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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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II. Vom bewußten Leben der Seele.

Wenn es das erste unergründliche Wunder zu nen¬
nen ist, daß überhaupt eine Welt wirklich geworden, daß
sie entstanden -- erschaffen sei-- so ist es das zweite --
eben so nur überhaupt anzuerkennende, in seinen Folgen
zu betrachtende und in seinem Entstehen eben so wenig zu
ergründende -- daß es ein Bewußtsein gibt -- daß
gewisse Ideen nicht bloß als Gedanken eines Höhern,
Göttlichen, Ewigen existiren, sondern daß diese Gedanken
selbst in sich unter gewissen Bedingungen zur Selbstanschau¬
ung, zum Bewußtsein, zum Wissen von der Welt, von
sich, und von Gott gelangen können, und daß dadurch die
zweite
Welt entstehen, in uns erschaffen werden könne --
eine Welt nach der natürlichen Welt -- die Welt
des Geistes
. Der Akt durch welchen in der Idee, in
dem was uranfänglich unbewußt, oder was dasselbe für
uns ist, im allgemeinen göttlichen Bewußtsein seiend und
waltend existirt, das Bewußtsein sich erschließt,
das Bewußtsein vermöge dessen die Idee, von dem Mo¬
ment des Bewußtwerden an, nicht mehr bloß ein Göttliches
ist, sondern auch als ein Göttliches sich empfindet, und
die Möglichkeit erhalten hat, allmählig immer klarer von
der Welt, von sich und von Gott zu wissen, dieser Akt
wird für uns immer ein durchaus nicht weiter erklärlicher,

II. Vom bewußten Leben der Seele.

Wenn es das erſte unergründliche Wunder zu nen¬
nen iſt, daß überhaupt eine Welt wirklich geworden, daß
ſie entſtanden — erſchaffen ſei— ſo iſt es das zweite
eben ſo nur überhaupt anzuerkennende, in ſeinen Folgen
zu betrachtende und in ſeinem Entſtehen eben ſo wenig zu
ergründende — daß es ein Bewußtſein gibt — daß
gewiſſe Ideen nicht bloß als Gedanken eines Höhern,
Göttlichen, Ewigen exiſtiren, ſondern daß dieſe Gedanken
ſelbſt in ſich unter gewiſſen Bedingungen zur Selbſtanſchau¬
ung, zum Bewußtſein, zum Wiſſen von der Welt, von
ſich, und von Gott gelangen können, und daß dadurch die
zweite
Welt entſtehen, in uns erſchaffen werden könne —
eine Welt nach der natürlichen Weltdie Welt
des Geiſtes
. Der Akt durch welchen in der Idee, in
dem was uranfänglich unbewußt, oder was daſſelbe für
uns iſt, im allgemeinen göttlichen Bewußtſein ſeiend und
waltend exiſtirt, das Bewußtſein ſich erſchließt,
das Bewußtſein vermöge deſſen die Idee, von dem Mo¬
ment des Bewußtwerden an, nicht mehr bloß ein Göttliches
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[[96]/0112] II. Vom bewußten Leben der Seele. Wenn es das erſte unergründliche Wunder zu nen¬ nen iſt, daß überhaupt eine Welt wirklich geworden, daß ſie entſtanden — erſchaffen ſei— ſo iſt es das zweite — eben ſo nur überhaupt anzuerkennende, in ſeinen Folgen zu betrachtende und in ſeinem Entſtehen eben ſo wenig zu ergründende — daß es ein Bewußtſein gibt — daß gewiſſe Ideen nicht bloß als Gedanken eines Höhern, Göttlichen, Ewigen exiſtiren, ſondern daß dieſe Gedanken ſelbſt in ſich unter gewiſſen Bedingungen zur Selbſtanſchau¬ ung, zum Bewußtſein, zum Wiſſen von der Welt, von ſich, und von Gott gelangen können, und daß dadurch die zweite Welt entſtehen, in uns erſchaffen werden könne — eine Welt nach der natürlichen Welt — die Welt des Geiſtes. Der Akt durch welchen in der Idee, in dem was uranfänglich unbewußt, oder was daſſelbe für uns iſt, im allgemeinen göttlichen Bewußtſein ſeiend und waltend exiſtirt, das Bewußtſein ſich erſchließt, das Bewußtſein vermöge deſſen die Idee, von dem Mo¬ ment des Bewußtwerden an, nicht mehr bloß ein Göttliches iſt, ſondern auch als ein Göttliches ſich empfindet, und die Möglichkeit erhalten hat, allmählig immer klarer von der Welt, von ſich und von Gott zu wiſſen, dieſer Akt wird für uns immer ein durchaus nicht weiter erklärlicher,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. [96]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/112>, abgerufen am 29.03.2024.