Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen diesen Abweg, als den betretensten, vorzüglich
zu warnen.

§. 1140.

Daß man aber in Vermeidung aller Kunsthülfe, im Ver-
trauen auf die Naturwirksamkeit u. s. w. auf keine Weise zu
weit gehen könne, ist ebenfalls nicht zuzugeben, und kann am
besten durch Beispiele aus der Chirurgie und Medicin erläu-
tert und dargelegt werden. Würde es z. B. nicht der ge-
sunden Vernunft zuwider laufen, bei irgend einem beträcht-
lichen Ertravasate wo die ausgetretene Flüßigkeit durch einige
gemachte Einschnitte leicht fortgeschaft werden könnte, diese
Einschnitte blos deshalb nicht zu machen, weil die Natur viel-
leicht, wenn auch erst in längerer Zeit, es mit weit größerem
Kräfteverlust, durch Eiterung und Resorption die ausgetrete-
nen Stoffe selbst zu beseitigen vermöchte? -- oder eine Wunde
nicht zu verbinden, weil sie vielleicht auch ohne dieß heilen
würde? -- oder bei Ueberfüllung des Magens das Brechmit-
tel nicht zu geben, weil nach und nach die Contenta ja
wohl auch durch den Darmkanal sich entleeren könnten? --
Ueberhaupt haben wir zu bedenken, daß nicht blos Lebenser-
haltung, sondern auch Erleichterung, Schmerzenlinderung, ein
würdiges Geschäft der Kunst sey, und daß sie auch zu diesem
Behufe angewendet zu werden verdiene, sobald wichtigere
Zwecke dadurch nicht gefährdet werden. *)

§. 1141.

Wir kommen zweitens zur Aufzählung der allgemeinen,
zu beobachtenden Regeln bei Anwendung geburtshülflicher Ope-

*) S. ein mehreres über diese Gegenstände bei W. J. Schmitt
über obstetricische Kunst und Künstelei, (Siebolds Journal f.
Geburtsh. 2. Bd. 1. St.) und bei Nolde über die Gränzen der
Natur und Kunst in der Geburtshülfe; in dessen Beiträgen zur
Geburtshülfe 3. Bd. 1811. (Beide Abhandlungen sind auch be-
sonders gedruckt.)

gegen dieſen Abweg, als den betretenſten, vorzuͤglich
zu warnen.

§. 1140.

Daß man aber in Vermeidung aller Kunſthuͤlfe, im Ver-
trauen auf die Naturwirkſamkeit u. ſ. w. auf keine Weiſe zu
weit gehen koͤnne, iſt ebenfalls nicht zuzugeben, und kann am
beſten durch Beiſpiele aus der Chirurgie und Medicin erlaͤu-
tert und dargelegt werden. Wuͤrde es z. B. nicht der ge-
ſunden Vernunft zuwider laufen, bei irgend einem betraͤcht-
lichen Ertravaſate wo die ausgetretene Fluͤßigkeit durch einige
gemachte Einſchnitte leicht fortgeſchaft werden koͤnnte, dieſe
Einſchnitte blos deshalb nicht zu machen, weil die Natur viel-
leicht, wenn auch erſt in laͤngerer Zeit, es mit weit groͤßerem
Kraͤfteverluſt, durch Eiterung und Reſorption die ausgetrete-
nen Stoffe ſelbſt zu beſeitigen vermoͤchte? — oder eine Wunde
nicht zu verbinden, weil ſie vielleicht auch ohne dieß heilen
wuͤrde? — oder bei Ueberfuͤllung des Magens das Brechmit-
tel nicht zu geben, weil nach und nach die Contenta ja
wohl auch durch den Darmkanal ſich entleeren koͤnnten? —
Ueberhaupt haben wir zu bedenken, daß nicht blos Lebenser-
haltung, ſondern auch Erleichterung, Schmerzenlinderung, ein
wuͤrdiges Geſchaͤft der Kunſt ſey, und daß ſie auch zu dieſem
Behufe angewendet zu werden verdiene, ſobald wichtigere
Zwecke dadurch nicht gefaͤhrdet werden. *)

§. 1141.

Wir kommen zweitens zur Aufzaͤhlung der allgemeinen,
zu beobachtenden Regeln bei Anwendung geburtshuͤlflicher Ope-

*) S. ein mehreres uͤber dieſe Gegenſtaͤnde bei W. J. Schmitt
uͤber obſtetriciſche Kunſt und Kuͤnſtelei, (Siebolds Journal f.
Geburtsh. 2. Bd. 1. St.) und bei Nolde uͤber die Graͤnzen der
Natur und Kunſt in der Geburtshuͤlfe; in deſſen Beitraͤgen zur
Geburtshuͤlfe 3. Bd. 1811. (Beide Abhandlungen ſind auch be-
ſonders gedruckt.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0316" n="292"/>
gegen <hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi> Abweg, <hi rendition="#g">als den betreten&#x017F;ten</hi>, vorzu&#x0364;glich<lb/>
zu warnen.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 1140.</head><lb/>
                <p>Daß man aber in Vermeidung aller Kun&#x017F;thu&#x0364;lfe, im Ver-<lb/>
trauen auf die Naturwirk&#x017F;amkeit u. &#x017F;. w. auf keine Wei&#x017F;e zu<lb/>
weit gehen ko&#x0364;nne, i&#x017F;t ebenfalls nicht zuzugeben, und kann am<lb/>
be&#x017F;ten durch Bei&#x017F;piele aus der Chirurgie und Medicin erla&#x0364;u-<lb/>
tert und dargelegt werden. Wu&#x0364;rde es z. B. nicht der ge-<lb/>
&#x017F;unden Vernunft zuwider laufen, bei irgend einem betra&#x0364;cht-<lb/>
lichen Ertrava&#x017F;ate wo die ausgetretene Flu&#x0364;ßigkeit durch einige<lb/>
gemachte Ein&#x017F;chnitte leicht fortge&#x017F;chaft werden ko&#x0364;nnte, die&#x017F;e<lb/>
Ein&#x017F;chnitte blos deshalb nicht zu machen, weil die Natur viel-<lb/>
leicht, wenn auch er&#x017F;t in la&#x0364;ngerer Zeit, es mit weit gro&#x0364;ßerem<lb/>
Kra&#x0364;fteverlu&#x017F;t, durch Eiterung und Re&#x017F;orption die ausgetrete-<lb/>
nen Stoffe &#x017F;elb&#x017F;t zu be&#x017F;eitigen vermo&#x0364;chte? &#x2014; oder eine Wunde<lb/>
nicht zu verbinden, weil &#x017F;ie vielleicht auch ohne dieß heilen<lb/>
wu&#x0364;rde? &#x2014; oder bei Ueberfu&#x0364;llung des Magens das Brechmit-<lb/>
tel nicht zu geben, weil nach und nach die <hi rendition="#aq">Contenta</hi> ja<lb/>
wohl auch durch den Darmkanal &#x017F;ich entleeren ko&#x0364;nnten? &#x2014;<lb/>
Ueberhaupt haben wir zu bedenken, daß nicht blos Lebenser-<lb/>
haltung, &#x017F;ondern auch Erleichterung, Schmerzenlinderung, ein<lb/>
wu&#x0364;rdiges Ge&#x017F;cha&#x0364;ft der Kun&#x017F;t &#x017F;ey, und daß &#x017F;ie auch zu die&#x017F;em<lb/>
Behufe angewendet zu werden verdiene, &#x017F;obald wichtigere<lb/>
Zwecke dadurch nicht gefa&#x0364;hrdet werden. <note place="foot" n="*)">S. ein mehreres u&#x0364;ber die&#x017F;e Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde bei W. J. <hi rendition="#g">Schmitt</hi><lb/>
u&#x0364;ber ob&#x017F;tetrici&#x017F;che Kun&#x017F;t und Ku&#x0364;n&#x017F;telei, (<hi rendition="#g">Siebolds</hi> Journal f.<lb/>
Geburtsh. 2. Bd. 1. St.) und bei <hi rendition="#g">Nolde</hi> u&#x0364;ber die Gra&#x0364;nzen der<lb/>
Natur und Kun&#x017F;t in der Geburtshu&#x0364;lfe; in de&#x017F;&#x017F;en Beitra&#x0364;gen zur<lb/>
Geburtshu&#x0364;lfe 3. Bd. 1811. (Beide Abhandlungen &#x017F;ind auch be-<lb/>
&#x017F;onders gedruckt.)</note></p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 1141.</head><lb/>
                <p>Wir kommen zweitens zur Aufza&#x0364;hlung der allgemeinen,<lb/>
zu beobachtenden Regeln bei Anwendung geburtshu&#x0364;lflicher Ope-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0316] gegen dieſen Abweg, als den betretenſten, vorzuͤglich zu warnen. §. 1140. Daß man aber in Vermeidung aller Kunſthuͤlfe, im Ver- trauen auf die Naturwirkſamkeit u. ſ. w. auf keine Weiſe zu weit gehen koͤnne, iſt ebenfalls nicht zuzugeben, und kann am beſten durch Beiſpiele aus der Chirurgie und Medicin erlaͤu- tert und dargelegt werden. Wuͤrde es z. B. nicht der ge- ſunden Vernunft zuwider laufen, bei irgend einem betraͤcht- lichen Ertravaſate wo die ausgetretene Fluͤßigkeit durch einige gemachte Einſchnitte leicht fortgeſchaft werden koͤnnte, dieſe Einſchnitte blos deshalb nicht zu machen, weil die Natur viel- leicht, wenn auch erſt in laͤngerer Zeit, es mit weit groͤßerem Kraͤfteverluſt, durch Eiterung und Reſorption die ausgetrete- nen Stoffe ſelbſt zu beſeitigen vermoͤchte? — oder eine Wunde nicht zu verbinden, weil ſie vielleicht auch ohne dieß heilen wuͤrde? — oder bei Ueberfuͤllung des Magens das Brechmit- tel nicht zu geben, weil nach und nach die Contenta ja wohl auch durch den Darmkanal ſich entleeren koͤnnten? — Ueberhaupt haben wir zu bedenken, daß nicht blos Lebenser- haltung, ſondern auch Erleichterung, Schmerzenlinderung, ein wuͤrdiges Geſchaͤft der Kunſt ſey, und daß ſie auch zu dieſem Behufe angewendet zu werden verdiene, ſobald wichtigere Zwecke dadurch nicht gefaͤhrdet werden. *) §. 1141. Wir kommen zweitens zur Aufzaͤhlung der allgemeinen, zu beobachtenden Regeln bei Anwendung geburtshuͤlflicher Ope- *) S. ein mehreres uͤber dieſe Gegenſtaͤnde bei W. J. Schmitt uͤber obſtetriciſche Kunſt und Kuͤnſtelei, (Siebolds Journal f. Geburtsh. 2. Bd. 1. St.) und bei Nolde uͤber die Graͤnzen der Natur und Kunſt in der Geburtshuͤlfe; in deſſen Beitraͤgen zur Geburtshuͤlfe 3. Bd. 1811. (Beide Abhandlungen ſind auch be- ſonders gedruckt.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/316
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/316>, abgerufen am 25.04.2024.