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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Fortbildung desselben bedingt; denn wenn in einzelnen Fäl¬
len, und namentlich wo es bloß im unbewußten Leben seine
Entstehung hatte, das Gefühl einer schnell erlöschenden
Glut gleicht und besondere innere Steigerungen und Ent¬
wicklungen nicht erkennen läßt, so wird es dagegen in an¬
dern Fällen, und zwar je mehr es auf dem Bewußtsein
ruht, einer eigenthümlichen Steigerung und Ausbreitung
fähig sein, und kann zuletzt wohl dahinauf gebildet werden,
daß es den eigenthümlichen Farbenschimmer, welchen wir
"Freudigkeit" nennen, über ein ganzes Leben ausbrei¬
tet, ein Ziel welches, eben weil es nur bei einer gewissen
innern Aufklärung, Sicherheit und Läuterung der Seele
erreicht werden kann, zu den schönsten Aufgaben gerechnet
werden muß für das, was man mit dem Namen der Le¬
benkunst bezeichnen darf.

Was wir nun hier ausgesprochen haben über die ver¬
schiedne Dauer des Freudengefühls, gibt uns Veranlassung
auch der Periodicität zu gedenken, welche wir an diesen
wie an andern Gefühlen überall bemerken. Wie zuhöchst
Alles in diesem Dasein an einem gewissen Rhythmus, an
ein Steigen und Fallen und wieder Steigen geknüpft ist,
so auch die Welt der Gefühle. Was die Freude betrifft,
so ist ihre Periodicität entschieden um so mächtiger, je mehr
sie vom unbewußten Leben bedingt wird. Auch in dieser
Beziehung darf man nur Kinder beobachten, um sich zu
überzeugen, wie oft nach kurzer Dauer die Freude -- und
ohne äußern besondern Grund -- erlischt, ja wohl in ihr
Gegentheil umschlägt, und oft eben so plötzlich sich wieder
entzündet. Ein allgemeines Gesetz dieser Periodicität wird
sich nie nachweisen lassen, weil die Bedingungen zu indi¬
viduell sind, aber im einzelnen Falle wird es allerdings
oft möglich sein, Vorgänge im unbewußten Leben aufzu¬
finden, welche als erregende Factoren des Gefühls sich be¬
weisen. Mancherlei bedeutende Winke für die Kunst das
Leben in höherer und schöner Weise zu führen, lassen sich

Fortbildung deſſelben bedingt; denn wenn in einzelnen Fäl¬
len, und namentlich wo es bloß im unbewußten Leben ſeine
Entſtehung hatte, das Gefühl einer ſchnell erlöſchenden
Glut gleicht und beſondere innere Steigerungen und Ent¬
wicklungen nicht erkennen läßt, ſo wird es dagegen in an¬
dern Fällen, und zwar je mehr es auf dem Bewußtſein
ruht, einer eigenthümlichen Steigerung und Ausbreitung
fähig ſein, und kann zuletzt wohl dahinauf gebildet werden,
daß es den eigenthümlichen Farbenſchimmer, welchen wir
Freudigkeit“ nennen, über ein ganzes Leben ausbrei¬
tet, ein Ziel welches, eben weil es nur bei einer gewiſſen
innern Aufklärung, Sicherheit und Läuterung der Seele
erreicht werden kann, zu den ſchönſten Aufgaben gerechnet
werden muß für das, was man mit dem Namen der Le¬
benkunſt bezeichnen darf.

Was wir nun hier ausgeſprochen haben über die ver¬
ſchiedne Dauer des Freudengefühls, gibt uns Veranlaſſung
auch der Periodicität zu gedenken, welche wir an dieſen
wie an andern Gefühlen überall bemerken. Wie zuhöchſt
Alles in dieſem Daſein an einem gewiſſen Rhythmus, an
ein Steigen und Fallen und wieder Steigen geknüpft iſt,
ſo auch die Welt der Gefühle. Was die Freude betrifft,
ſo iſt ihre Periodicität entſchieden um ſo mächtiger, je mehr
ſie vom unbewußten Leben bedingt wird. Auch in dieſer
Beziehung darf man nur Kinder beobachten, um ſich zu
überzeugen, wie oft nach kurzer Dauer die Freude — und
ohne äußern beſondern Grund — erliſcht, ja wohl in ihr
Gegentheil umſchlägt, und oft eben ſo plötzlich ſich wieder
entzündet. Ein allgemeines Geſetz dieſer Periodicität wird
ſich nie nachweiſen laſſen, weil die Bedingungen zu indi¬
viduell ſind, aber im einzelnen Falle wird es allerdings
oft möglich ſein, Vorgänge im unbewußten Leben aufzu¬
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weiſen. Mancherlei bedeutende Winke für die Kunſt das
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[269/0285] Fortbildung deſſelben bedingt; denn wenn in einzelnen Fäl¬ len, und namentlich wo es bloß im unbewußten Leben ſeine Entſtehung hatte, das Gefühl einer ſchnell erlöſchenden Glut gleicht und beſondere innere Steigerungen und Ent¬ wicklungen nicht erkennen läßt, ſo wird es dagegen in an¬ dern Fällen, und zwar je mehr es auf dem Bewußtſein ruht, einer eigenthümlichen Steigerung und Ausbreitung fähig ſein, und kann zuletzt wohl dahinauf gebildet werden, daß es den eigenthümlichen Farbenſchimmer, welchen wir „Freudigkeit“ nennen, über ein ganzes Leben ausbrei¬ tet, ein Ziel welches, eben weil es nur bei einer gewiſſen innern Aufklärung, Sicherheit und Läuterung der Seele erreicht werden kann, zu den ſchönſten Aufgaben gerechnet werden muß für das, was man mit dem Namen der Le¬ benkunſt bezeichnen darf. Was wir nun hier ausgeſprochen haben über die ver¬ ſchiedne Dauer des Freudengefühls, gibt uns Veranlaſſung auch der Periodicität zu gedenken, welche wir an dieſen wie an andern Gefühlen überall bemerken. Wie zuhöchſt Alles in dieſem Daſein an einem gewiſſen Rhythmus, an ein Steigen und Fallen und wieder Steigen geknüpft iſt, ſo auch die Welt der Gefühle. Was die Freude betrifft, ſo iſt ihre Periodicität entſchieden um ſo mächtiger, je mehr ſie vom unbewußten Leben bedingt wird. Auch in dieſer Beziehung darf man nur Kinder beobachten, um ſich zu überzeugen, wie oft nach kurzer Dauer die Freude — und ohne äußern beſondern Grund — erliſcht, ja wohl in ihr Gegentheil umſchlägt, und oft eben ſo plötzlich ſich wieder entzündet. Ein allgemeines Geſetz dieſer Periodicität wird ſich nie nachweiſen laſſen, weil die Bedingungen zu indi¬ viduell ſind, aber im einzelnen Falle wird es allerdings oft möglich ſein, Vorgänge im unbewußten Leben aufzu¬ finden, welche als erregende Factoren des Gefühls ſich be¬ weiſen. Mancherlei bedeutende Winke für die Kunſt das Leben in höherer und ſchöner Weiſe zu führen, laſſen ſich

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/285>, abgerufen am 19.04.2024.