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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Doch es sei dies genug um Dasjenige anzudeuten
wodurch die Verständigung über die scheinbar so unerklär¬
lichen Zustände des Traumlebens allein vollkommen ge¬
lingen kann; es bleibt uns gegenwärtig noch ein andres
Moment in der psychologischen Geschichte des Schlafs zu
erörtern übrig, und dies ist die wiederherstellende, erneuende,
kräftigende Eigenthümlichkeit desselben. Man hat dies ins¬
gemein bloß durch das "Ausruhen" zu erklären versucht
und nicht bedacht, daß doch noch ein großer Unterschied
bleibt zwischen Ausruhen und Schlafen. Wir können eben
so still uns verhalten, eben so bequem liegen, und, wenn
uns der Schlaf flieht, werden wir nicht diejenige Kräftigung
und Wiederherstellung empfinden als uns oft eine ganz
kurze Zeit festen Schlafs gewährt. Es ist also abermals
daran zu erinnern was wir von dem unbewußten Leben
überhaupt ausgesagt haben, nämlich daß es, als solches
das nicht kenne was wir Ermüdung nennen, eben so wenig
als es, um eine Thätigkeit auszuüben, der Vorbereitung
und Einübung bedarf. Hierin liegt es also vorzüglich wenn
wir vom Schlafe, eben weil hier das Bewußte zeitweise
im Unbewußten untergeht, jene eigenthümliche Erquickung
erfahren, welche ihn zu einer unentbehrlichen Bedingung
unsers ganzen Daseins werden läßt. Aber nicht bloß eine
vorübergehende Erquickung sollen wir im Schlafe finden,
sondern wir können theils durch diese, theils darum, weil
eigentlich das unbewußte Leben auch am entschiedensten die
Krankheit negirt (worüber ebenfalls früher das Nähere be¬
sprochen worden ist) auch von krankhaften Zuständen die
Heilung hier eher als im Wachen finden, und eben weil
dem so ist, richtet sich, wie schon oben bemerkt wurde, jenes
traumartige Erkennen, welches sonderbarer Weise "Hell¬
sehen" genannt worden ist, da es doch eben kein vollkommen
helles d. i. durchaus bewußtes Sehen ist, sobald es mit
einer gewissen Reinheit sich entwickelt, ganz wesentlich gegen
Deutlichmachen der Mittel zur eignen Genesung.

Carus, Psyche. 15

Doch es ſei dies genug um Dasjenige anzudeuten
wodurch die Verſtändigung über die ſcheinbar ſo unerklär¬
lichen Zuſtände des Traumlebens allein vollkommen ge¬
lingen kann; es bleibt uns gegenwärtig noch ein andres
Moment in der pſychologiſchen Geſchichte des Schlafs zu
erörtern übrig, und dies iſt die wiederherſtellende, erneuende,
kräftigende Eigenthümlichkeit deſſelben. Man hat dies ins¬
gemein bloß durch das „Ausruhen“ zu erklären verſucht
und nicht bedacht, daß doch noch ein großer Unterſchied
bleibt zwiſchen Ausruhen und Schlafen. Wir können eben
ſo ſtill uns verhalten, eben ſo bequem liegen, und, wenn
uns der Schlaf flieht, werden wir nicht diejenige Kräftigung
und Wiederherſtellung empfinden als uns oft eine ganz
kurze Zeit feſten Schlafs gewährt. Es iſt alſo abermals
daran zu erinnern was wir von dem unbewußten Leben
überhaupt ausgeſagt haben, nämlich daß es, als ſolches
das nicht kenne was wir Ermüdung nennen, eben ſo wenig
als es, um eine Thätigkeit auszuüben, der Vorbereitung
und Einübung bedarf. Hierin liegt es alſo vorzüglich wenn
wir vom Schlafe, eben weil hier das Bewußte zeitweiſe
im Unbewußten untergeht, jene eigenthümliche Erquickung
erfahren, welche ihn zu einer unentbehrlichen Bedingung
unſers ganzen Daſeins werden läßt. Aber nicht bloß eine
vorübergehende Erquickung ſollen wir im Schlafe finden,
ſondern wir können theils durch dieſe, theils darum, weil
eigentlich das unbewußte Leben auch am entſchiedenſten die
Krankheit negirt (worüber ebenfalls früher das Nähere be¬
ſprochen worden iſt) auch von krankhaften Zuſtänden die
Heilung hier eher als im Wachen finden, und eben weil
dem ſo iſt, richtet ſich, wie ſchon oben bemerkt wurde, jenes
traumartige Erkennen, welches ſonderbarer Weiſe „Hell¬
ſehen“ genannt worden iſt, da es doch eben kein vollkommen
helles d. i. durchaus bewußtes Sehen iſt, ſobald es mit
einer gewiſſen Reinheit ſich entwickelt, ganz weſentlich gegen
Deutlichmachen der Mittel zur eignen Geneſung.

Carus, Pſyche. 15
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[225/0241] Doch es ſei dies genug um Dasjenige anzudeuten wodurch die Verſtändigung über die ſcheinbar ſo unerklär¬ lichen Zuſtände des Traumlebens allein vollkommen ge¬ lingen kann; es bleibt uns gegenwärtig noch ein andres Moment in der pſychologiſchen Geſchichte des Schlafs zu erörtern übrig, und dies iſt die wiederherſtellende, erneuende, kräftigende Eigenthümlichkeit deſſelben. Man hat dies ins¬ gemein bloß durch das „Ausruhen“ zu erklären verſucht und nicht bedacht, daß doch noch ein großer Unterſchied bleibt zwiſchen Ausruhen und Schlafen. Wir können eben ſo ſtill uns verhalten, eben ſo bequem liegen, und, wenn uns der Schlaf flieht, werden wir nicht diejenige Kräftigung und Wiederherſtellung empfinden als uns oft eine ganz kurze Zeit feſten Schlafs gewährt. Es iſt alſo abermals daran zu erinnern was wir von dem unbewußten Leben überhaupt ausgeſagt haben, nämlich daß es, als ſolches das nicht kenne was wir Ermüdung nennen, eben ſo wenig als es, um eine Thätigkeit auszuüben, der Vorbereitung und Einübung bedarf. Hierin liegt es alſo vorzüglich wenn wir vom Schlafe, eben weil hier das Bewußte zeitweiſe im Unbewußten untergeht, jene eigenthümliche Erquickung erfahren, welche ihn zu einer unentbehrlichen Bedingung unſers ganzen Daſeins werden läßt. Aber nicht bloß eine vorübergehende Erquickung ſollen wir im Schlafe finden, ſondern wir können theils durch dieſe, theils darum, weil eigentlich das unbewußte Leben auch am entſchiedenſten die Krankheit negirt (worüber ebenfalls früher das Nähere be¬ ſprochen worden iſt) auch von krankhaften Zuſtänden die Heilung hier eher als im Wachen finden, und eben weil dem ſo iſt, richtet ſich, wie ſchon oben bemerkt wurde, jenes traumartige Erkennen, welches ſonderbarer Weiſe „Hell¬ ſehen“ genannt worden iſt, da es doch eben kein vollkommen helles d. i. durchaus bewußtes Sehen iſt, ſobald es mit einer gewiſſen Reinheit ſich entwickelt, ganz weſentlich gegen Deutlichmachen der Mittel zur eignen Geneſung. Carus, Pſyche. 15

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/241>, abgerufen am 19.04.2024.