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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Dritter Theil.
losophie zu danken, welches jetzt reiner ist, und seine Strah-
len weiter wirft, als vordem.

§ 590.

Aber auch das edelste Geschenk, welches das Menschen-
geschlecht aufweisen kann, ist eines Mißbrauches fähig, und
die Benutzung der Philosophie in der Heilkunst kann in Af-
terweisheit ausarten.

§ 591.

Dies geschieht, wenn die Philosophie nicht nur als
bloße Führerin, sondern auch als Lehrerin der Heilkunst
betrachtet wird. Man zwängt dann Beobachtungen
in irgend ein philosophisches System, bringt Meta-
physik in eine Erfahrungswissenschaft, füllt die unausbleib-
lichen Lücken durch Kunstwörter der Schule, und hört auf,
die Mediciu philosophisch zu bearbeiten, sondern bearbeitet
die Philosophie medicinisch.

§ 592.

Dadurch stört man den philosophischen Gang medici-
nischer Untersuchungen, welcher unsre Ideen aufhellt, und
allein die Heilkunst vervollkommt; und man giebt uns dafür
philosophische Kenntnisse, welche seit jeher die Freyheit
der Untersuchungen einschränkten, ihre Mängel durch Wort-
gepränge verbargen, und durch den eitlen Wahn, die höchste
Vollkommenheit schon errungen zu haben, den Fortgang der
Wissenschaft hinderten.




Zwey-

Dritter Theil.
loſophie zu danken, welches jetzt reiner iſt, und ſeine Strah-
len weiter wirft, als vordem.

§ 590.

Aber auch das edelſte Geſchenk, welches das Menſchen-
geſchlecht aufweiſen kann, iſt eines Mißbrauches faͤhig, und
die Benutzung der Philoſophie in der Heilkunſt kann in Af-
terweisheit ausarten.

§ 591.

Dies geſchieht, wenn die Philoſophie nicht nur als
bloße Fuͤhrerin, ſondern auch als Lehrerin der Heilkunſt
betrachtet wird. Man zwaͤngt dann Beobachtungen
in irgend ein philoſophiſches Syſtem, bringt Meta-
phyſik in eine Erfahrungswiſſenſchaft, fuͤllt die unausbleib-
lichen Luͤcken durch Kunſtwoͤrter der Schule, und hoͤrt auf,
die Mediciu philoſophiſch zu bearbeiten, ſondern bearbeitet
die Philoſophie mediciniſch.

§ 592.

Dadurch ſtoͤrt man den philoſophiſchen Gang medici-
niſcher Unterſuchungen, welcher unſre Ideen aufhellt, und
allein die Heilkunſt vervollkommt; und man giebt uns dafuͤr
philoſophiſche Kenntniſſe, welche ſeit jeher die Freyheit
der Unterſuchungen einſchraͤnkten, ihre Maͤngel durch Wort-
gepraͤnge verbargen, und durch den eitlen Wahn, die hoͤchſte
Vollkommenheit ſchon errungen zu haben, den Fortgang der
Wiſſenſchaft hinderten.




Zwey-
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[182/0200] Dritter Theil. loſophie zu danken, welches jetzt reiner iſt, und ſeine Strah- len weiter wirft, als vordem. § 590. Aber auch das edelſte Geſchenk, welches das Menſchen- geſchlecht aufweiſen kann, iſt eines Mißbrauches faͤhig, und die Benutzung der Philoſophie in der Heilkunſt kann in Af- terweisheit ausarten. § 591. Dies geſchieht, wenn die Philoſophie nicht nur als bloße Fuͤhrerin, ſondern auch als Lehrerin der Heilkunſt betrachtet wird. Man zwaͤngt dann Beobachtungen in irgend ein philoſophiſches Syſtem, bringt Meta- phyſik in eine Erfahrungswiſſenſchaft, fuͤllt die unausbleib- lichen Luͤcken durch Kunſtwoͤrter der Schule, und hoͤrt auf, die Mediciu philoſophiſch zu bearbeiten, ſondern bearbeitet die Philoſophie mediciniſch. § 592. Dadurch ſtoͤrt man den philoſophiſchen Gang medici- niſcher Unterſuchungen, welcher unſre Ideen aufhellt, und allein die Heilkunſt vervollkommt; und man giebt uns dafuͤr philoſophiſche Kenntniſſe, welche ſeit jeher die Freyheit der Unterſuchungen einſchraͤnkten, ihre Maͤngel durch Wort- gepraͤnge verbargen, und durch den eitlen Wahn, die hoͤchſte Vollkommenheit ſchon errungen zu haben, den Fortgang der Wiſſenſchaft hinderten. Zwey-

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/200>, abgerufen am 18.04.2024.