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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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Selbstbefriedigung, Mißverhältnisse der Reproduktion und
Verstimmung der Sensibilität veranlassen, und dann müssen
theils eindringende Vorstellungen, theils genaue, freylich oft
schwer mögliche Aufsicht als wesentliche Mittel der Heilung
in Ausführung gebracht werden.

§. 320.

Endlich aber bemerken wir, daß oft die Hysterie auf
ganz ähnliche Weise an die klimakterischen Jahre, wie die
oben erwähnten Nervenzufälle an die Pubertätsentwicklung,
geknüpft sind. In wiefern nämlich bey herannahendem Alter
die Produktivität immer stufenweise abnimmt, bey einer ge-
wissen Stufe aber unfähig wird, die Menstruation als gleich-
sam kritischen Blutfluß monathlicher Congestionen zu erzeugen,
obwohl eine im Verhältniß zum Körper reichlichere Säfteerzeu-
gung nichts destoweniger noch eine Zeitlang Statt findet, wie sich
nun selbst bey gesunden Körpern um diese Periode mancherley ob-
wohl gewöhnlich bald vorübergehende Beschwerden erzeugen,
so kann dadurch bey krankhaft gesteigerter Sensibilität oft
die ganze Reihe hysterischer Zufälle rege gemacht werden.
Dieser Zustand giebt dann zwar, in wiefern man erwarten
darf daß nach beendigter Revolution auch jene krankhaften
Erscheinungen sich verlieren werden, im Ganzen eine gün-
stige Prognose, läßt jedoch auch nur ein sehr beschränktes,
fast allein auf Minderung der hervorstechendsten Symptome ab-
zweckendes Heilverfahren zu, und in wiefern nun überhaupt bey
der Hysterie, namentlich während der Anfälle öfters die ein-
zelnen Symptome eine besondre augenblickliche Behandlung
nöthig machen, gehen wir jetzt noch die hierfür geltenden
Regeln in der obigen Ordnung (§. 300. u. f.) durch.

§. 321.

1) Für die Behandlung der Zufälle von gesteigerter Sen-
sibilität aber, welche, theils wo den frühern Anzeigen hin-
sichtlich der Reproduktionsstörungen bereits Genüge geleistet
ist, zur Hauptindikation wird, theils in den Stürmen der
Anfälle dringend nöthig erscheint, möchten wir zwei Wege
unterscheiden, welche man den negativen und positiven nennen

Selbſtbefriedigung, Mißverhaͤltniſſe der Reproduktion und
Verſtimmung der Senſibilitaͤt veranlaſſen, und dann muͤſſen
theils eindringende Vorſtellungen, theils genaue, freylich oft
ſchwer moͤgliche Aufſicht als weſentliche Mittel der Heilung
in Ausfuͤhrung gebracht werden.

§. 320.

Endlich aber bemerken wir, daß oft die Hyſterie auf
ganz aͤhnliche Weiſe an die klimakteriſchen Jahre, wie die
oben erwaͤhnten Nervenzufaͤlle an die Pubertaͤtsentwicklung,
geknuͤpft ſind. In wiefern naͤmlich bey herannahendem Alter
die Produktivitaͤt immer ſtufenweiſe abnimmt, bey einer ge-
wiſſen Stufe aber unfaͤhig wird, die Menſtruation als gleich-
ſam kritiſchen Blutfluß monathlicher Congeſtionen zu erzeugen,
obwohl eine im Verhaͤltniß zum Koͤrper reichlichere Saͤfteerzeu-
gung nichts deſtoweniger noch eine Zeitlang Statt findet, wie ſich
nun ſelbſt bey geſunden Koͤrpern um dieſe Periode mancherley ob-
wohl gewoͤhnlich bald voruͤbergehende Beſchwerden erzeugen,
ſo kann dadurch bey krankhaft geſteigerter Senſibilitaͤt oft
die ganze Reihe hyſteriſcher Zufaͤlle rege gemacht werden.
Dieſer Zuſtand giebt dann zwar, in wiefern man erwarten
darf daß nach beendigter Revolution auch jene krankhaften
Erſcheinungen ſich verlieren werden, im Ganzen eine guͤn-
ſtige Prognoſe, laͤßt jedoch auch nur ein ſehr beſchraͤnktes,
faſt allein auf Minderung der hervorſtechendſten Symptome ab-
zweckendes Heilverfahren zu, und in wiefern nun uͤberhaupt bey
der Hyſterie, namentlich waͤhrend der Anfaͤlle oͤfters die ein-
zelnen Symptome eine beſondre augenblickliche Behandlung
noͤthig machen, gehen wir jetzt noch die hierfuͤr geltenden
Regeln in der obigen Ordnung (§. 300. u. f.) durch.

§. 321.

1) Fuͤr die Behandlung der Zufaͤlle von geſteigerter Sen-
ſibilitaͤt aber, welche, theils wo den fruͤhern Anzeigen hin-
ſichtlich der Reproduktionsſtoͤrungen bereits Genuͤge geleiſtet
iſt, zur Hauptindikation wird, theils in den Stuͤrmen der
Anfaͤlle dringend noͤthig erſcheint, moͤchten wir zwei Wege
unterſcheiden, welche man den negativen und poſitiven nennen

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[248/0268] Selbſtbefriedigung, Mißverhaͤltniſſe der Reproduktion und Verſtimmung der Senſibilitaͤt veranlaſſen, und dann muͤſſen theils eindringende Vorſtellungen, theils genaue, freylich oft ſchwer moͤgliche Aufſicht als weſentliche Mittel der Heilung in Ausfuͤhrung gebracht werden. §. 320. Endlich aber bemerken wir, daß oft die Hyſterie auf ganz aͤhnliche Weiſe an die klimakteriſchen Jahre, wie die oben erwaͤhnten Nervenzufaͤlle an die Pubertaͤtsentwicklung, geknuͤpft ſind. In wiefern naͤmlich bey herannahendem Alter die Produktivitaͤt immer ſtufenweiſe abnimmt, bey einer ge- wiſſen Stufe aber unfaͤhig wird, die Menſtruation als gleich- ſam kritiſchen Blutfluß monathlicher Congeſtionen zu erzeugen, obwohl eine im Verhaͤltniß zum Koͤrper reichlichere Saͤfteerzeu- gung nichts deſtoweniger noch eine Zeitlang Statt findet, wie ſich nun ſelbſt bey geſunden Koͤrpern um dieſe Periode mancherley ob- wohl gewoͤhnlich bald voruͤbergehende Beſchwerden erzeugen, ſo kann dadurch bey krankhaft geſteigerter Senſibilitaͤt oft die ganze Reihe hyſteriſcher Zufaͤlle rege gemacht werden. Dieſer Zuſtand giebt dann zwar, in wiefern man erwarten darf daß nach beendigter Revolution auch jene krankhaften Erſcheinungen ſich verlieren werden, im Ganzen eine guͤn- ſtige Prognoſe, laͤßt jedoch auch nur ein ſehr beſchraͤnktes, faſt allein auf Minderung der hervorſtechendſten Symptome ab- zweckendes Heilverfahren zu, und in wiefern nun uͤberhaupt bey der Hyſterie, namentlich waͤhrend der Anfaͤlle oͤfters die ein- zelnen Symptome eine beſondre augenblickliche Behandlung noͤthig machen, gehen wir jetzt noch die hierfuͤr geltenden Regeln in der obigen Ordnung (§. 300. u. f.) durch. §. 321. 1) Fuͤr die Behandlung der Zufaͤlle von geſteigerter Sen- ſibilitaͤt aber, welche, theils wo den fruͤhern Anzeigen hin- ſichtlich der Reproduktionsſtoͤrungen bereits Genuͤge geleiſtet iſt, zur Hauptindikation wird, theils in den Stuͤrmen der Anfaͤlle dringend noͤthig erſcheint, moͤchten wir zwei Wege unterſcheiden, welche man den negativen und poſitiven nennen

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/268>, abgerufen am 28.03.2024.