Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeitraume, welcher den monathlichen Typus gerade zehn-
mal
wiederholt, erlangt bey gleichmäßiger Entwicklung des
mütterlichen Bildungsorgans, des Fruchthälters, auch die
Frucht selbst ihre Reife, d. i. das Kind erreicht einen ge-
wissen Grad von Selbstständigkeit, wobey es auch außer dem
mütterlichen Körper sein Leben fortzusetzen fähig wird, und
dieß ist der Grund, welcher die Trennung beider Körper
herbeyführt.

§. 72.

Geburt. Wie nämlich etwa zwei Körper von gleich-
namiger Elektricität, wie die gleichnamigen Pole der Mag-
netnadel sich abstoßen, so sondern sich am Ende der Schwan-
gerschaft, sobald der Fötus der Möglichkeit individueller Exi-
stenz nach dem mütterlichen Körper gleich geworden, beyde
Körper von einander ab, und es erwacht somit im weiblichen
Körper das Bestreben, wieder in den Zustand, in welchem
er vor der Empfängniß war, zurückzukehren und so diesen
Cyclus zu beschließen. Vorzüglich deutlich tritt dieß im
Fruchthälter selbst hervor, und er äußert sich daher bey der
Geburt durch Zusammenziehungen, Contractionen d. i. Wehen,
deren Zweck aber zum Theil die Austreibung der Frucht,
allein eben so sehr auch die eigene Verkleinerung ist, weßhalb
sie auch nach der Geburt fortdauern. -- Die Geburtsthätig-
keit selbst, als einen großen Theil mechanischer Kraft in Anspruch
nehmend, als den Wendepunkt darstellend, von welchem aus
die in der Schwangerschaft so bedeutend gesteigerte Bildungs-
thätigkeit wieder herabsinkt, ergreift und erschüttert fast alle
organischen Systeme des Körpers gewaltsam, ist daher in
vieler Hinsicht Veranlassung zu krankhaften Erscheinungen,
und überhaupt eine der merkwürdigsten Revolutionen, welche
im Leben des Weibes, und zwar mehrere Male, Statt fin-
den kann.



krankhaften Gebilde u. s. w. (obwohl man allerdings zu weit geht,
wenn man mit manchen Pathologen alle krankhaften Verbildungern
für Produkte von Entzündungen hält).

Zeitraume, welcher den monathlichen Typus gerade zehn-
mal
wiederholt, erlangt bey gleichmaͤßiger Entwicklung des
muͤtterlichen Bildungsorgans, des Fruchthaͤlters, auch die
Frucht ſelbſt ihre Reife, d. i. das Kind erreicht einen ge-
wiſſen Grad von Selbſtſtaͤndigkeit, wobey es auch außer dem
muͤtterlichen Koͤrper ſein Leben fortzuſetzen faͤhig wird, und
dieß iſt der Grund, welcher die Trennung beider Koͤrper
herbeyfuͤhrt.

§. 72.

Geburt. Wie naͤmlich etwa zwei Koͤrper von gleich-
namiger Elektricitaͤt, wie die gleichnamigen Pole der Mag-
netnadel ſich abſtoßen, ſo ſondern ſich am Ende der Schwan-
gerſchaft, ſobald der Foͤtus der Moͤglichkeit individueller Exi-
ſtenz nach dem muͤtterlichen Koͤrper gleich geworden, beyde
Koͤrper von einander ab, und es erwacht ſomit im weiblichen
Koͤrper das Beſtreben, wieder in den Zuſtand, in welchem
er vor der Empfaͤngniß war, zuruͤckzukehren und ſo dieſen
Cyclus zu beſchließen. Vorzuͤglich deutlich tritt dieß im
Fruchthaͤlter ſelbſt hervor, und er aͤußert ſich daher bey der
Geburt durch Zuſammenziehungen, Contractionen d. i. Wehen,
deren Zweck aber zum Theil die Austreibung der Frucht,
allein eben ſo ſehr auch die eigene Verkleinerung iſt, weßhalb
ſie auch nach der Geburt fortdauern. — Die Geburtsthaͤtig-
keit ſelbſt, als einen großen Theil mechaniſcher Kraft in Anſpruch
nehmend, als den Wendepunkt darſtellend, von welchem aus
die in der Schwangerſchaft ſo bedeutend geſteigerte Bildungs-
thaͤtigkeit wieder herabſinkt, ergreift und erſchuͤttert faſt alle
organiſchen Syſteme des Koͤrpers gewaltſam, iſt daher in
vieler Hinſicht Veranlaſſung zu krankhaften Erſcheinungen,
und uͤberhaupt eine der merkwuͤrdigſten Revolutionen, welche
im Leben des Weibes, und zwar mehrere Male, Statt fin-
den kann.



krankhaften Gebilde u. ſ. w. (obwohl man allerdings zu weit geht,
wenn man mit manchen Pathologen alle krankhaften Verbildungern
fuͤr Produkte von Entzuͤndungen haͤlt).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0072" n="52"/>
Zeitraume, welcher den monathlichen Typus gerade <hi rendition="#g">zehn-<lb/>
mal</hi> wiederholt, erlangt bey gleichma&#x0364;ßiger Entwicklung des<lb/>
mu&#x0364;tterlichen Bildungsorgans, des Fruchtha&#x0364;lters, auch die<lb/>
Frucht &#x017F;elb&#x017F;t ihre Reife, d. i. das Kind erreicht einen ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en Grad von Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, wobey es auch außer dem<lb/>
mu&#x0364;tterlichen Ko&#x0364;rper &#x017F;ein Leben fortzu&#x017F;etzen fa&#x0364;hig wird, und<lb/>
dieß i&#x017F;t der Grund, welcher die Trennung beider Ko&#x0364;rper<lb/>
herbeyfu&#x0364;hrt.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 72.</head><lb/>
                <p><hi rendition="#g">Geburt</hi>. Wie na&#x0364;mlich etwa zwei Ko&#x0364;rper von gleich-<lb/>
namiger Elektricita&#x0364;t, wie die gleichnamigen Pole der Mag-<lb/>
netnadel &#x017F;ich ab&#x017F;toßen, &#x017F;o &#x017F;ondern &#x017F;ich am Ende der Schwan-<lb/>
ger&#x017F;chaft, &#x017F;obald der Fo&#x0364;tus der Mo&#x0364;glichkeit individueller Exi-<lb/>
&#x017F;tenz nach dem mu&#x0364;tterlichen Ko&#x0364;rper gleich geworden, beyde<lb/>
Ko&#x0364;rper von einander ab, und es erwacht &#x017F;omit im weiblichen<lb/>
Ko&#x0364;rper das Be&#x017F;treben, wieder in den Zu&#x017F;tand, in welchem<lb/>
er vor der Empfa&#x0364;ngniß war, zuru&#x0364;ckzukehren und &#x017F;o die&#x017F;en<lb/>
Cyclus zu be&#x017F;chließen. Vorzu&#x0364;glich deutlich tritt dieß im<lb/>
Fruchtha&#x0364;lter &#x017F;elb&#x017F;t hervor, und er a&#x0364;ußert &#x017F;ich daher bey der<lb/>
Geburt durch Zu&#x017F;ammenziehungen, Contractionen d. i. Wehen,<lb/>
deren Zweck aber zum Theil die Austreibung der Frucht,<lb/>
allein eben &#x017F;o &#x017F;ehr auch die eigene Verkleinerung i&#x017F;t, weßhalb<lb/>
&#x017F;ie auch nach der Geburt fortdauern. &#x2014; Die Geburtstha&#x0364;tig-<lb/>
keit &#x017F;elb&#x017F;t, als einen großen Theil mechani&#x017F;cher Kraft in An&#x017F;pruch<lb/>
nehmend, als den Wendepunkt dar&#x017F;tellend, von welchem aus<lb/>
die in der Schwanger&#x017F;chaft &#x017F;o bedeutend ge&#x017F;teigerte Bildungs-<lb/>
tha&#x0364;tigkeit wieder herab&#x017F;inkt, ergreift und er&#x017F;chu&#x0364;ttert fa&#x017F;t alle<lb/>
organi&#x017F;chen Sy&#x017F;teme des Ko&#x0364;rpers gewalt&#x017F;am, i&#x017F;t daher in<lb/>
vieler Hin&#x017F;icht Veranla&#x017F;&#x017F;ung zu krankhaften Er&#x017F;cheinungen,<lb/>
und u&#x0364;berhaupt eine der merkwu&#x0364;rdig&#x017F;ten Revolutionen, welche<lb/>
im Leben des Weibes, und zwar mehrere Male, Statt fin-<lb/>
den kann.</p><lb/>
                <note xml:id="note-0072" prev="#note-0071" place="foot" n="*)">krankhaften Gebilde u. &#x017F;. w. (obwohl man allerdings zu weit geht,<lb/>
wenn man mit manchen Pathologen <hi rendition="#g">alle</hi> krankhaften Verbildungern<lb/>
fu&#x0364;r Produkte von Entzu&#x0364;ndungen ha&#x0364;lt).</note>
              </div><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0072] Zeitraume, welcher den monathlichen Typus gerade zehn- mal wiederholt, erlangt bey gleichmaͤßiger Entwicklung des muͤtterlichen Bildungsorgans, des Fruchthaͤlters, auch die Frucht ſelbſt ihre Reife, d. i. das Kind erreicht einen ge- wiſſen Grad von Selbſtſtaͤndigkeit, wobey es auch außer dem muͤtterlichen Koͤrper ſein Leben fortzuſetzen faͤhig wird, und dieß iſt der Grund, welcher die Trennung beider Koͤrper herbeyfuͤhrt. §. 72. Geburt. Wie naͤmlich etwa zwei Koͤrper von gleich- namiger Elektricitaͤt, wie die gleichnamigen Pole der Mag- netnadel ſich abſtoßen, ſo ſondern ſich am Ende der Schwan- gerſchaft, ſobald der Foͤtus der Moͤglichkeit individueller Exi- ſtenz nach dem muͤtterlichen Koͤrper gleich geworden, beyde Koͤrper von einander ab, und es erwacht ſomit im weiblichen Koͤrper das Beſtreben, wieder in den Zuſtand, in welchem er vor der Empfaͤngniß war, zuruͤckzukehren und ſo dieſen Cyclus zu beſchließen. Vorzuͤglich deutlich tritt dieß im Fruchthaͤlter ſelbſt hervor, und er aͤußert ſich daher bey der Geburt durch Zuſammenziehungen, Contractionen d. i. Wehen, deren Zweck aber zum Theil die Austreibung der Frucht, allein eben ſo ſehr auch die eigene Verkleinerung iſt, weßhalb ſie auch nach der Geburt fortdauern. — Die Geburtsthaͤtig- keit ſelbſt, als einen großen Theil mechaniſcher Kraft in Anſpruch nehmend, als den Wendepunkt darſtellend, von welchem aus die in der Schwangerſchaft ſo bedeutend geſteigerte Bildungs- thaͤtigkeit wieder herabſinkt, ergreift und erſchuͤttert faſt alle organiſchen Syſteme des Koͤrpers gewaltſam, iſt daher in vieler Hinſicht Veranlaſſung zu krankhaften Erſcheinungen, und uͤberhaupt eine der merkwuͤrdigſten Revolutionen, welche im Leben des Weibes, und zwar mehrere Male, Statt fin- den kann. *) *) krankhaften Gebilde u. ſ. w. (obwohl man allerdings zu weit geht, wenn man mit manchen Pathologen alle krankhaften Verbildungern fuͤr Produkte von Entzuͤndungen haͤlt).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/72
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/72>, abgerufen am 25.04.2024.