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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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allezeit als ein Einiges angesehen werden sollte, hiebei un¬
merklich in der Vorstellung als ein innerlich Zerklüftetes
und Vielfaches erschien, sondern es entstand zuletzt dadurch
in der Psychologie der Begriff eines Zusammengesetztseins
der Seele aus so verschiedenartigen Gliedern, etwa ganz
eben so wie in der Lehre vom leiblichen Organismus die
Vorstellung von Zusammensetzung der Theile und von einer
Masse von Kräften 1 vielfältigste Verwirrung angerichtet hat.
Man muß diese Verirrungen um so seltsamer finden, da,
noch ganz abgesehen von dem höhern Erschauen der Vernunft,
es schon dem einfachen gesunden Sinn von Haus aus nicht
beikommt, dergleichen Trennungen vorzunehmen. Wer einen
Krystall betrachtet und wahrnimmt, daß er zugleich schwer
ist, und daß er elektrisch ist, daß er wohl selbst leuchtet,
daß er eine gewisse Wärmetemperatur hat, daß er, in eine
ihm gleichnamige Auflösung gelegt, sich fortzubilden strebt
u. s. w., dem fällt es nicht ein diese Eigenschaften, diese
Thätigkeitsäußerungen zu trennen und zu denken, daß sie
als verschiedene und von einander gesonderte in dem Krystall
da sein könnten, es ist ihm ganz homogen alles dieses in
Einem zu denken. Erst mit einem gewissen Luxuriren des
Verstandes tritt die Wirkung auf, welche diese Einheit auf¬
hebt, oder, wenn sie sie als eines denkt, sie als eine Zu¬
sammensetzung aus Verschiedenen sich vorstellt. -- Gerade
so mit dem wie Plato sagt "gestalt- und farblosen ge¬
dankenhaft" Seienden der Idee und dem in ihr hervor¬
gehenden Wesen der Seele und des Geistes. Hier ist nicht
und kann nicht sein die Rede von Spaltungen und Ab¬
theilungen, und schon bei der Betrachtung der Heranbildung

1 Bis zu welchen Absurditäten dergleichen in der Physiologie geführt
hat, davon kann folgende Periode eines Dr. G***** ein Beispiel geben:
"Zwei Kräfte sind im gesunden menschlichen Körper vorzugsweise thätig:
die eine ist die das Verlangen nach fester, und die andere die das Be¬
dürfniß nach flüssiger Nahrung bewirkende Kraft (!), beide sind mit ein¬
ander auch bei Vermittelung des Verdauungsgeschäfts thätig und bilden
mit den noch übrigen Kräften (!) zusammen die Verdauungskraft. (!)"

allezeit als ein Einiges angeſehen werden ſollte, hiebei un¬
merklich in der Vorſtellung als ein innerlich Zerklüftetes
und Vielfaches erſchien, ſondern es entſtand zuletzt dadurch
in der Pſychologie der Begriff eines Zuſammengeſetztſeins
der Seele aus ſo verſchiedenartigen Gliedern, etwa ganz
eben ſo wie in der Lehre vom leiblichen Organismus die
Vorſtellung von Zuſammenſetzung der Theile und von einer
Maſſe von Kräften 1 vielfältigſte Verwirrung angerichtet hat.
Man muß dieſe Verirrungen um ſo ſeltſamer finden, da,
noch ganz abgeſehen von dem höhern Erſchauen der Vernunft,
es ſchon dem einfachen geſunden Sinn von Haus aus nicht
beikommt, dergleichen Trennungen vorzunehmen. Wer einen
Kryſtall betrachtet und wahrnimmt, daß er zugleich ſchwer
iſt, und daß er elektriſch iſt, daß er wohl ſelbſt leuchtet,
daß er eine gewiſſe Wärmetemperatur hat, daß er, in eine
ihm gleichnamige Auflöſung gelegt, ſich fortzubilden ſtrebt
u. ſ. w., dem fällt es nicht ein dieſe Eigenſchaften, dieſe
Thätigkeitsäußerungen zu trennen und zu denken, daß ſie
als verſchiedene und von einander geſonderte in dem Kryſtall
da ſein könnten, es iſt ihm ganz homogen alles dieſes in
Einem zu denken. Erſt mit einem gewiſſen Luxuriren des
Verſtandes tritt die Wirkung auf, welche dieſe Einheit auf¬
hebt, oder, wenn ſie ſie als eines denkt, ſie als eine Zu¬
ſammenſetzung aus Verſchiedenen ſich vorſtellt. — Gerade
ſo mit dem wie Plato ſagt „geſtalt- und farbloſen ge¬
dankenhaft“ Seienden der Idee und dem in ihr hervor¬
gehenden Weſen der Seele und des Geiſtes. Hier iſt nicht
und kann nicht ſein die Rede von Spaltungen und Ab¬
theilungen, und ſchon bei der Betrachtung der Heranbildung

1 Bis zu welchen Abſurditäten dergleichen in der Phyſiologie geführt
hat, davon kann folgende Periode eines Dr. G***** ein Beiſpiel geben:
„Zwei Kräfte ſind im geſunden menſchlichen Körper vorzugsweiſe thätig:
die eine iſt die das Verlangen nach feſter, und die andere die das Be¬
dürfniß nach flüſſiger Nahrung bewirkende Kraft (!), beide ſind mit ein¬
ander auch bei Vermittelung des Verdauungsgeſchäfts thätig und bilden
mit den noch übrigen Kräften (!) zuſammen die Verdauungskraft. (!)“
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[262/0278] allezeit als ein Einiges angeſehen werden ſollte, hiebei un¬ merklich in der Vorſtellung als ein innerlich Zerklüftetes und Vielfaches erſchien, ſondern es entſtand zuletzt dadurch in der Pſychologie der Begriff eines Zuſammengeſetztſeins der Seele aus ſo verſchiedenartigen Gliedern, etwa ganz eben ſo wie in der Lehre vom leiblichen Organismus die Vorſtellung von Zuſammenſetzung der Theile und von einer Maſſe von Kräften 1 vielfältigſte Verwirrung angerichtet hat. Man muß dieſe Verirrungen um ſo ſeltſamer finden, da, noch ganz abgeſehen von dem höhern Erſchauen der Vernunft, es ſchon dem einfachen geſunden Sinn von Haus aus nicht beikommt, dergleichen Trennungen vorzunehmen. Wer einen Kryſtall betrachtet und wahrnimmt, daß er zugleich ſchwer iſt, und daß er elektriſch iſt, daß er wohl ſelbſt leuchtet, daß er eine gewiſſe Wärmetemperatur hat, daß er, in eine ihm gleichnamige Auflöſung gelegt, ſich fortzubilden ſtrebt u. ſ. w., dem fällt es nicht ein dieſe Eigenſchaften, dieſe Thätigkeitsäußerungen zu trennen und zu denken, daß ſie als verſchiedene und von einander geſonderte in dem Kryſtall da ſein könnten, es iſt ihm ganz homogen alles dieſes in Einem zu denken. Erſt mit einem gewiſſen Luxuriren des Verſtandes tritt die Wirkung auf, welche dieſe Einheit auf¬ hebt, oder, wenn ſie ſie als eines denkt, ſie als eine Zu¬ ſammenſetzung aus Verſchiedenen ſich vorſtellt. — Gerade ſo mit dem wie Plato ſagt „geſtalt- und farbloſen ge¬ dankenhaft“ Seienden der Idee und dem in ihr hervor¬ gehenden Weſen der Seele und des Geiſtes. Hier iſt nicht und kann nicht ſein die Rede von Spaltungen und Ab¬ theilungen, und ſchon bei der Betrachtung der Heranbildung 1 Bis zu welchen Abſurditäten dergleichen in der Phyſiologie geführt hat, davon kann folgende Periode eines Dr. G***** ein Beiſpiel geben: „Zwei Kräfte ſind im geſunden menſchlichen Körper vorzugsweiſe thätig: die eine iſt die das Verlangen nach feſter, und die andere die das Be¬ dürfniß nach flüſſiger Nahrung bewirkende Kraft (!), beide ſind mit ein¬ ander auch bei Vermittelung des Verdauungsgeſchäfts thätig und bilden mit den noch übrigen Kräften (!) zuſammen die Verdauungskraft. (!)“

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/278>, abgerufen am 23.04.2024.