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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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venezianische Literaturgeschichte, welche Francesco Sansovino1. Abschnitt.
seinem bekannten Buche 1) angehängt hat, so ergeben sich
für das XIV. Jahrhundert fast noch lauter theologische,
juridische und medicinische Fachwerke nebst Historien, und
auch im XV. Jahrhundert ist der Humanismus im Ver-
hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro
und Aldo Manucci nur äußerst spärlich vertreten. Die
Bibliothek, welche der Cardinal Bessarion dem Staat ver-
machte, wurde kaum eben vor Zerstreuung und Zerstörung
geschützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo
freilich die Mediciner und die Juristen als Verfasser staats-
rechtlicher Gutachten weit die höchsten Besoldungen hatten.
Auch die Theilnahme an der italienischen Kunstdichtung ist
lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI.
Jahrhundert alles Versäumte nachholt. Selbst den Kunst-
geist der Renaissance hat sich Venedig von außen her zu-
bringen lassen, und erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts
sich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es
giebt hier noch bezeichnendere geistige Zögerungen. Der-Officielle An-
dacht.

selbe Staat, welcher seinen Clerus so vollkommen in der
Gewalt hatte, die Besetzung aller wichtigen Stellen sich
vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz
bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz besonderer Fär-
bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von
den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten
Opfern erworben und vom Dogen in großer Procession
empfangen 2). Für den ungenähten Rock beschloß man
(1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber

1) Sansovino Venezia, Lib. XIII.
2) Sanudo, l. c. Col. 1158. 1171. 1177. Als die Leiche des S. Lu-
cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von
S. Giustina zu Padua, welche dieselbe schon zu besitzen glaubten,
und der päpstliche Stuhl mußte entscheiden[.] Vgl. Guicciardini,
Ricordi, Nr. 401.

venezianiſche Literaturgeſchichte, welche Francesco Sanſovino1. Abſchnitt.
ſeinem bekannten Buche 1) angehängt hat, ſo ergeben ſich
für das XIV. Jahrhundert faſt noch lauter theologiſche,
juridiſche und mediciniſche Fachwerke nebſt Hiſtorien, und
auch im XV. Jahrhundert iſt der Humanismus im Ver-
hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro
und Aldo Manucci nur äußerſt ſpärlich vertreten. Die
Bibliothek, welche der Cardinal Beſſarion dem Staat ver-
machte, wurde kaum eben vor Zerſtreuung und Zerſtörung
geſchützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo
freilich die Mediciner und die Juriſten als Verfaſſer ſtaats-
rechtlicher Gutachten weit die höchſten Beſoldungen hatten.
Auch die Theilnahme an der italieniſchen Kunſtdichtung iſt
lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI.
Jahrhundert alles Verſäumte nachholt. Selbſt den Kunſt-
geiſt der Renaiſſance hat ſich Venedig von außen her zu-
bringen laſſen, und erſt gegen Ende des XV. Jahrhunderts
ſich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es
giebt hier noch bezeichnendere geiſtige Zögerungen. Der-Officielle An-
dacht.

ſelbe Staat, welcher ſeinen Clerus ſo vollkommen in der
Gewalt hatte, die Beſetzung aller wichtigen Stellen ſich
vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz
bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz beſonderer Fär-
bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von
den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten
Opfern erworben und vom Dogen in großer Proceſſion
empfangen 2). Für den ungenähten Rock beſchloß man
(1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber

1) Sansovino Venezia, Lib. XIII.
2) Sanudo, l. c. Col. 1158. 1171. 1177. Als die Leiche des S. Lu-
cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von
S. Giuſtina zu Padua, welche dieſelbe ſchon zu beſitzen glaubten,
und der päpſtliche Stuhl mußte entſcheiden[.] Vgl. Guicciardini,
Ricordi, Nr. 401.
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[73/0083] venezianiſche Literaturgeſchichte, welche Francesco Sanſovino ſeinem bekannten Buche 1) angehängt hat, ſo ergeben ſich für das XIV. Jahrhundert faſt noch lauter theologiſche, juridiſche und mediciniſche Fachwerke nebſt Hiſtorien, und auch im XV. Jahrhundert iſt der Humanismus im Ver- hältniß zur Bedeutung der Stadt bis auf Ermolao Barbaro und Aldo Manucci nur äußerſt ſpärlich vertreten. Die Bibliothek, welche der Cardinal Beſſarion dem Staat ver- machte, wurde kaum eben vor Zerſtreuung und Zerſtörung geſchützt. Für gelehrte Sachen hatte man ja Padua, wo freilich die Mediciner und die Juriſten als Verfaſſer ſtaats- rechtlicher Gutachten weit die höchſten Beſoldungen hatten. Auch die Theilnahme an der italieniſchen Kunſtdichtung iſt lange Zeit eine geringe, bis dann das beginnende XVI. Jahrhundert alles Verſäumte nachholt. Selbſt den Kunſt- geiſt der Renaiſſance hat ſich Venedig von außen her zu- bringen laſſen, und erſt gegen Ende des XV. Jahrhunderts ſich mit voller eigener Machtfülle darin bewegt. Ja es giebt hier noch bezeichnendere geiſtige Zögerungen. Der- ſelbe Staat, welcher ſeinen Clerus ſo vollkommen in der Gewalt hatte, die Beſetzung aller wichtigen Stellen ſich vorbehielt, und der Curie einmal über das andere Trotz bot, zeigte eine officielle Andacht von ganz beſonderer Fär- bung. Heilige Leichen und andere Reliquien aus dem von den Türken eroberten Griechenland werden mit den größten Opfern erworben und vom Dogen in großer Proceſſion empfangen 2). Für den ungenähten Rock beſchloß man (1455) bis 10,000 Ducaten aufzuwenden, konnte ihn aber 1. Abſchnitt. Officielle An- dacht. 1) Sansovino Venezia, Lib. XIII. 2) Sanudo, l. c. Col. 1158. 1171. 1177. Als die Leiche des S. Lu- cas aus Bosnien kam, gab es Streit mit den Benedictinern von S. Giuſtina zu Padua, welche dieſelbe ſchon zu beſitzen glaubten, und der päpſtliche Stuhl mußte entſcheiden. Vgl. Guicciardini, Ricordi, Nr. 401.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/83>, abgerufen am 29.03.2024.