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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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so viele andere Sprossen eines immer weiter greifenden, im-
mer mehr von Naturgemäßheit zurückweichenden Luxus zu
verbannen. Man eröffne daher die Behandlung damit, sol-
chen Kranken, ihren Umständen gemäß, eine Lebensordnung
von der Zeit des Aufstehens bis zum Schlafengehen vorzu-
zeichnen, ihnen, wenn es die Umstände erlauben, eine zweck-
mäßige körperliche Beschäftigung, häusliche Arbeiten u. s. w.
zur Pflicht zu machen, und halte mit Festigkeit auf der
pünktlichen Befolgung dieser Vorschriften. Findet man aber
die Kranken unfolgsam, findet man, daß sie nach eigenem Gut-
dünken sich Abweichungen erlauben, wie dieß wohl namentlich
in manchen mit Einbildungen überhäuften Individuen aus
den höhern Ständen der Fall zu seyn pflegt, so gebe man
lieber, wenn Gegenvorstellungen nicht beachtet werden, eine
Behandlung auf, bey welcher weder für die Kranke Erfolg,
noch für den Arzt Freude zu hoffen ist.

§. 260.

Ein dritter für die Behandlung dieser so wie anderer
Krankheiten besonders wichtiger Gegenstand ist die Beseitigung
der entfernten Ursachen. Indem nun aber in Krankheiten
niederer organischer Systeme, so wie in der Lebensweise vor-
züglich häufige Veranlassungen zu den genannten Leiden des
Nervensystems gegeben sind, wird allerdings durch die Befol-
gung der in den beiden vorigen Paragraphen gegebenen Re-
geln ein großer Theil der gegenwärtigen Indikation erfüllt,
obwohl auch außerdem noch manches zu thun übrig bleibt.
Namentlich gehört aber hierher die allmählige Verbesserung
allgemeiner Constitution, besonders Verminderung der unglück-
lichen krankhaften Reitzbarkeit, worin allerdings durch anhal-
tendes Fortwirken auf dem rechten Wege viel geschehen kann,
namentlich indem man Veränderung des Aufenthalts, Benu-
tzung mineralischer Bäder, innerer und äußerer Mittel zur
Erhöhung kräftiger Muskularthätigkeit und Reproduktion zu
Hülfe ruft. Außerdem ist aber Verhütung der Gelegenheits-
ursachen, wohin besonders heftige Gemüthsbewegungen und
Ausschweifungen gehören, zu berücksichtigen, ja es kann selbst,
nachdem irgend gewaltsame Gemüthserschütterungen Statt ge-

ſo viele andere Sproſſen eines immer weiter greifenden, im-
mer mehr von Naturgemaͤßheit zuruͤckweichenden Luxus zu
verbannen. Man eroͤffne daher die Behandlung damit, ſol-
chen Kranken, ihren Umſtaͤnden gemaͤß, eine Lebensordnung
von der Zeit des Aufſtehens bis zum Schlafengehen vorzu-
zeichnen, ihnen, wenn es die Umſtaͤnde erlauben, eine zweck-
maͤßige koͤrperliche Beſchaͤftigung, haͤusliche Arbeiten u. ſ. w.
zur Pflicht zu machen, und halte mit Feſtigkeit auf der
puͤnktlichen Befolgung dieſer Vorſchriften. Findet man aber
die Kranken unfolgſam, findet man, daß ſie nach eigenem Gut-
duͤnken ſich Abweichungen erlauben, wie dieß wohl namentlich
in manchen mit Einbildungen uͤberhaͤuften Individuen aus
den hoͤhern Staͤnden der Fall zu ſeyn pflegt, ſo gebe man
lieber, wenn Gegenvorſtellungen nicht beachtet werden, eine
Behandlung auf, bey welcher weder fuͤr die Kranke Erfolg,
noch fuͤr den Arzt Freude zu hoffen iſt.

§. 260.

Ein dritter fuͤr die Behandlung dieſer ſo wie anderer
Krankheiten beſonders wichtiger Gegenſtand iſt die Beſeitigung
der entfernten Urſachen. Indem nun aber in Krankheiten
niederer organiſcher Syſteme, ſo wie in der Lebensweiſe vor-
zuͤglich haͤufige Veranlaſſungen zu den genannten Leiden des
Nervenſyſtems gegeben ſind, wird allerdings durch die Befol-
gung der in den beiden vorigen Paragraphen gegebenen Re-
geln ein großer Theil der gegenwaͤrtigen Indikation erfuͤllt,
obwohl auch außerdem noch manches zu thun uͤbrig bleibt.
Namentlich gehoͤrt aber hierher die allmaͤhlige Verbeſſerung
allgemeiner Conſtitution, beſonders Verminderung der ungluͤck-
lichen krankhaften Reitzbarkeit, worin allerdings durch anhal-
tendes Fortwirken auf dem rechten Wege viel geſchehen kann,
namentlich indem man Veraͤnderung des Aufenthalts, Benu-
tzung mineraliſcher Baͤder, innerer und aͤußerer Mittel zur
Erhoͤhung kraͤftiger Muskularthaͤtigkeit und Reproduktion zu
Huͤlfe ruft. Außerdem iſt aber Verhuͤtung der Gelegenheits-
urſachen, wohin beſonders heftige Gemuͤthsbewegungen und
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nachdem irgend gewaltſame Gemuͤthserſchuͤtterungen Statt ge-

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[199/0219] ſo viele andere Sproſſen eines immer weiter greifenden, im- mer mehr von Naturgemaͤßheit zuruͤckweichenden Luxus zu verbannen. Man eroͤffne daher die Behandlung damit, ſol- chen Kranken, ihren Umſtaͤnden gemaͤß, eine Lebensordnung von der Zeit des Aufſtehens bis zum Schlafengehen vorzu- zeichnen, ihnen, wenn es die Umſtaͤnde erlauben, eine zweck- maͤßige koͤrperliche Beſchaͤftigung, haͤusliche Arbeiten u. ſ. w. zur Pflicht zu machen, und halte mit Feſtigkeit auf der puͤnktlichen Befolgung dieſer Vorſchriften. Findet man aber die Kranken unfolgſam, findet man, daß ſie nach eigenem Gut- duͤnken ſich Abweichungen erlauben, wie dieß wohl namentlich in manchen mit Einbildungen uͤberhaͤuften Individuen aus den hoͤhern Staͤnden der Fall zu ſeyn pflegt, ſo gebe man lieber, wenn Gegenvorſtellungen nicht beachtet werden, eine Behandlung auf, bey welcher weder fuͤr die Kranke Erfolg, noch fuͤr den Arzt Freude zu hoffen iſt. §. 260. Ein dritter fuͤr die Behandlung dieſer ſo wie anderer Krankheiten beſonders wichtiger Gegenſtand iſt die Beſeitigung der entfernten Urſachen. Indem nun aber in Krankheiten niederer organiſcher Syſteme, ſo wie in der Lebensweiſe vor- zuͤglich haͤufige Veranlaſſungen zu den genannten Leiden des Nervenſyſtems gegeben ſind, wird allerdings durch die Befol- gung der in den beiden vorigen Paragraphen gegebenen Re- geln ein großer Theil der gegenwaͤrtigen Indikation erfuͤllt, obwohl auch außerdem noch manches zu thun uͤbrig bleibt. Namentlich gehoͤrt aber hierher die allmaͤhlige Verbeſſerung allgemeiner Conſtitution, beſonders Verminderung der ungluͤck- lichen krankhaften Reitzbarkeit, worin allerdings durch anhal- tendes Fortwirken auf dem rechten Wege viel geſchehen kann, namentlich indem man Veraͤnderung des Aufenthalts, Benu- tzung mineraliſcher Baͤder, innerer und aͤußerer Mittel zur Erhoͤhung kraͤftiger Muskularthaͤtigkeit und Reproduktion zu Huͤlfe ruft. Außerdem iſt aber Verhuͤtung der Gelegenheits- urſachen, wohin beſonders heftige Gemuͤthsbewegungen und Ausſchweifungen gehoͤren, zu beruͤckſichtigen, ja es kann ſelbſt, nachdem irgend gewaltſame Gemuͤthserſchuͤtterungen Statt ge-

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/219>, abgerufen am 25.04.2024.