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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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daß er den früheren Perioden schon deßhalb weniger ange¬
messen sein könne, weil gerade dort die fortgehenden Os¬
cillationen des Gemüthlebens die wesentlichsten Momente ab¬
geben, um die Entwicklung und das Fortwachsen der Seele
zu fördern.

b. Zur Geschichte der Erkenntniß.

Die Möglichkeit aller Erkenntniß ruht theils auf äußerm,
theils auf innerm Grunde. Der innere ist die Idee selbst,
das Göttliche in uns; denn wären wir nicht in Wahrheit
durch Gottes Gnade, lebte nicht gerade im normalen
Menschen eine eigenthümliche Gottesidee sich dar, so könnte
von Erkenntniß überhaupt nicht die Rede sein, da Erken¬
nen eigentlich, wie die Griechen es längst ausdrückten, nur
ein Er-innern ist, d. h. nur darauf abzwecken kann,
daß der Mensch sich innerlich selbst mehr und mehr gewahr
werde; ist doch nämlich das Göttliche ewig wesentlich sich
selbst gleich, und, wenn auch noch so tausend und tausend¬
fältig sich offenbarend, so ist doch die Möglichkeit
alles Wirklichen eigentlich in jeder göttlichen
Monas
, in jedem Theil-göttlichen enthalten,
dergestalt, daß, je mehr die Idee ihr eigenstes ewig un¬
ergründliches Wesen in allen seinen Phasen gewahr wird,
um so mehr sie auch von aller göttlichen Offen¬
barung
überhaupt erkennen muß, und weiß. -- Der
äußere Grund des Erkennens ist der Conflict mit andern
Ideen. Keine Idee kann aber an und für sich eine an¬
dere Idee vernehmen, 1 sondern sie vernehmen sich nur in
wie fern sie irgendwie ihr inneres Göttliche auch äußerlich
natürlich darleben. Die durch unbewußtes Wirken der Idee
sich hervorbildenden Seiten des Organismus mittels welcher
ein zum Bewußtsein dringender Conflict mit den Offen¬

1 Von dem Dasein einer Idee an und für sich, ohne irgend eine
Art von Offenbarung, können wir überhaupt schlechterdings keine Vor¬
stellung haben.

daß er den früheren Perioden ſchon deßhalb weniger ange¬
meſſen ſein könne, weil gerade dort die fortgehenden Os¬
cillationen des Gemüthlebens die weſentlichſten Momente ab¬
geben, um die Entwicklung und das Fortwachſen der Seele
zu fördern.

β. Zur Geſchichte der Erkenntniß.

Die Möglichkeit aller Erkenntniß ruht theils auf äußerm,
theils auf innerm Grunde. Der innere iſt die Idee ſelbſt,
das Göttliche in uns; denn wären wir nicht in Wahrheit
durch Gottes Gnade, lebte nicht gerade im normalen
Menſchen eine eigenthümliche Gottesidee ſich dar, ſo könnte
von Erkenntniß überhaupt nicht die Rede ſein, da Erken¬
nen eigentlich, wie die Griechen es längſt ausdrückten, nur
ein Er-innern iſt, d. h. nur darauf abzwecken kann,
daß der Menſch ſich innerlich ſelbſt mehr und mehr gewahr
werde; iſt doch nämlich das Göttliche ewig weſentlich ſich
ſelbſt gleich, und, wenn auch noch ſo tauſend und tauſend¬
fältig ſich offenbarend, ſo iſt doch die Möglichkeit
alles Wirklichen eigentlich in jeder göttlichen
Monas
, in jedem Theil-göttlichen enthalten,
dergeſtalt, daß, je mehr die Idee ihr eigenſtes ewig un¬
ergründliches Weſen in allen ſeinen Phaſen gewahr wird,
um ſo mehr ſie auch von aller göttlichen Offen¬
barung
überhaupt erkennen muß, und weiß. — Der
äußere Grund des Erkennens iſt der Conflict mit andern
Ideen. Keine Idee kann aber an und für ſich eine an¬
dere Idee vernehmen, 1 ſondern ſie vernehmen ſich nur in
wie fern ſie irgendwie ihr inneres Göttliche auch äußerlich
natürlich darleben. Die durch unbewußtes Wirken der Idee
ſich hervorbildenden Seiten des Organismus mittels welcher
ein zum Bewußtſein dringender Conflict mit den Offen¬

1 Von dem Daſein einer Idee an und für ſich, ohne irgend eine
Art von Offenbarung, können wir überhaupt ſchlechterdings keine Vor¬
ſtellung haben.
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[328/0344] daß er den früheren Perioden ſchon deßhalb weniger ange¬ meſſen ſein könne, weil gerade dort die fortgehenden Os¬ cillationen des Gemüthlebens die weſentlichſten Momente ab¬ geben, um die Entwicklung und das Fortwachſen der Seele zu fördern. β. Zur Geſchichte der Erkenntniß. Die Möglichkeit aller Erkenntniß ruht theils auf äußerm, theils auf innerm Grunde. Der innere iſt die Idee ſelbſt, das Göttliche in uns; denn wären wir nicht in Wahrheit durch Gottes Gnade, lebte nicht gerade im normalen Menſchen eine eigenthümliche Gottesidee ſich dar, ſo könnte von Erkenntniß überhaupt nicht die Rede ſein, da Erken¬ nen eigentlich, wie die Griechen es längſt ausdrückten, nur ein Er-innern iſt, d. h. nur darauf abzwecken kann, daß der Menſch ſich innerlich ſelbſt mehr und mehr gewahr werde; iſt doch nämlich das Göttliche ewig weſentlich ſich ſelbſt gleich, und, wenn auch noch ſo tauſend und tauſend¬ fältig ſich offenbarend, ſo iſt doch die Möglichkeit alles Wirklichen eigentlich in jeder göttlichen Monas, in jedem Theil-göttlichen enthalten, dergeſtalt, daß, je mehr die Idee ihr eigenſtes ewig un¬ ergründliches Weſen in allen ſeinen Phaſen gewahr wird, um ſo mehr ſie auch von aller göttlichen Offen¬ barung überhaupt erkennen muß, und weiß. — Der äußere Grund des Erkennens iſt der Conflict mit andern Ideen. Keine Idee kann aber an und für ſich eine an¬ dere Idee vernehmen, 1 ſondern ſie vernehmen ſich nur in wie fern ſie irgendwie ihr inneres Göttliche auch äußerlich natürlich darleben. Die durch unbewußtes Wirken der Idee ſich hervorbildenden Seiten des Organismus mittels welcher ein zum Bewußtſein dringender Conflict mit den Offen¬ 1 Von dem Daſein einer Idee an und für ſich, ohne irgend eine Art von Offenbarung, können wir überhaupt ſchlechterdings keine Vor¬ ſtellung haben.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/344>, abgerufen am 28.03.2024.