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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wiederum sein, wenn da, wo höhere Entwicklung bereits
erreicht sein sollte, und wo im Lichte höherer Erkenntniß
die Versöhnung mit der Welt im Ganzen bei aller Er¬
kenntniß der Mangelhaftigkeit und Dürftigkeit im Einzelnen,
Platz gegriffen haben müßte, eine hassende Gesinnung sich
noch übermächtig hervorthut und so das Leben vergiftet.
Im letztern Falle fehlt es dann nur noch, daß etwa der
Irrthum von einem göttlichen bösen Princip vorhanden sei,
daß dieses Princip als in einzelnen Ideen sich besonders
bethätigend geglaubt wird, und die Schrecknisse aller ganz
verfinsterten Seelenzustände, und namentlich der Hexen- und
Teufelsglaube und die Verfolgung derselben, so wie die
Monomanie des Mordens können sich sehr leicht entwickeln.

Im Vorhergehenden liegt nun zugleich, was über
das Erlöschen
, das Aufhören des Hasses gesagt
werden möchte. Der Haß, als ein Negatives, soll all¬
mählig auch selbst immer mehr negirt werden, und es ist
also schon in der Ordnung der Entwicklungsgeschichte, daß er
im gesunden Gange endlich aufhören muß. Immer wird von
dem dem Höhern Widrigen, dem Häßlichen, dem Gemeinen,
dem Falschen die vollendetere Seele sich abwenden, aber es
wird nicht mehr in Haß sein, in Haß, der sonst auch die
unbewußte Region mit durchdringen mußte, sondern in be¬
dauernder Liebe
. Wir können daher kurz sagen, es
sei der natürliche Tod des Hasses
, unterzu¬
gehen in der Liebe
, und daß er wirklich erloschen ist,
wird sich daran erkennen lassen, daß jenes gleichzeitige An¬
sprechen des Unbewußten, selbst wo die Erkenntniß ver¬
neinen muß, nicht mehr Statt findet.

5. Von den gleichmäßigen Zuständen des Gemüthes.

Es gibt, wie schon bemerkt wurde, einen gewissen
mittlern Zustand der Gemüthswelt, in welchem weder die
Aufregung der Liebe noch des Hasses, weder der Freude
noch der Trauer sich ausdrückt. Dieser mittlere Zustand

wiederum ſein, wenn da, wo höhere Entwicklung bereits
erreicht ſein ſollte, und wo im Lichte höherer Erkenntniß
die Verſöhnung mit der Welt im Ganzen bei aller Er¬
kenntniß der Mangelhaftigkeit und Dürftigkeit im Einzelnen,
Platz gegriffen haben müßte, eine haſſende Geſinnung ſich
noch übermächtig hervorthut und ſo das Leben vergiftet.
Im letztern Falle fehlt es dann nur noch, daß etwa der
Irrthum von einem göttlichen böſen Princip vorhanden ſei,
daß dieſes Princip als in einzelnen Ideen ſich beſonders
bethätigend geglaubt wird, und die Schreckniſſe aller ganz
verfinſterten Seelenzuſtände, und namentlich der Hexen- und
Teufelsglaube und die Verfolgung derſelben, ſo wie die
Monomanie des Mordens können ſich ſehr leicht entwickeln.

Im Vorhergehenden liegt nun zugleich, was über
das Erlöſchen
, das Aufhören des Haſſes geſagt
werden möchte. Der Haß, als ein Negatives, ſoll all¬
mählig auch ſelbſt immer mehr negirt werden, und es iſt
alſo ſchon in der Ordnung der Entwicklungsgeſchichte, daß er
im geſunden Gange endlich aufhören muß. Immer wird von
dem dem Höhern Widrigen, dem Häßlichen, dem Gemeinen,
dem Falſchen die vollendetere Seele ſich abwenden, aber es
wird nicht mehr in Haß ſein, in Haß, der ſonſt auch die
unbewußte Region mit durchdringen mußte, ſondern in be¬
dauernder Liebe
. Wir können daher kurz ſagen, es
ſei der natürliche Tod des Haſſes
, unterzu¬
gehen in der Liebe
, und daß er wirklich erloſchen iſt,
wird ſich daran erkennen laſſen, daß jenes gleichzeitige An¬
ſprechen des Unbewußten, ſelbſt wo die Erkenntniß ver¬
neinen muß, nicht mehr Statt findet.

5. Von den gleichmäßigen Zuſtänden des Gemüthes.

Es gibt, wie ſchon bemerkt wurde, einen gewiſſen
mittlern Zuſtand der Gemüthswelt, in welchem weder die
Aufregung der Liebe noch des Haſſes, weder der Freude
noch der Trauer ſich ausdrückt. Dieſer mittlere Zuſtand

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[324/0340] wiederum ſein, wenn da, wo höhere Entwicklung bereits erreicht ſein ſollte, und wo im Lichte höherer Erkenntniß die Verſöhnung mit der Welt im Ganzen bei aller Er¬ kenntniß der Mangelhaftigkeit und Dürftigkeit im Einzelnen, Platz gegriffen haben müßte, eine haſſende Geſinnung ſich noch übermächtig hervorthut und ſo das Leben vergiftet. Im letztern Falle fehlt es dann nur noch, daß etwa der Irrthum von einem göttlichen böſen Princip vorhanden ſei, daß dieſes Princip als in einzelnen Ideen ſich beſonders bethätigend geglaubt wird, und die Schreckniſſe aller ganz verfinſterten Seelenzuſtände, und namentlich der Hexen- und Teufelsglaube und die Verfolgung derſelben, ſo wie die Monomanie des Mordens können ſich ſehr leicht entwickeln. Im Vorhergehenden liegt nun zugleich, was über das Erlöſchen, das Aufhören des Haſſes geſagt werden möchte. Der Haß, als ein Negatives, ſoll all¬ mählig auch ſelbſt immer mehr negirt werden, und es iſt alſo ſchon in der Ordnung der Entwicklungsgeſchichte, daß er im geſunden Gange endlich aufhören muß. Immer wird von dem dem Höhern Widrigen, dem Häßlichen, dem Gemeinen, dem Falſchen die vollendetere Seele ſich abwenden, aber es wird nicht mehr in Haß ſein, in Haß, der ſonſt auch die unbewußte Region mit durchdringen mußte, ſondern in be¬ dauernder Liebe. Wir können daher kurz ſagen, es ſei der natürliche Tod des Haſſes, unterzu¬ gehen in der Liebe, und daß er wirklich erloſchen iſt, wird ſich daran erkennen laſſen, daß jenes gleichzeitige An¬ ſprechen des Unbewußten, ſelbſt wo die Erkenntniß ver¬ neinen muß, nicht mehr Statt findet. 5. Von den gleichmäßigen Zuſtänden des Gemüthes. Es gibt, wie ſchon bemerkt wurde, einen gewiſſen mittlern Zuſtand der Gemüthswelt, in welchem weder die Aufregung der Liebe noch des Haſſes, weder der Freude noch der Trauer ſich ausdrückt. Dieſer mittlere Zuſtand

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/340>, abgerufen am 23.04.2024.