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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.
Verhältniß zu
den
Condottieren.
Wie Venedig seine Condottieren hielt, ist oben (S. 22)
angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine besondere
Garantie ihrer Treue suchen wollte, so fand es sie etwa
in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebensosehr er-
schweren als dessen Entdeckung erleichtern mußte. Beim
Anblick venezianischer Armeerollen frägt man sich nur, wie
bei so bunt zusammengesetzten Schaaren eine gemeinsame
Action möglich gewesen? In derjenigen des Krieges von
1495 figuriren 1) 15,526 Pferde in lauter kleinen Posten;
nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo
Borgia 740; dann folgen sechs Anführer mit 700--600,
zehn mit 400, zwölf mit 400--200, etwa vierzehn mit
200--100, neun mit 80, sechs mit 60--50 etc. Es sind
theils alte venezianische Truppenkörper, theils solche unter
venezianischen Stadtadlichen und Landadlichen, die meisten
Anführer aber sind Fürsten und Stadthäupter oder Ver-
wandte von solchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie,
über deren Beischaffung und Führung nichts bemerkt wird,
nebst weitern 3,300 Mann wahrscheinlich besonderer Waf-
fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra-
ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garnisonen
besetzt. Venedig verließ sich nicht gerade auf die Pietät,
wohl aber auf die Einsicht seiner Unterthanen; beim Kriege
Auswärtige
Politik.
der Liga von Cambray (1509) sprach es sie bekanntlich
vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß sie
die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit seiner
milden Herrschaft vergleichen würden; da sie nicht mit Ver-
rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und
also keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten sie mit dem
größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrschaft zurück.

1) Malipiero, l. c. VII, I, p. 349. Andere Verzeichnisse dieser Art
bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990
(vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol.
435--438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s.

1. Abſchnitt.
Verhältniß zu
den
Condottieren.
Wie Venedig ſeine Condottieren hielt, iſt oben (S. 22)
angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine beſondere
Garantie ihrer Treue ſuchen wollte, ſo fand es ſie etwa
in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebenſoſehr er-
ſchweren als deſſen Entdeckung erleichtern mußte. Beim
Anblick venezianiſcher Armeerollen frägt man ſich nur, wie
bei ſo bunt zuſammengeſetzten Schaaren eine gemeinſame
Action möglich geweſen? In derjenigen des Krieges von
1495 figuriren 1) 15,526 Pferde in lauter kleinen Poſten;
nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo
Borgia 740; dann folgen ſechs Anführer mit 700—600,
zehn mit 400, zwölf mit 400—200, etwa vierzehn mit
200—100, neun mit 80, ſechs mit 60—50 ꝛc. Es ſind
theils alte venezianiſche Truppenkörper, theils ſolche unter
venezianiſchen Stadtadlichen und Landadlichen, die meiſten
Anführer aber ſind Fürſten und Stadthäupter oder Ver-
wandte von ſolchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie,
über deren Beiſchaffung und Führung nichts bemerkt wird,
nebſt weitern 3,300 Mann wahrſcheinlich beſonderer Waf-
fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra-
ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garniſonen
beſetzt. Venedig verließ ſich nicht gerade auf die Pietät,
wohl aber auf die Einſicht ſeiner Unterthanen; beim Kriege
Auswärtige
Politik.
der Liga von Cambray (1509) ſprach es ſie bekanntlich
vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß ſie
die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit ſeiner
milden Herrſchaft vergleichen würden; da ſie nicht mit Ver-
rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und
alſo keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten ſie mit dem
größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrſchaft zurück.

1) Malipiero, l. c. VII, I, p. 349. Andere Verzeichniſſe dieſer Art
bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990
(vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol.
435—438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s.
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[68/0078] Wie Venedig ſeine Condottieren hielt, iſt oben (S. 22) angedeutet worden. Wenn es noch irgend eine beſondere Garantie ihrer Treue ſuchen wollte, ſo fand es ſie etwa in ihrer großen Anzahl, welche den Verrath ebenſoſehr er- ſchweren als deſſen Entdeckung erleichtern mußte. Beim Anblick venezianiſcher Armeerollen frägt man ſich nur, wie bei ſo bunt zuſammengeſetzten Schaaren eine gemeinſame Action möglich geweſen? In derjenigen des Krieges von 1495 figuriren 1) 15,526 Pferde in lauter kleinen Poſten; nur der Gonzaga von Mantua hatte davon 1200, Gioffredo Borgia 740; dann folgen ſechs Anführer mit 700—600, zehn mit 400, zwölf mit 400—200, etwa vierzehn mit 200—100, neun mit 80, ſechs mit 60—50 ꝛc. Es ſind theils alte venezianiſche Truppenkörper, theils ſolche unter venezianiſchen Stadtadlichen und Landadlichen, die meiſten Anführer aber ſind Fürſten und Stadthäupter oder Ver- wandte von ſolchen. Dazu kommen 24,000 M. Infanterie, über deren Beiſchaffung und Führung nichts bemerkt wird, nebſt weitern 3,300 Mann wahrſcheinlich beſonderer Waf- fengattungen. Im Frieden waren die Städte der Terra- ferma gar nicht oder mit unglaublich geringen Garniſonen beſetzt. Venedig verließ ſich nicht gerade auf die Pietät, wohl aber auf die Einſicht ſeiner Unterthanen; beim Kriege der Liga von Cambray (1509) ſprach es ſie bekanntlich vom Treueid los, und ließ es darauf ankommen, daß ſie die Aunehmlichkeiten einer feindlichen Occupation mit ſeiner milden Herrſchaft vergleichen würden; da ſie nicht mit Ver- rath von S. Marcus abzufallen nöthig gehabt hatten und alſo keine Strafe zu fürchten brauchten, kehrten ſie mit dem größten Eifer wieder unter die gewohnte Herrſchaft zurück. 1. Abſchnitt. Verhältniß zu den Condottieren. Auswärtige Politik. 1) Malipiero, l. c. VII, I, p. 349. Andere Verzeichniſſe dieſer Art bei Marin Sanudo, vite de' Duchi, Mur. XXII, Col. 990 (vom J. 1426), Col. 1088 (vom J. 1440), bei Corio fol. 435—438 (von 1483), bei Guazzo, Historie, fol. 151, s.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/78>, abgerufen am 29.03.2024.