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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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diesem Gleichnisse auch ihr gleichzeitig Vorhandensein,
ihr zum Theil sich gegenseitig bedingen (z. B. so daß die
Vorstellung des Sterbens, der Trennung, des Krankseins
am meisten mit trüben schwermüthigen Gefühlen sich ver¬
bindet) und doch auch wieder zum größern Theil ihr völlig
Unabhängigsein von einander, vollkommen verständlich.
Das worin beiderlei Seelenregungen sich am nächsten ste¬
hen, erscheint besonders darin, daß beiderlei Arten, einmal
vorhanden, auch an der ewigen Wesenheit der Seele ver¬
harrend Theil haben, d. h. daß sie beide in der Erinne¬
rung vorhanden bleiben und theils absichtlich wieder aufge¬
regt werden können, theils nach einem gewissen Kreislaufe
selbst wiederkehren. Absichtlich können jedoch dann die Ge¬
fühle nicht unmittelbar, sondern nur mittels der ihnen
homogenen Vorstellungen
wieder angeregt werden.
In Wahrheit sind alle diese Verhältnisse sehr merkwürdig,
und es muß in einem spätern Abschnitte die Geschichte die¬
ser Regungen uns noch im Einzelnen beschäftigen. Gegen¬
wärtig kam es nur darauf an zu zeigen wie die Welt des
unbewußten Lebens in uns überhaupt in das bewußte Leben
eingehe und es bestimme, womit übrigens keineswegs aus¬
geschlossen ist, daß nicht auch das bewußte Leben wieder
auf das mannichfaltigste das unbewußte wirklich und viel¬
fältigst bestimme, wovon nun im Folgenden ausführlicher
zu handeln ist.

c. Von der Art und Weise wie das bewußte Seelenleben auf das
unbewußte einwirkt.

Die ganze Geschichte der gesunden psychischen Entwick¬
lung des Menschen zeigt ein fortwährendes Wachsthum der
bewußten Region seines Seelenlebens und ein Zunehmen
des Bestimmtwerdens des Unbewußten durch das Bewußte.
Das Reich des Unbewußten, welches früher alles Leben um¬
faßte, vermindert sich von Stufe zu Stufe, und das was

dieſem Gleichniſſe auch ihr gleichzeitig Vorhandenſein,
ihr zum Theil ſich gegenſeitig bedingen (z. B. ſo daß die
Vorſtellung des Sterbens, der Trennung, des Krankſeins
am meiſten mit trüben ſchwermüthigen Gefühlen ſich ver¬
bindet) und doch auch wieder zum größern Theil ihr völlig
Unabhängigſein von einander, vollkommen verſtändlich.
Das worin beiderlei Seelenregungen ſich am nächſten ſte¬
hen, erſcheint beſonders darin, daß beiderlei Arten, einmal
vorhanden, auch an der ewigen Weſenheit der Seele ver¬
harrend Theil haben, d. h. daß ſie beide in der Erinne¬
rung vorhanden bleiben und theils abſichtlich wieder aufge¬
regt werden können, theils nach einem gewiſſen Kreislaufe
ſelbſt wiederkehren. Abſichtlich können jedoch dann die Ge¬
fühle nicht unmittelbar, ſondern nur mittels der ihnen
homogenen Vorſtellungen
wieder angeregt werden.
In Wahrheit ſind alle dieſe Verhältniſſe ſehr merkwürdig,
und es muß in einem ſpätern Abſchnitte die Geſchichte die¬
ſer Regungen uns noch im Einzelnen beſchäftigen. Gegen¬
wärtig kam es nur darauf an zu zeigen wie die Welt des
unbewußten Lebens in uns überhaupt in das bewußte Leben
eingehe und es beſtimme, womit übrigens keineswegs aus¬
geſchloſſen iſt, daß nicht auch das bewußte Leben wieder
auf das mannichfaltigſte das unbewußte wirklich und viel¬
fältigſt beſtimme, wovon nun im Folgenden ausführlicher
zu handeln iſt.

c. Von der Art und Weiſe wie das bewußte Seelenleben auf das
unbewußte einwirkt.

Die ganze Geſchichte der geſunden pſychiſchen Entwick¬
lung des Menſchen zeigt ein fortwährendes Wachsthum der
bewußten Region ſeines Seelenlebens und ein Zunehmen
des Beſtimmtwerdens des Unbewußten durch das Bewußte.
Das Reich des Unbewußten, welches früher alles Leben um¬
faßte, vermindert ſich von Stufe zu Stufe, und das was

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[195/0211] dieſem Gleichniſſe auch ihr gleichzeitig Vorhandenſein, ihr zum Theil ſich gegenſeitig bedingen (z. B. ſo daß die Vorſtellung des Sterbens, der Trennung, des Krankſeins am meiſten mit trüben ſchwermüthigen Gefühlen ſich ver¬ bindet) und doch auch wieder zum größern Theil ihr völlig Unabhängigſein von einander, vollkommen verſtändlich. Das worin beiderlei Seelenregungen ſich am nächſten ſte¬ hen, erſcheint beſonders darin, daß beiderlei Arten, einmal vorhanden, auch an der ewigen Weſenheit der Seele ver¬ harrend Theil haben, d. h. daß ſie beide in der Erinne¬ rung vorhanden bleiben und theils abſichtlich wieder aufge¬ regt werden können, theils nach einem gewiſſen Kreislaufe ſelbſt wiederkehren. Abſichtlich können jedoch dann die Ge¬ fühle nicht unmittelbar, ſondern nur mittels der ihnen homogenen Vorſtellungen wieder angeregt werden. In Wahrheit ſind alle dieſe Verhältniſſe ſehr merkwürdig, und es muß in einem ſpätern Abſchnitte die Geſchichte die¬ ſer Regungen uns noch im Einzelnen beſchäftigen. Gegen¬ wärtig kam es nur darauf an zu zeigen wie die Welt des unbewußten Lebens in uns überhaupt in das bewußte Leben eingehe und es beſtimme, womit übrigens keineswegs aus¬ geſchloſſen iſt, daß nicht auch das bewußte Leben wieder auf das mannichfaltigſte das unbewußte wirklich und viel¬ fältigſt beſtimme, wovon nun im Folgenden ausführlicher zu handeln iſt. c. Von der Art und Weiſe wie das bewußte Seelenleben auf das unbewußte einwirkt. Die ganze Geſchichte der geſunden pſychiſchen Entwick¬ lung des Menſchen zeigt ein fortwährendes Wachsthum der bewußten Region ſeines Seelenlebens und ein Zunehmen des Beſtimmtwerdens des Unbewußten durch das Bewußte. Das Reich des Unbewußten, welches früher alles Leben um¬ faßte, vermindert ſich von Stufe zu Stufe, und das was

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/211>, abgerufen am 20.04.2024.