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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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des Geschlechts, dieser wieder auf andre Weise als der
Zustand der Blutbewegung und Athmung u. s. w. Die
Sprache hat nun schon dafür gesorgt, daß wir diese Re¬
gungen, welche der bewußten Seele auf solchem Wege
kommen, bestimmt unterscheiden von dem was ihr von den
Sinnesorganen aus zugeführt wird.

Wenn nämlich durch das letztere das bedingt wird,
was wir Vorstellungen nennen, so bedingt dagegen,
wie bereits erwähnt, das was aus diesen verschiedenen
Lebenkreisen des Unbewußten dem Bewußtsein zugebracht
wird, jene Zustände der Seele, welche mit dem Namen der
Gefühle bezeichnet werden, und man kann sich nun wohl
überzeugen, daß auch hier nur der ganz scharf verfolgte
genetische physiologisch-psychologische Weg dazu führt, einen
klaren und wahrhaft angemessenen Unterschied aufzustellen
zwischen dem was Gefühle und was Vorstellungen genannt
werden soll. So ist es denn jetzt erst zu verstehen, in wie
fern der Bereich der Gefühle in gewisser Beziehung weit
beschränkter sein muß als der der Vorstellungen, denn in
den letztern spiegelt sich die ganze unendliche äußere Welt
mit allen ihren stets wechselnden Erscheinungen, in den
erstern dagegen bildet sich nur ab die Stimmung der ver¬
schiedenen innern Sphären des endlichen Organismus.
Allerdings haben dafür die Gefühle in sich wieder eine
eigenthümliche Unendlichkeit, und namentlich dadurch, daß
unendliche Grade der geringern oder größern Lebendigkeit
und Tiefe, und unendliche Combinationen verschiedener Ge¬
fühle vorkommen können, einen Umfang, welcher dem der
Vorstellungswelt wieder ganz gleich wird; allein immer
bleibt hier die auf- und abwärts zu durchlaufende Skala
im Ganzen dieselbe, während die Welt der Vorstellungen
nach immer neuen Seiten anwachsen kann. Die Ver¬
schiedenheit
beider Arten von Regungen der Seele läßt
sich wirklich nicht besser vergleichen als mit dem Verschie¬
densein von Formen und Farben, und namentlich wird in

des Geſchlechts, dieſer wieder auf andre Weiſe als der
Zuſtand der Blutbewegung und Athmung u. ſ. w. Die
Sprache hat nun ſchon dafür geſorgt, daß wir dieſe Re¬
gungen, welche der bewußten Seele auf ſolchem Wege
kommen, beſtimmt unterſcheiden von dem was ihr von den
Sinnesorganen aus zugeführt wird.

Wenn nämlich durch das letztere das bedingt wird,
was wir Vorſtellungen nennen, ſo bedingt dagegen,
wie bereits erwähnt, das was aus dieſen verſchiedenen
Lebenkreiſen des Unbewußten dem Bewußtſein zugebracht
wird, jene Zuſtände der Seele, welche mit dem Namen der
Gefühle bezeichnet werden, und man kann ſich nun wohl
überzeugen, daß auch hier nur der ganz ſcharf verfolgte
genetiſche phyſiologiſch-pſychologiſche Weg dazu führt, einen
klaren und wahrhaft angemeſſenen Unterſchied aufzuſtellen
zwiſchen dem was Gefühle und was Vorſtellungen genannt
werden ſoll. So iſt es denn jetzt erſt zu verſtehen, in wie
fern der Bereich der Gefühle in gewiſſer Beziehung weit
beſchränkter ſein muß als der der Vorſtellungen, denn in
den letztern ſpiegelt ſich die ganze unendliche äußere Welt
mit allen ihren ſtets wechſelnden Erſcheinungen, in den
erſtern dagegen bildet ſich nur ab die Stimmung der ver¬
ſchiedenen innern Sphären des endlichen Organismus.
Allerdings haben dafür die Gefühle in ſich wieder eine
eigenthümliche Unendlichkeit, und namentlich dadurch, daß
unendliche Grade der geringern oder größern Lebendigkeit
und Tiefe, und unendliche Combinationen verſchiedener Ge¬
fühle vorkommen können, einen Umfang, welcher dem der
Vorſtellungswelt wieder ganz gleich wird; allein immer
bleibt hier die auf- und abwärts zu durchlaufende Skala
im Ganzen dieſelbe, während die Welt der Vorſtellungen
nach immer neuen Seiten anwachſen kann. Die Ver¬
ſchiedenheit
beider Arten von Regungen der Seele läßt
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[194/0210] des Geſchlechts, dieſer wieder auf andre Weiſe als der Zuſtand der Blutbewegung und Athmung u. ſ. w. Die Sprache hat nun ſchon dafür geſorgt, daß wir dieſe Re¬ gungen, welche der bewußten Seele auf ſolchem Wege kommen, beſtimmt unterſcheiden von dem was ihr von den Sinnesorganen aus zugeführt wird. Wenn nämlich durch das letztere das bedingt wird, was wir Vorſtellungen nennen, ſo bedingt dagegen, wie bereits erwähnt, das was aus dieſen verſchiedenen Lebenkreiſen des Unbewußten dem Bewußtſein zugebracht wird, jene Zuſtände der Seele, welche mit dem Namen der Gefühle bezeichnet werden, und man kann ſich nun wohl überzeugen, daß auch hier nur der ganz ſcharf verfolgte genetiſche phyſiologiſch-pſychologiſche Weg dazu führt, einen klaren und wahrhaft angemeſſenen Unterſchied aufzuſtellen zwiſchen dem was Gefühle und was Vorſtellungen genannt werden ſoll. So iſt es denn jetzt erſt zu verſtehen, in wie fern der Bereich der Gefühle in gewiſſer Beziehung weit beſchränkter ſein muß als der der Vorſtellungen, denn in den letztern ſpiegelt ſich die ganze unendliche äußere Welt mit allen ihren ſtets wechſelnden Erſcheinungen, in den erſtern dagegen bildet ſich nur ab die Stimmung der ver¬ ſchiedenen innern Sphären des endlichen Organismus. Allerdings haben dafür die Gefühle in ſich wieder eine eigenthümliche Unendlichkeit, und namentlich dadurch, daß unendliche Grade der geringern oder größern Lebendigkeit und Tiefe, und unendliche Combinationen verſchiedener Ge¬ fühle vorkommen können, einen Umfang, welcher dem der Vorſtellungswelt wieder ganz gleich wird; allein immer bleibt hier die auf- und abwärts zu durchlaufende Skala im Ganzen dieſelbe, während die Welt der Vorſtellungen nach immer neuen Seiten anwachſen kann. Die Ver¬ ſchiedenheit beider Arten von Regungen der Seele läßt ſich wirklich nicht beſſer vergleichen als mit dem Verſchie¬ denſein von Formen und Farben, und namentlich wird in

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/210>, abgerufen am 29.03.2024.