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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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schwung zu geben. Wie deßhalb auch schon Bewegung,
zumal Bewegung in frischer freier sonniger Luft, entschieden
auf Zerstreuung des Grams wirkt, ist eine bekannte Er¬
fahrung; ja daß der bald mehr heitere, bald mehr trübe
Charakter ganzer Nationen durch ähnliche Einflüsse des
Klimas mit bedingt werde, leidet keinen Zweifel, und so
kann oft eine Veränderung des Aufenthaltortes allerdings
wesentlich mitwirken, um bleibende trübe Stimmung zu ver¬
drängen. Will man sich im Einzelnen die Vorgänge deut¬
lich zu machen versuchen, unter welchen die Trauer ver¬
schwindet, wenn heitere bewußte Vorstellungen und glück¬
liche Ereignisse die Freude wieder herbeiführen, so muß
man immer daran denken, wie alles Vorstellungsleben auf
eigenthümlich geheimnißvolle Weise an gewisse unmeßbare
Aenderungen der Innervationsspannung des Hirns unab¬
weislich geknüpft ist, man muß sich deutlich machen, wie
Millionen mikroskopischer Primitivfasern vom Hirn aus, als
eben so viele Conductoren der Innervation, durch den ge¬
sammten Körper sich verbreiten, wie also die veränderte
Spannung der Hirn-Innervation im Moment auch mittels
dieser Conductoren peripherisch überall da hervortreten muß,
wohin die Qualität der centralen Spannung sie vorzüglich
gerichtet hatte, und wie also Vorstellungen, welche die heitere
Seite des Gefühls in Anspruch nehmen, eben darum, weil
die Heiterkeit des Unbewußten in nichts anderm sich äußern
kann als in freierm frischern Blutleben, regere Bildung
und kräftige Athmung, unmittelbar diese Aeußerungen
hervorrufen müssen, dieweil die centrale Aenderung der
Innervation auch die peripherische bedingt.

Wem sonach dieses einmal deutlich geworden ist, der
wird nun auch unschwer begreifen, wie verändertes Vor¬
stellungsleben die leiblichen Erscheinungen der Trauer auf¬
hebt, und wie umgekehrt freudige Umstimmung des Unbe¬
wußten die Vorstellungen der Trauer im Bewußtsein zer¬
streuen helfen kann.

ſchwung zu geben. Wie deßhalb auch ſchon Bewegung,
zumal Bewegung in friſcher freier ſonniger Luft, entſchieden
auf Zerſtreuung des Grams wirkt, iſt eine bekannte Er¬
fahrung; ja daß der bald mehr heitere, bald mehr trübe
Charakter ganzer Nationen durch ähnliche Einflüſſe des
Klimas mit bedingt werde, leidet keinen Zweifel, und ſo
kann oft eine Veränderung des Aufenthaltortes allerdings
weſentlich mitwirken, um bleibende trübe Stimmung zu ver¬
drängen. Will man ſich im Einzelnen die Vorgänge deut¬
lich zu machen verſuchen, unter welchen die Trauer ver¬
ſchwindet, wenn heitere bewußte Vorſtellungen und glück¬
liche Ereigniſſe die Freude wieder herbeiführen, ſo muß
man immer daran denken, wie alles Vorſtellungsleben auf
eigenthümlich geheimnißvolle Weiſe an gewiſſe unmeßbare
Aenderungen der Innervationsſpannung des Hirns unab¬
weislich geknüpft iſt, man muß ſich deutlich machen, wie
Millionen mikroſkopiſcher Primitivfaſern vom Hirn aus, als
eben ſo viele Conductoren der Innervation, durch den ge¬
ſammten Körper ſich verbreiten, wie alſo die veränderte
Spannung der Hirn-Innervation im Moment auch mittels
dieſer Conductoren peripheriſch überall da hervortreten muß,
wohin die Qualität der centralen Spannung ſie vorzüglich
gerichtet hatte, und wie alſo Vorſtellungen, welche die heitere
Seite des Gefühls in Anſpruch nehmen, eben darum, weil
die Heiterkeit des Unbewußten in nichts anderm ſich äußern
kann als in freierm friſchern Blutleben, regere Bildung
und kräftige Athmung, unmittelbar dieſe Aeußerungen
hervorrufen müſſen, dieweil die centrale Aenderung der
Innervation auch die peripheriſche bedingt.

Wem ſonach dieſes einmal deutlich geworden iſt, der
wird nun auch unſchwer begreifen, wie verändertes Vor¬
ſtellungsleben die leiblichen Erſcheinungen der Trauer auf¬
hebt, und wie umgekehrt freudige Umſtimmung des Unbe¬
wußten die Vorſtellungen der Trauer im Bewußtſein zer¬
ſtreuen helfen kann.

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[281/0297] ſchwung zu geben. Wie deßhalb auch ſchon Bewegung, zumal Bewegung in friſcher freier ſonniger Luft, entſchieden auf Zerſtreuung des Grams wirkt, iſt eine bekannte Er¬ fahrung; ja daß der bald mehr heitere, bald mehr trübe Charakter ganzer Nationen durch ähnliche Einflüſſe des Klimas mit bedingt werde, leidet keinen Zweifel, und ſo kann oft eine Veränderung des Aufenthaltortes allerdings weſentlich mitwirken, um bleibende trübe Stimmung zu ver¬ drängen. Will man ſich im Einzelnen die Vorgänge deut¬ lich zu machen verſuchen, unter welchen die Trauer ver¬ ſchwindet, wenn heitere bewußte Vorſtellungen und glück¬ liche Ereigniſſe die Freude wieder herbeiführen, ſo muß man immer daran denken, wie alles Vorſtellungsleben auf eigenthümlich geheimnißvolle Weiſe an gewiſſe unmeßbare Aenderungen der Innervationsſpannung des Hirns unab¬ weislich geknüpft iſt, man muß ſich deutlich machen, wie Millionen mikroſkopiſcher Primitivfaſern vom Hirn aus, als eben ſo viele Conductoren der Innervation, durch den ge¬ ſammten Körper ſich verbreiten, wie alſo die veränderte Spannung der Hirn-Innervation im Moment auch mittels dieſer Conductoren peripheriſch überall da hervortreten muß, wohin die Qualität der centralen Spannung ſie vorzüglich gerichtet hatte, und wie alſo Vorſtellungen, welche die heitere Seite des Gefühls in Anſpruch nehmen, eben darum, weil die Heiterkeit des Unbewußten in nichts anderm ſich äußern kann als in freierm friſchern Blutleben, regere Bildung und kräftige Athmung, unmittelbar dieſe Aeußerungen hervorrufen müſſen, dieweil die centrale Aenderung der Innervation auch die peripheriſche bedingt. Wem ſonach dieſes einmal deutlich geworden iſt, der wird nun auch unſchwer begreifen, wie verändertes Vor¬ ſtellungsleben die leiblichen Erſcheinungen der Trauer auf¬ hebt, und wie umgekehrt freudige Umſtimmung des Unbe¬ wußten die Vorſtellungen der Trauer im Bewußtſein zer¬ ſtreuen helfen kann.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/297>, abgerufen am 28.03.2024.