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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
die Eigenart des Zivilprozesses als eines Prozesses über privat-
rechtliche Streitsachen1. Und diese Grundsätze haben in der Tat
keinen Platz bei der Entscheidung von Anständen des öffentlichen
Rechts, nämlich bei solchen, die vollständig durch die zwingenden
Normen des öffentlichen Rechtes beherrscht sind2.

2. Kapitel.
Die Rechtskraft in der Anwendung des privaten
und des öffentlichen Rechts.

Wir sagten (oben S. 48), daß im privatrechtlichen Verkehr
der Freiheit des Willens sich zu binden, die Gebundenheit des
frei Gewollten entspreche. In der Tat: das private Rechtsgeschäft,
das durch den freien Willen einer Privatperson zustande gekommen
ist, kann zwar mit diesem Willen, d. h. mit der Zustimmung der
Berechtigten, stets aufgehoben, aber es kann nicht ohne Rück-
sicht auf diesen Willen wieder aufgehoben werden. Die Frage,
wann Privatgeschäfte nachträglich unwirksam erklärt werden
können, steht unter dem maßgebenden Gesichtspunkt der Freiheit
der Entschließung der Begründer des Verhältnisses; was an einem
Tag verbindlich geworden ist, weil es die vertragschließenden Teile
subjektiv so wollten, kann nicht am andern Tage wieder aufgelöst
werden, weil das Gewollte nicht billig ist. Die Frage dagegen,
wann eine durch die Anordnung einer Behörde geschaffene Rechts-
lage wieder abgeändert werden könne, steht unter dem Gesichts-
punkt richtiger sachlicher Anwendung des Gesetzes; durch die
sog. rechtsgeschäftliche Handlung der Behörde ist nicht ein sub-
jektives (inhaltlich zufälliges) Rechtsverhältnis entstanden, sondern
ein konkreter Anwendungsfall des Gesetzes. Was die Privat-
personen in ihrer willkürlichen Entschließung gewollt haben,

1 Wach, Verträge (1879) 39; vgl. M. Rümelin, Rechtspolitik und
Doktrin in der bürgerlichen Rechtspflege, Kanzlerrede (1926) 31.. Vgl. auch
unten S. 80 f.
2 Weshalb auch, wie Tezner, Archiv für öffentliches Recht 9 372,
richtig bemerkt, die im Zivilprozeß nach der Verhandlungsmaxime ent-
schiedene Eigentumsfrage als Präjudiz für die Entscheidung des Straf-
richters nicht maßgebend sein kann.

Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
die Eigenart des Zivilprozesses als eines Prozesses über privat-
rechtliche Streitsachen1. Und diese Grundsätze haben in der Tat
keinen Platz bei der Entscheidung von Anständen des öffentlichen
Rechts, nämlich bei solchen, die vollständig durch die zwingenden
Normen des öffentlichen Rechtes beherrscht sind2.

2. Kapitel.
Die Rechtskraft in der Anwendung des privaten
und des öffentlichen Rechts.

Wir sagten (oben S. 48), daß im privatrechtlichen Verkehr
der Freiheit des Willens sich zu binden, die Gebundenheit des
frei Gewollten entspreche. In der Tat: das private Rechtsgeschäft,
das durch den freien Willen einer Privatperson zustande gekommen
ist, kann zwar mit diesem Willen, d. h. mit der Zustimmung der
Berechtigten, stets aufgehoben, aber es kann nicht ohne Rück-
sicht auf diesen Willen wieder aufgehoben werden. Die Frage,
wann Privatgeschäfte nachträglich unwirksam erklärt werden
können, steht unter dem maßgebenden Gesichtspunkt der Freiheit
der Entschließung der Begründer des Verhältnisses; was an einem
Tag verbindlich geworden ist, weil es die vertragschließenden Teile
subjektiv so wollten, kann nicht am andern Tage wieder aufgelöst
werden, weil das Gewollte nicht billig ist. Die Frage dagegen,
wann eine durch die Anordnung einer Behörde geschaffene Rechts-
lage wieder abgeändert werden könne, steht unter dem Gesichts-
punkt richtiger sachlicher Anwendung des Gesetzes; durch die
sog. rechtsgeschäftliche Handlung der Behörde ist nicht ein sub-
jektives (inhaltlich zufälliges) Rechtsverhältnis entstanden, sondern
ein konkreter Anwendungsfall des Gesetzes. Was die Privat-
personen in ihrer willkürlichen Entschließung gewollt haben,

1 Wach, Verträge (1879) 39; vgl. M. Rümelin, Rechtspolitik und
Doktrin in der bürgerlichen Rechtspflege, Kanzlerrede (1926) 31.. Vgl. auch
unten S. 80 f.
2 Weshalb auch, wie Tezner, Archiv für öffentliches Recht 9 372,
richtig bemerkt, die im Zivilprozeß nach der Verhandlungsmaxime ent-
schiedene Eigentumsfrage als Präjudiz für die Entscheidung des Straf-
richters nicht maßgebend sein kann.
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[61/0076] Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht. die Eigenart des Zivilprozesses als eines Prozesses über privat- rechtliche Streitsachen 1. Und diese Grundsätze haben in der Tat keinen Platz bei der Entscheidung von Anständen des öffentlichen Rechts, nämlich bei solchen, die vollständig durch die zwingenden Normen des öffentlichen Rechtes beherrscht sind 2. 2. Kapitel. Die Rechtskraft in der Anwendung des privaten und des öffentlichen Rechts. Wir sagten (oben S. 48), daß im privatrechtlichen Verkehr der Freiheit des Willens sich zu binden, die Gebundenheit des frei Gewollten entspreche. In der Tat: das private Rechtsgeschäft, das durch den freien Willen einer Privatperson zustande gekommen ist, kann zwar mit diesem Willen, d. h. mit der Zustimmung der Berechtigten, stets aufgehoben, aber es kann nicht ohne Rück- sicht auf diesen Willen wieder aufgehoben werden. Die Frage, wann Privatgeschäfte nachträglich unwirksam erklärt werden können, steht unter dem maßgebenden Gesichtspunkt der Freiheit der Entschließung der Begründer des Verhältnisses; was an einem Tag verbindlich geworden ist, weil es die vertragschließenden Teile subjektiv so wollten, kann nicht am andern Tage wieder aufgelöst werden, weil das Gewollte nicht billig ist. Die Frage dagegen, wann eine durch die Anordnung einer Behörde geschaffene Rechts- lage wieder abgeändert werden könne, steht unter dem Gesichts- punkt richtiger sachlicher Anwendung des Gesetzes; durch die sog. rechtsgeschäftliche Handlung der Behörde ist nicht ein sub- jektives (inhaltlich zufälliges) Rechtsverhältnis entstanden, sondern ein konkreter Anwendungsfall des Gesetzes. Was die Privat- personen in ihrer willkürlichen Entschließung gewollt haben, 1 Wach, Verträge (1879) 39; vgl. M. Rümelin, Rechtspolitik und Doktrin in der bürgerlichen Rechtspflege, Kanzlerrede (1926) 31.. Vgl. auch unten S. 80 f. 2 Weshalb auch, wie Tezner, Archiv für öffentliches Recht 9 372, richtig bemerkt, die im Zivilprozeß nach der Verhandlungsmaxime ent- schiedene Eigentumsfrage als Präjudiz für die Entscheidung des Straf- richters nicht maßgebend sein kann.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/76>, abgerufen am 24.04.2024.