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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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cher Leiden der Frauen aus der Vernachläßigung dieser bey-
den Punkte.

§. 113.

4) Die Regeln, welche endlich in Bezug auf die hö-
hern animalen Funktionen im Allgemeinen zu geben
sind, beziehen sich theils auf die Sinnesthätigkeit, welche
eben in wiefern sie feiner und erregbarer ist, überall schöne
sittliche Mäßigung zur Pflicht macht; theils auf die Bewe-
gung, welche, in wiefern sie von weniger ausgewirkten Or-
ganen geübt wird, allzugewaltsame und heftige Anstrengun-
gen verbietet. Was ferner die Erscheinungen des höhern
Nervenlebens und ihre naturgemäße Leitung betrifft, so ist
eine gewisse psychische Hygiastik für das weibliche leicht be-
wegliche Gemüth ganz vorzüglich nothwendig, und man darf
wohl hier an den Satz erinnern, welchen J. Paul Fr. Rich-
ter
über geistige Ausbildung im Allgemeinen aufstellte, daß
nämlich der Mensch nach der Seite hin, wo er von der Na-
tur am wenigsten begünstigt sey, sich vorzüglich zu bilden
streben solle, um so das harmonische Gleichgewicht im In-
nern zu erhalten. -- Bey den Frauen nun, wo das Ge-
müth an und für sich vorwaltet, wird eben dadurch Kultur
des Verstandes und der Willenskraft Hauptaugenmerk allge-
meiner Bildung seyn müssen; dahingegen eine auf stäte Er-
regung des Gemüths abzweckende geistige Beschäftigung, Ro-
manenleserey, falsche Mystik u. s. w. dieses Geschlecht so leicht
zur widrigsten Empfindeley, ja durch stäte Ueberspannung des
Nervensystems zu so vielfältigen selbst körperlichen Krankhei-
ten führen muß. -- Vertrauungsvolles Haften an einem
Höchsten, unerschütterlich Festen und Ewigen im Innern, stille
gleichmäßige wohlgeordnete Thätigkeit im Aeußern, bey klarer
einfacher aber wohlgegründeter Entwicklung des Verstandes,
dieß mögen die Elemente heißen, in denen die Seelengesund-
heit, deren Wesen von dem scharfsinnigen Heinroth *) so
wahr gezeichnet worden, dem weiblichen Geschlechte erreicht

*) S. in dessen Lehrbuch der Seelenstörungen die Vorbegriffe. Thl. I.

cher Leiden der Frauen aus der Vernachlaͤßigung dieſer bey-
den Punkte.

§. 113.

4) Die Regeln, welche endlich in Bezug auf die hoͤ-
hern animalen Funktionen im Allgemeinen zu geben
ſind, beziehen ſich theils auf die Sinnesthaͤtigkeit, welche
eben in wiefern ſie feiner und erregbarer iſt, uͤberall ſchoͤne
ſittliche Maͤßigung zur Pflicht macht; theils auf die Bewe-
gung, welche, in wiefern ſie von weniger ausgewirkten Or-
ganen geuͤbt wird, allzugewaltſame und heftige Anſtrengun-
gen verbietet. Was ferner die Erſcheinungen des hoͤhern
Nervenlebens und ihre naturgemaͤße Leitung betrifft, ſo iſt
eine gewiſſe pſychiſche Hygiaſtik fuͤr das weibliche leicht be-
wegliche Gemuͤth ganz vorzuͤglich nothwendig, und man darf
wohl hier an den Satz erinnern, welchen J. Paul Fr. Rich-
ter
uͤber geiſtige Ausbildung im Allgemeinen aufſtellte, daß
naͤmlich der Menſch nach der Seite hin, wo er von der Na-
tur am wenigſten beguͤnſtigt ſey, ſich vorzuͤglich zu bilden
ſtreben ſolle, um ſo das harmoniſche Gleichgewicht im In-
nern zu erhalten. — Bey den Frauen nun, wo das Ge-
muͤth an und fuͤr ſich vorwaltet, wird eben dadurch Kultur
des Verſtandes und der Willenskraft Hauptaugenmerk allge-
meiner Bildung ſeyn muͤſſen; dahingegen eine auf ſtaͤte Er-
regung des Gemuͤths abzweckende geiſtige Beſchaͤftigung, Ro-
manenleſerey, falſche Myſtik u. ſ. w. dieſes Geſchlecht ſo leicht
zur widrigſten Empfindeley, ja durch ſtaͤte Ueberſpannung des
Nervenſyſtems zu ſo vielfaͤltigen ſelbſt koͤrperlichen Krankhei-
ten fuͤhren muß. — Vertrauungsvolles Haften an einem
Hoͤchſten, unerſchuͤtterlich Feſten und Ewigen im Innern, ſtille
gleichmaͤßige wohlgeordnete Thaͤtigkeit im Aeußern, bey klarer
einfacher aber wohlgegruͤndeter Entwicklung des Verſtandes,
dieß moͤgen die Elemente heißen, in denen die Seelengeſund-
heit, deren Weſen von dem ſcharfſinnigen Heinroth *) ſo
wahr gezeichnet worden, dem weiblichen Geſchlechte erreicht

*) S. in deſſen Lehrbuch der Seelenſtoͤrungen die Vorbegriffe. Thl. I.
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[83/0103] cher Leiden der Frauen aus der Vernachlaͤßigung dieſer bey- den Punkte. §. 113. 4) Die Regeln, welche endlich in Bezug auf die hoͤ- hern animalen Funktionen im Allgemeinen zu geben ſind, beziehen ſich theils auf die Sinnesthaͤtigkeit, welche eben in wiefern ſie feiner und erregbarer iſt, uͤberall ſchoͤne ſittliche Maͤßigung zur Pflicht macht; theils auf die Bewe- gung, welche, in wiefern ſie von weniger ausgewirkten Or- ganen geuͤbt wird, allzugewaltſame und heftige Anſtrengun- gen verbietet. Was ferner die Erſcheinungen des hoͤhern Nervenlebens und ihre naturgemaͤße Leitung betrifft, ſo iſt eine gewiſſe pſychiſche Hygiaſtik fuͤr das weibliche leicht be- wegliche Gemuͤth ganz vorzuͤglich nothwendig, und man darf wohl hier an den Satz erinnern, welchen J. Paul Fr. Rich- ter uͤber geiſtige Ausbildung im Allgemeinen aufſtellte, daß naͤmlich der Menſch nach der Seite hin, wo er von der Na- tur am wenigſten beguͤnſtigt ſey, ſich vorzuͤglich zu bilden ſtreben ſolle, um ſo das harmoniſche Gleichgewicht im In- nern zu erhalten. — Bey den Frauen nun, wo das Ge- muͤth an und fuͤr ſich vorwaltet, wird eben dadurch Kultur des Verſtandes und der Willenskraft Hauptaugenmerk allge- meiner Bildung ſeyn muͤſſen; dahingegen eine auf ſtaͤte Er- regung des Gemuͤths abzweckende geiſtige Beſchaͤftigung, Ro- manenleſerey, falſche Myſtik u. ſ. w. dieſes Geſchlecht ſo leicht zur widrigſten Empfindeley, ja durch ſtaͤte Ueberſpannung des Nervenſyſtems zu ſo vielfaͤltigen ſelbſt koͤrperlichen Krankhei- ten fuͤhren muß. — Vertrauungsvolles Haften an einem Hoͤchſten, unerſchuͤtterlich Feſten und Ewigen im Innern, ſtille gleichmaͤßige wohlgeordnete Thaͤtigkeit im Aeußern, bey klarer einfacher aber wohlgegruͤndeter Entwicklung des Verſtandes, dieß moͤgen die Elemente heißen, in denen die Seelengeſund- heit, deren Weſen von dem ſcharfſinnigen Heinroth *) ſo wahr gezeichnet worden, dem weiblichen Geſchlechte erreicht *) S. in deſſen Lehrbuch der Seelenſtoͤrungen die Vorbegriffe. Thl. I.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/103>, abgerufen am 18.04.2024.