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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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erfüllen muß, je weiter wir selbst in der Kenntniß dieser
Erscheinungen gekommen sind.

Aus dieser Verehrung, welche, auch ohne noch ganz in
die Erkenntniß übergegangen zu sein, den Menschen gegen
dieses Unbewußte durchdringt und durchdringen muß, erklärt
sich Vieles in den Vorstellungen der Menschheit und zwar
schon in den ältesten Zeiten. Die eigene Ehrfurcht vor der
Kindesnatur, noch ehe ein höheres selbstbewußtes Leben in
ihr sich entwickelt hat, die Scheu vor der Tödtung des
Menschen, ja bei dem Hindu die Scheu vor Zerstörung
alles animalischen Lebens, und bei so vielen Völkern selbst
die Verehrung menschlicher Bildung, ja sogar mancher
Thiergestalten als ein Göttliches. Freilich, je weiter noch
die Erkenntniß zurück war, desto mehr Mißverständnisse
gaben sich in diesen Vorstellungen kund, indem hier das
was nur ein Göttliches -- ein einzelner Strahl des
einen von uns nur geahnten absoluten Gottes war, oft
als selbst Gottheit genommen wurde, und gerade hier hat
sich denn überhaupt die Quelle des eigentlichen Irrthums
des Pantheismus eröffnet. Dieser Pantheismus, die Mei¬
nung, daß vieles Einzelne schon eine absolute Gottheit sein
könnte, steht im vollkommenen Gegensatz zu Dem, was
man vielleicht am besten Entheismus, d. h. Erkennt¬
niß des Göttlichen in Allem
, zu nennen berechtigt
wäre, und so klar es sein muß, daß dieser Entheismus die
eigentliche alleinige gesunde Anschauung der Welt bezeichnet,
so gewiß ist es, daß ein vollkommener Pantheismus eigent¬
lich, gleich dem wirklichen Atheismus, zu absurd ist, als
daß er jemals bei nur einiger Entwickelung der Intelligenz
dem Menschen im vollen Sinne des Wortes hätte genügen
können.

Uebrigens bewegt sich noch unsere heutige Theologie,
gleich einer sehr verbreiteten Art von Physiologie, bei der
Lehre von Dingen dieser Art, in einem sonderbaren Zirkel.
Es wird die Vortrefflichkeit und Weisheit des Göttlichen in

erfüllen muß, je weiter wir ſelbſt in der Kenntniß dieſer
Erſcheinungen gekommen ſind.

Aus dieſer Verehrung, welche, auch ohne noch ganz in
die Erkenntniß übergegangen zu ſein, den Menſchen gegen
dieſes Unbewußte durchdringt und durchdringen muß, erklärt
ſich Vieles in den Vorſtellungen der Menſchheit und zwar
ſchon in den älteſten Zeiten. Die eigene Ehrfurcht vor der
Kindesnatur, noch ehe ein höheres ſelbſtbewußtes Leben in
ihr ſich entwickelt hat, die Scheu vor der Tödtung des
Menſchen, ja bei dem Hindu die Scheu vor Zerſtörung
alles animaliſchen Lebens, und bei ſo vielen Völkern ſelbſt
die Verehrung menſchlicher Bildung, ja ſogar mancher
Thiergeſtalten als ein Göttliches. Freilich, je weiter noch
die Erkenntniß zurück war, deſto mehr Mißverſtändniſſe
gaben ſich in dieſen Vorſtellungen kund, indem hier das
was nur ein Göttliches — ein einzelner Strahl des
einen von uns nur geahnten abſoluten Gottes war, oft
als ſelbſt Gottheit genommen wurde, und gerade hier hat
ſich denn überhaupt die Quelle des eigentlichen Irrthums
des Pantheismus eröffnet. Dieſer Pantheismus, die Mei¬
nung, daß vieles Einzelne ſchon eine abſolute Gottheit ſein
könnte, ſteht im vollkommenen Gegenſatz zu Dem, was
man vielleicht am beſten Entheismus, d. h. Erkennt¬
niß des Göttlichen in Allem
, zu nennen berechtigt
wäre, und ſo klar es ſein muß, daß dieſer Entheismus die
eigentliche alleinige geſunde Anſchauung der Welt bezeichnet,
ſo gewiß iſt es, daß ein vollkommener Pantheismus eigent¬
lich, gleich dem wirklichen Atheismus, zu abſurd iſt, als
daß er jemals bei nur einiger Entwickelung der Intelligenz
dem Menſchen im vollen Sinne des Wortes hätte genügen
können.

Uebrigens bewegt ſich noch unſere heutige Theologie,
gleich einer ſehr verbreiteten Art von Phyſiologie, bei der
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[14/0030] erfüllen muß, je weiter wir ſelbſt in der Kenntniß dieſer Erſcheinungen gekommen ſind. Aus dieſer Verehrung, welche, auch ohne noch ganz in die Erkenntniß übergegangen zu ſein, den Menſchen gegen dieſes Unbewußte durchdringt und durchdringen muß, erklärt ſich Vieles in den Vorſtellungen der Menſchheit und zwar ſchon in den älteſten Zeiten. Die eigene Ehrfurcht vor der Kindesnatur, noch ehe ein höheres ſelbſtbewußtes Leben in ihr ſich entwickelt hat, die Scheu vor der Tödtung des Menſchen, ja bei dem Hindu die Scheu vor Zerſtörung alles animaliſchen Lebens, und bei ſo vielen Völkern ſelbſt die Verehrung menſchlicher Bildung, ja ſogar mancher Thiergeſtalten als ein Göttliches. Freilich, je weiter noch die Erkenntniß zurück war, deſto mehr Mißverſtändniſſe gaben ſich in dieſen Vorſtellungen kund, indem hier das was nur ein Göttliches — ein einzelner Strahl des einen von uns nur geahnten abſoluten Gottes war, oft als ſelbſt Gottheit genommen wurde, und gerade hier hat ſich denn überhaupt die Quelle des eigentlichen Irrthums des Pantheismus eröffnet. Dieſer Pantheismus, die Mei¬ nung, daß vieles Einzelne ſchon eine abſolute Gottheit ſein könnte, ſteht im vollkommenen Gegenſatz zu Dem, was man vielleicht am beſten Entheismus, d. h. Erkennt¬ niß des Göttlichen in Allem, zu nennen berechtigt wäre, und ſo klar es ſein muß, daß dieſer Entheismus die eigentliche alleinige geſunde Anſchauung der Welt bezeichnet, ſo gewiß iſt es, daß ein vollkommener Pantheismus eigent¬ lich, gleich dem wirklichen Atheismus, zu abſurd iſt, als daß er jemals bei nur einiger Entwickelung der Intelligenz dem Menſchen im vollen Sinne des Wortes hätte genügen können. Uebrigens bewegt ſich noch unſere heutige Theologie, gleich einer ſehr verbreiteten Art von Phyſiologie, bei der Lehre von Dingen dieſer Art, in einem ſonderbaren Zirkel. Es wird die Vortrefflichkeit und Weisheit des Göttlichen in

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/30>, abgerufen am 24.04.2024.