Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 155.

2) Gehört zu diesen Ursachen Störung der Re-
produktion
entweder in Folge anderer Krankheiten, oder
in Folge der Lebensweise. -- Was das erstere betrifft, so-
ist sehr wohl abzusehen, wie das Eintreten irgend einer
Krankheit, z. B. eines Fiebers, in wiefern dadurch eine
pathologische Revolution veranlaßt wird, die physiologische
Revolution bey Entwicklung der Menstrualfunktion hemmen
müsse, und eben so klar ist es, daß allgemeine chronische
Krankheiten, ja selbst der nach acuten oder chronischen
Krankheiten zurückbleibende Schwächezustand dieser Entwick-
lung hinderlich seyn müsse. Allein in allen diesen Fällen
wird die Verzögerung der Menstruation an und für sich sel-
ten als Krankheit empfunden, indem der Organismus, wo
selbst die individuelle Reproduktion unvollkommen ist, nicht
das Bedürfniß der Reproduktion der Gattung empfinden
kann, und nicht jenen Ueberfluß, welcher die Bedingung
der Menstruation ist, erzeugt. Nur wo daher Mißverhält-
nisse in der Reproduktion der einzelnen organischen Systeme
Statt finden, wo bey allgemeiner schon kräftiger gewordener
Ernährung die Ernährung der Geschlechtsorgane und nament-
lich des Uterus selbst noch unvollkommen bleibt, welches am
häufigsten bey scrofulösen Individuen, bey Auftreibungen ein-
zelner Unterleibsorgane (etwa nach intermittirenden Fiebern)
oder krankhafter Erregung anderer Gebilde, z. B. äußerlichen
Geschwüren, Wurm- oder Hautkrankheiten u. s. w. vorkommt,
erscheinen die Molimina ad Menstruationem, werden hef-
tiger, geben zu Entstehung von Geisteskrankheiten, zu den
sonderbarsten Umstimmungen des Nervenlebens (welche durch
Idiosynkrasien, Krämpfe, Epilepsie, Veitstanz, Somnam-
bulismus sich äußern), zu Congestionen nach andern Gebil-
den, Blutflüßen, Schleimflüßen, Auftreibungen und Verbil-
dungen einzelner Organe Veranlassung, und indem oft so die
allgemeine Reproduktion in ihrer ursprünglich auf erhöhtes
Geschlechtsleben gerichteten Thätigkeit gehindert wird, sinkt
auch sie selbst, die Verdauung wird schwach, Obstruktionen
oder Diarrhöen finden sich ein, die Blutbereitung wird un-
vollkommen, es entwickelt sich Bleichsucht, in Folge der

§. 155.

2) Gehoͤrt zu dieſen Urſachen Stoͤrung der Re-
produktion
entweder in Folge anderer Krankheiten, oder
in Folge der Lebensweiſe. — Was das erſtere betrifft, ſo-
iſt ſehr wohl abzuſehen, wie das Eintreten irgend einer
Krankheit, z. B. eines Fiebers, in wiefern dadurch eine
pathologiſche Revolution veranlaßt wird, die phyſiologiſche
Revolution bey Entwicklung der Menſtrualfunktion hemmen
muͤſſe, und eben ſo klar iſt es, daß allgemeine chroniſche
Krankheiten, ja ſelbſt der nach acuten oder chroniſchen
Krankheiten zuruͤckbleibende Schwaͤchezuſtand dieſer Entwick-
lung hinderlich ſeyn muͤſſe. Allein in allen dieſen Faͤllen
wird die Verzoͤgerung der Menſtruation an und fuͤr ſich ſel-
ten als Krankheit empfunden, indem der Organismus, wo
ſelbſt die individuelle Reproduktion unvollkommen iſt, nicht
das Beduͤrfniß der Reproduktion der Gattung empfinden
kann, und nicht jenen Ueberfluß, welcher die Bedingung
der Menſtruation iſt, erzeugt. Nur wo daher Mißverhaͤlt-
niſſe in der Reproduktion der einzelnen organiſchen Syſteme
Statt finden, wo bey allgemeiner ſchon kraͤftiger gewordener
Ernaͤhrung die Ernaͤhrung der Geſchlechtsorgane und nament-
lich des Uterus ſelbſt noch unvollkommen bleibt, welches am
haͤufigſten bey ſcrofuloͤſen Individuen, bey Auftreibungen ein-
zelner Unterleibsorgane (etwa nach intermittirenden Fiebern)
oder krankhafter Erregung anderer Gebilde, z. B. aͤußerlichen
Geſchwuͤren, Wurm- oder Hautkrankheiten u. ſ. w. vorkommt,
erſcheinen die Molimina ad Menstruationem, werden hef-
tiger, geben zu Entſtehung von Geiſteskrankheiten, zu den
ſonderbarſten Umſtimmungen des Nervenlebens (welche durch
Idioſynkraſien, Kraͤmpfe, Epilepſie, Veitstanz, Somnam-
bulismus ſich aͤußern), zu Congeſtionen nach andern Gebil-
den, Blutfluͤßen, Schleimfluͤßen, Auftreibungen und Verbil-
dungen einzelner Organe Veranlaſſung, und indem oft ſo die
allgemeine Reproduktion in ihrer urſpruͤnglich auf erhoͤhtes
Geſchlechtsleben gerichteten Thaͤtigkeit gehindert wird, ſinkt
auch ſie ſelbſt, die Verdauung wird ſchwach, Obſtruktionen
oder Diarrhoͤen finden ſich ein, die Blutbereitung wird un-
vollkommen, es entwickelt ſich Bleichſucht, in Folge der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <pb facs="#f0137" n="117"/>
                      <div n="9">
                        <head>§. 155.</head><lb/>
                        <p>2) Geho&#x0364;rt zu die&#x017F;en Ur&#x017F;achen <hi rendition="#g">Sto&#x0364;rung der Re-<lb/>
produktion</hi> entweder in Folge anderer Krankheiten, oder<lb/>
in Folge der Lebenswei&#x017F;e. &#x2014; Was das er&#x017F;tere betrifft, &#x017F;o-<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ehr wohl abzu&#x017F;ehen, wie das Eintreten irgend einer<lb/>
Krankheit, z. B. eines Fiebers, in wiefern dadurch eine<lb/>
pathologi&#x017F;che Revolution veranlaßt wird, die phy&#x017F;iologi&#x017F;che<lb/>
Revolution bey Entwicklung der Men&#x017F;trualfunktion hemmen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, und eben &#x017F;o klar i&#x017F;t es, daß allgemeine chroni&#x017F;che<lb/>
Krankheiten, ja &#x017F;elb&#x017F;t der nach acuten oder chroni&#x017F;chen<lb/>
Krankheiten zuru&#x0364;ckbleibende Schwa&#x0364;chezu&#x017F;tand die&#x017F;er Entwick-<lb/>
lung hinderlich &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Allein in allen die&#x017F;en Fa&#x0364;llen<lb/>
wird die Verzo&#x0364;gerung der Men&#x017F;truation an und fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;el-<lb/>
ten als Krankheit empfunden, indem der Organismus, wo<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die individuelle Reproduktion unvollkommen i&#x017F;t, nicht<lb/>
das Bedu&#x0364;rfniß der Reproduktion der Gattung empfinden<lb/>
kann, und nicht jenen Ueberfluß, welcher die Bedingung<lb/>
der Men&#x017F;truation i&#x017F;t, erzeugt. Nur wo daher Mißverha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e in der Reproduktion der einzelnen organi&#x017F;chen Sy&#x017F;teme<lb/>
Statt finden, wo bey allgemeiner &#x017F;chon kra&#x0364;ftiger gewordener<lb/>
Erna&#x0364;hrung die Erna&#x0364;hrung der Ge&#x017F;chlechtsorgane und nament-<lb/>
lich des Uterus &#x017F;elb&#x017F;t noch unvollkommen bleibt, welches am<lb/>
ha&#x0364;ufig&#x017F;ten bey &#x017F;crofulo&#x0364;&#x017F;en Individuen, bey Auftreibungen ein-<lb/>
zelner Unterleibsorgane (etwa nach intermittirenden Fiebern)<lb/>
oder krankhafter Erregung anderer Gebilde, z. B. a&#x0364;ußerlichen<lb/>
Ge&#x017F;chwu&#x0364;ren, Wurm- oder Hautkrankheiten u. &#x017F;. w. vorkommt,<lb/>
er&#x017F;cheinen die <hi rendition="#aq">Molimina ad Menstruationem,</hi> werden hef-<lb/>
tiger, geben zu Ent&#x017F;tehung von Gei&#x017F;teskrankheiten, zu den<lb/>
&#x017F;onderbar&#x017F;ten Um&#x017F;timmungen des Nervenlebens (welche durch<lb/>
Idio&#x017F;ynkra&#x017F;ien, Kra&#x0364;mpfe, Epilep&#x017F;ie, Veitstanz, Somnam-<lb/>
bulismus &#x017F;ich a&#x0364;ußern), zu Conge&#x017F;tionen nach andern Gebil-<lb/>
den, Blutflu&#x0364;ßen, Schleimflu&#x0364;ßen, Auftreibungen und Verbil-<lb/>
dungen einzelner Organe Veranla&#x017F;&#x017F;ung, und indem oft &#x017F;o die<lb/>
allgemeine Reproduktion in ihrer ur&#x017F;pru&#x0364;nglich auf erho&#x0364;htes<lb/>
Ge&#x017F;chlechtsleben gerichteten Tha&#x0364;tigkeit gehindert wird, &#x017F;inkt<lb/>
auch &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t, die Verdauung wird &#x017F;chwach, Ob&#x017F;truktionen<lb/>
oder Diarrho&#x0364;en finden &#x017F;ich ein, die Blutbereitung wird un-<lb/>
vollkommen, es entwickelt &#x017F;ich Bleich&#x017F;ucht, in Folge der<lb/></p>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0137] §. 155. 2) Gehoͤrt zu dieſen Urſachen Stoͤrung der Re- produktion entweder in Folge anderer Krankheiten, oder in Folge der Lebensweiſe. — Was das erſtere betrifft, ſo- iſt ſehr wohl abzuſehen, wie das Eintreten irgend einer Krankheit, z. B. eines Fiebers, in wiefern dadurch eine pathologiſche Revolution veranlaßt wird, die phyſiologiſche Revolution bey Entwicklung der Menſtrualfunktion hemmen muͤſſe, und eben ſo klar iſt es, daß allgemeine chroniſche Krankheiten, ja ſelbſt der nach acuten oder chroniſchen Krankheiten zuruͤckbleibende Schwaͤchezuſtand dieſer Entwick- lung hinderlich ſeyn muͤſſe. Allein in allen dieſen Faͤllen wird die Verzoͤgerung der Menſtruation an und fuͤr ſich ſel- ten als Krankheit empfunden, indem der Organismus, wo ſelbſt die individuelle Reproduktion unvollkommen iſt, nicht das Beduͤrfniß der Reproduktion der Gattung empfinden kann, und nicht jenen Ueberfluß, welcher die Bedingung der Menſtruation iſt, erzeugt. Nur wo daher Mißverhaͤlt- niſſe in der Reproduktion der einzelnen organiſchen Syſteme Statt finden, wo bey allgemeiner ſchon kraͤftiger gewordener Ernaͤhrung die Ernaͤhrung der Geſchlechtsorgane und nament- lich des Uterus ſelbſt noch unvollkommen bleibt, welches am haͤufigſten bey ſcrofuloͤſen Individuen, bey Auftreibungen ein- zelner Unterleibsorgane (etwa nach intermittirenden Fiebern) oder krankhafter Erregung anderer Gebilde, z. B. aͤußerlichen Geſchwuͤren, Wurm- oder Hautkrankheiten u. ſ. w. vorkommt, erſcheinen die Molimina ad Menstruationem, werden hef- tiger, geben zu Entſtehung von Geiſteskrankheiten, zu den ſonderbarſten Umſtimmungen des Nervenlebens (welche durch Idioſynkraſien, Kraͤmpfe, Epilepſie, Veitstanz, Somnam- bulismus ſich aͤußern), zu Congeſtionen nach andern Gebil- den, Blutfluͤßen, Schleimfluͤßen, Auftreibungen und Verbil- dungen einzelner Organe Veranlaſſung, und indem oft ſo die allgemeine Reproduktion in ihrer urſpruͤnglich auf erhoͤhtes Geſchlechtsleben gerichteten Thaͤtigkeit gehindert wird, ſinkt auch ſie ſelbſt, die Verdauung wird ſchwach, Obſtruktionen oder Diarrhoͤen finden ſich ein, die Blutbereitung wird un- vollkommen, es entwickelt ſich Bleichſucht, in Folge der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/137
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/137>, abgerufen am 28.03.2024.