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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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unserer Betrachtung, da es sich an der ganzen Renaissance1. Abschnitt.
vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß-
halb der Rivierese in Italien als Verächter aller höhern
Bildung 1) galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen so
wilden Character und waren von so heftigen Schwankungen
der ganzen Existenz begleitet, daß man kaum begreift wie
die Genuesen es anfingen um nach allen Revolutionen und
Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zustand
einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die sich beim
Staatswesen betheiligten, fast ohne Ausnahme zugleich als
Kaufleute thätig waren 2). Welchen Grad von Unsicher-
heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten
können, mit welchem Zustand im Innern der Besitz ferner
Colonien verträglich ist, lehrt Genua in überraschender
Weise.

Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel.


Wie nun die meisten italienischen Staaten in ihremAuswärtige
Politik.

Innern Kunstwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab-
hängige, auf genau berechneten sichtbaren Grundlagen ru-
hende Schöpfungen waren, so mußte auch ihr Verhältniß
zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunst sein.
Daß sie fast sämmtlich auf ziemlich neuen Usurpationen
beruhen, ist für ihre auswärtigen Beziehungen so verhäng-
nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern

Ernstes Volkstribunen u. a. römische Magistrate gegen die Miß-
regierung der Vornehmen und Beamten.
1) Pierio Valeriano, de infelicitate literator., bei Anlaß des Bar-
tolommeo della Rovere.
2) Senarega, de reb. Genuens. bei Murat. XXIV, Col. 548. Ueber
die Unsicherheit vgl. bes. Col. 519. 525. 528 etc. Die sehr offen-
herzige Rede der Gesandten bei der Uebergabe des Staates an
Francesco Sforza 1464 s. bei Cagnola, Archiv. stor. III,
p. 165, s.

unſerer Betrachtung, da es ſich an der ganzen Renaiſſance1. Abſchnitt.
vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß-
halb der Riviereſe in Italien als Verächter aller höhern
Bildung 1) galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen ſo
wilden Character und waren von ſo heftigen Schwankungen
der ganzen Exiſtenz begleitet, daß man kaum begreift wie
die Genueſen es anfingen um nach allen Revolutionen und
Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zuſtand
einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die ſich beim
Staatsweſen betheiligten, faſt ohne Ausnahme zugleich als
Kaufleute thätig waren 2). Welchen Grad von Unſicher-
heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten
können, mit welchem Zuſtand im Innern der Beſitz ferner
Colonien verträglich iſt, lehrt Genua in überraſchender
Weiſe.

Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel.


Wie nun die meiſten italieniſchen Staaten in ihremAuswärtige
Politik.

Innern Kunſtwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab-
hängige, auf genau berechneten ſichtbaren Grundlagen ru-
hende Schöpfungen waren, ſo mußte auch ihr Verhältniß
zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunſt ſein.
Daß ſie faſt ſämmtlich auf ziemlich neuen Uſurpationen
beruhen, iſt für ihre auswärtigen Beziehungen ſo verhäng-
nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern

Ernſtes Volkstribunen u. a. römiſche Magiſtrate gegen die Miß-
regierung der Vornehmen und Beamten.
1) Pierio Valeriano, de infelicitate literator., bei Anlaß des Bar-
tolommeo della Rovere.
2) Senarega, de reb. Genuens. bei Murat. XXIV, Col. 548. Ueber
die Unſicherheit vgl. beſ. Col. 519. 525. 528 etc. Die ſehr offen-
herzige Rede der Geſandten bei der Uebergabe des Staates an
Francesco Sforza 1464 ſ. bei Cagnola, Archiv. stor. III,
p. 165, s.
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[89/0099] unſerer Betrachtung, da es ſich an der ganzen Renaiſſance vor den Zeiten des Andrea Doria kaum betheiligte, weß- halb der Riviereſe in Italien als Verächter aller höhern Bildung 1) galt. Die Parteikämpfe zeigen hier einen ſo wilden Character und waren von ſo heftigen Schwankungen der ganzen Exiſtenz begleitet, daß man kaum begreift wie die Genueſen es anfingen um nach allen Revolutionen und Occupationen immer wieder in einen erträglichen Zuſtand einzulenken. Vielleicht gelang es weil alle, die ſich beim Staatsweſen betheiligten, faſt ohne Ausnahme zugleich als Kaufleute thätig waren 2). Welchen Grad von Unſicher- heit der Erwerb im Großen und der Reichthum aushalten können, mit welchem Zuſtand im Innern der Beſitz ferner Colonien verträglich iſt, lehrt Genua in überraſchender Weiſe. 1. Abſchnitt. Lucca bedeutet im XV. Jahrhundert nicht viel. Wie nun die meiſten italieniſchen Staaten in ihrem Innern Kunſtwerke, d. h. bewußte, von der Reflexion ab- hängige, auf genau berechneten ſichtbaren Grundlagen ru- hende Schöpfungen waren, ſo mußte auch ihr Verhältniß zu einander und zum Ausland ein Werk der Kunſt ſein. Daß ſie faſt ſämmtlich auf ziemlich neuen Uſurpationen beruhen, iſt für ihre auswärtigen Beziehungen ſo verhäng- nißvoll als für das Innere. Keiner erkennt den andern 3) Auswärtige Politik. 1) Pierio Valeriano, de infelicitate literator., bei Anlaß des Bar- tolommeo della Rovere. 2) Senarega, de reb. Genuens. bei Murat. XXIV, Col. 548. Ueber die Unſicherheit vgl. beſ. Col. 519. 525. 528 etc. Die ſehr offen- herzige Rede der Geſandten bei der Uebergabe des Staates an Francesco Sforza 1464 ſ. bei Cagnola, Archiv. stor. III, p. 165, s. 3) Ernſtes Volkstribunen u. a. römiſche Magiſtrate gegen die Miß- regierung der Vornehmen und Beamten.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/99>, abgerufen am 28.03.2024.