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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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bewußtsein lehrreichsten Momente vor sich haben. Gewiß,
an dergleichen muß es deutlich werden, wie durch und
durch unser bewußtes Seelenleben auf der Region des
unbewußten ruht, und aus ihr hervorgeht, wie es ganz
eigentlich der erste schaffende Akt der als Seele sich dar¬
lebenden Idee ist, noch ganz unbewußt die bewundernswürdige
Mannichfaltigkeit des Organismus zu begründen, und wie
auch dann, wenn in der Wiederspiegelung der Idee in dieser
Schöpfung, das Bewußtsein sich erschlossen hat, die unbe¬
wußte Strahlung jenes Göttlichen, der unversiegbare Born
ist, aus welchem immer neue und neue Bereicherungen des
Bewußtseins hervorgehen.

Gerade weil wir es also für so höchst wichtig erkennen,
behufs der Wissenschaft von der Seele, so tief als möglich
einzudringen in das Verständniß der bewußtlos in uns
waltenden Idee, wird es zunächst hier unbedingt erfordert,
mit schäferen Zügen die Geschichte des werdenden Organis¬
mus, und namentlich des menschlichen zu zeichnen. Es ist
hiebei insbesondere nothwendig, die Wesenheit des Ent¬
wickelungsvorganges, dagegen nicht gerade alle einzelnen
Modificationen desselben, deutlich einzusehen; eine Einsicht,
welche allerdings erst durch die sorgfältigen dem Laien durch¬
aus, und selbst vielen Aerzten noch bisher ganz fremden
Untersuchungen der neuesten Zeit möglich geworden ist.
Nur aus dieser Deutlichkeit der Einsicht wird auch der
Rückschluß auf die Eigenthümlichkeit, mit welcher ein unbe¬
wußt bildendes Seelenleben sich überhaupt bethätigt, wahrhaft
möglich werden. Hätte E. Stahl, dem schon im 17.
Jahrhundert der Gedanke kam: "Es sei nur die Seele das
eigentlich Schaffende und Bildende des Organismus", zu
seiner Zeit schon klarere Vorstellungen von diesem Bilden
und dem wahren Verhältniß einer Idee zu ihrem sich
Darleben in einer Form erfassen können, und wäre er
nicht von reinern Anschauungen immer noch durch die An¬
nahme einer gewissen Materialität der Seele zurückgehalten

bewußtſein lehrreichſten Momente vor ſich haben. Gewiß,
an dergleichen muß es deutlich werden, wie durch und
durch unſer bewußtes Seelenleben auf der Region des
unbewußten ruht, und aus ihr hervorgeht, wie es ganz
eigentlich der erſte ſchaffende Akt der als Seele ſich dar¬
lebenden Idee iſt, noch ganz unbewußt die bewundernswürdige
Mannichfaltigkeit des Organismus zu begründen, und wie
auch dann, wenn in der Wiederſpiegelung der Idee in dieſer
Schöpfung, das Bewußtſein ſich erſchloſſen hat, die unbe¬
wußte Strahlung jenes Göttlichen, der unverſiegbare Born
iſt, aus welchem immer neue und neue Bereicherungen des
Bewußtſeins hervorgehen.

Gerade weil wir es alſo für ſo höchſt wichtig erkennen,
behufs der Wiſſenſchaft von der Seele, ſo tief als möglich
einzudringen in das Verſtändniß der bewußtlos in uns
waltenden Idee, wird es zunächſt hier unbedingt erfordert,
mit ſchäferen Zügen die Geſchichte des werdenden Organis¬
mus, und namentlich des menſchlichen zu zeichnen. Es iſt
hiebei insbeſondere nothwendig, die Weſenheit des Ent¬
wickelungsvorganges, dagegen nicht gerade alle einzelnen
Modificationen deſſelben, deutlich einzuſehen; eine Einſicht,
welche allerdings erſt durch die ſorgfältigen dem Laien durch¬
aus, und ſelbſt vielen Aerzten noch bisher ganz fremden
Unterſuchungen der neueſten Zeit möglich geworden iſt.
Nur aus dieſer Deutlichkeit der Einſicht wird auch der
Rückſchluß auf die Eigenthümlichkeit, mit welcher ein unbe¬
wußt bildendes Seelenleben ſich überhaupt bethätigt, wahrhaft
möglich werden. Hätte E. Stahl, dem ſchon im 17.
Jahrhundert der Gedanke kam: „Es ſei nur die Seele das
eigentlich Schaffende und Bildende des Organismus“, zu
ſeiner Zeit ſchon klarere Vorſtellungen von dieſem Bilden
und dem wahren Verhältniß einer Idee zu ihrem ſich
Darleben in einer Form erfaſſen können, und wäre er
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[19/0035] bewußtſein lehrreichſten Momente vor ſich haben. Gewiß, an dergleichen muß es deutlich werden, wie durch und durch unſer bewußtes Seelenleben auf der Region des unbewußten ruht, und aus ihr hervorgeht, wie es ganz eigentlich der erſte ſchaffende Akt der als Seele ſich dar¬ lebenden Idee iſt, noch ganz unbewußt die bewundernswürdige Mannichfaltigkeit des Organismus zu begründen, und wie auch dann, wenn in der Wiederſpiegelung der Idee in dieſer Schöpfung, das Bewußtſein ſich erſchloſſen hat, die unbe¬ wußte Strahlung jenes Göttlichen, der unverſiegbare Born iſt, aus welchem immer neue und neue Bereicherungen des Bewußtſeins hervorgehen. Gerade weil wir es alſo für ſo höchſt wichtig erkennen, behufs der Wiſſenſchaft von der Seele, ſo tief als möglich einzudringen in das Verſtändniß der bewußtlos in uns waltenden Idee, wird es zunächſt hier unbedingt erfordert, mit ſchäferen Zügen die Geſchichte des werdenden Organis¬ mus, und namentlich des menſchlichen zu zeichnen. Es iſt hiebei insbeſondere nothwendig, die Weſenheit des Ent¬ wickelungsvorganges, dagegen nicht gerade alle einzelnen Modificationen deſſelben, deutlich einzuſehen; eine Einſicht, welche allerdings erſt durch die ſorgfältigen dem Laien durch¬ aus, und ſelbſt vielen Aerzten noch bisher ganz fremden Unterſuchungen der neueſten Zeit möglich geworden iſt. Nur aus dieſer Deutlichkeit der Einſicht wird auch der Rückſchluß auf die Eigenthümlichkeit, mit welcher ein unbe¬ wußt bildendes Seelenleben ſich überhaupt bethätigt, wahrhaft möglich werden. Hätte E. Stahl, dem ſchon im 17. Jahrhundert der Gedanke kam: „Es ſei nur die Seele das eigentlich Schaffende und Bildende des Organismus“, zu ſeiner Zeit ſchon klarere Vorſtellungen von dieſem Bilden und dem wahren Verhältniß einer Idee zu ihrem ſich Darleben in einer Form erfaſſen können, und wäre er nicht von reinern Anſchauungen immer noch durch die An¬ nahme einer gewiſſen Materialität der Seele zurückgehalten

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/35>, abgerufen am 24.04.2024.