoretischer Befriedigung wegen wird das Recht von staatlichen Behörden nicht angewendet. 2 Schoßmann, Der Vertrag (1876) 311. 1 die Anwendbarkeit des Gesetzes festgestellt, nicht immer durch besonderen Anwendungsakt. Aber die Erzwingung setzt jene Feststellung immer lo- gisch voraus. Wenn z. B. das Gesetz allen Stimmberechtigten eine Kopf- steuer von 5 Fr. auferlegt, bleibt zunächst jedem Stimmberechtigten über- lassen, die Steuer zu bezahlen, ohne daß die Steuerpflicht behördlich fest- gestellt würde. Zahlt er sie aber nicht, so muß doch nachträglich fest- gestellt werden, wer stimmberechtigt und steuerpflichtig (in dieser Ge- meinde und zu dieser Zeit) gewesen sei, behufs Vollstreckung.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/298>, abgerufen am 28.03.2024.