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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Zügen an solchen Quellen getrunken haben, und es ist eine
Aufgabe der immer höher zu dem Reich der Wahrheit sich
fortbildenden Menschheit, in spätern Perioden alle diese
Vorzüge wieder zu vereinigen mit Manchem, was in jenem
beglückten Volke noch nicht hatte zum Durchbruch kommen
können.

So viel denn von dem, was wir unter dem Einflusse
der Erkenntniß auf äußeres sich Darleben der Idee zusam¬
menfassen konnten; das was sich vom Einflusse der Er¬
kenntniß auf das Wesen, auf das An-sich-sein der Idee
aussprechen läßt, fällt zusammen mit dem, was früher schon
über das Wachsthum der Idee dargestellt worden ist. --
Auf keinen Fall kann es dem Wissenden verborgen bleiben,
daß die Erkenntniß, d. i. das Gewahrwerden des
Verhältnisses der Ideen unter sich und zur Er¬
scheinung
, die erste und wesentlichste Bedingung sei, da¬
mit eine innere Steigerung, ein höheres Wachsthum der
eigenen Idee möglich werde. Man hat sich nur an die
oben gegebene Bedeutung des "cogito ergo sum" zu er¬
innern, zu bedenken, daß die Entwicklung der Seele zum
Geist nur in dem Moment erst Statt hat, als sie selbst
durch jenes Gebahren mit den wunderbaren Aequivalenten
der Idee und deren sinnlicher Offenbarung, welches wir
"Denken" nennen, zuerst in den Stand gesetzt wird, wie
andere so auch die eigene Idee vernehmen zu lernen, und
man kann nicht in Zweifel sein, welchen mächtigen Einfluß
die Erkenntniß auf die Entwicklung des An-sich-seins der
Seele haben müsse. Die vernachlässigte Erkenntniß kann
nicht anders als mindern und schwächen, die gesteigerte
und klarer werdende kann nicht anders als erheben und
kräftigen die Energie der Idee -- das Höchste des Men¬
schen. -- Und so möge denn dieses Alles für jetzt hin¬
reichen die Geschichte der Erkenntniß deutlich gemacht zu
haben.

Zügen an ſolchen Quellen getrunken haben, und es iſt eine
Aufgabe der immer höher zu dem Reich der Wahrheit ſich
fortbildenden Menſchheit, in ſpätern Perioden alle dieſe
Vorzüge wieder zu vereinigen mit Manchem, was in jenem
beglückten Volke noch nicht hatte zum Durchbruch kommen
können.

So viel denn von dem, was wir unter dem Einfluſſe
der Erkenntniß auf äußeres ſich Darleben der Idee zuſam¬
menfaſſen konnten; das was ſich vom Einfluſſe der Er¬
kenntniß auf das Weſen, auf das An-ſich-ſein der Idee
ausſprechen läßt, fällt zuſammen mit dem, was früher ſchon
über das Wachsthum der Idee dargeſtellt worden iſt. —
Auf keinen Fall kann es dem Wiſſenden verborgen bleiben,
daß die Erkenntniß, d. i. das Gewahrwerden des
Verhältniſſes der Ideen unter ſich und zur Er¬
ſcheinung
, die erſte und weſentlichſte Bedingung ſei, da¬
mit eine innere Steigerung, ein höheres Wachsthum der
eigenen Idee möglich werde. Man hat ſich nur an die
oben gegebene Bedeutung des „cogito ergo sum“ zu er¬
innern, zu bedenken, daß die Entwicklung der Seele zum
Geiſt nur in dem Moment erſt Statt hat, als ſie ſelbſt
durch jenes Gebahren mit den wunderbaren Aequivalenten
der Idee und deren ſinnlicher Offenbarung, welches wir
„Denken“ nennen, zuerſt in den Stand geſetzt wird, wie
andere ſo auch die eigene Idee vernehmen zu lernen, und
man kann nicht in Zweifel ſein, welchen mächtigen Einfluß
die Erkenntniß auf die Entwicklung des An-ſich-ſeins der
Seele haben müſſe. Die vernachläſſigte Erkenntniß kann
nicht anders als mindern und ſchwächen, die geſteigerte
und klarer werdende kann nicht anders als erheben und
kräftigen die Energie der Idee — das Höchſte des Men¬
ſchen. — Und ſo möge denn dieſes Alles für jetzt hin¬
reichen die Geſchichte der Erkenntniß deutlich gemacht zu
haben.

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[354/0370] Zügen an ſolchen Quellen getrunken haben, und es iſt eine Aufgabe der immer höher zu dem Reich der Wahrheit ſich fortbildenden Menſchheit, in ſpätern Perioden alle dieſe Vorzüge wieder zu vereinigen mit Manchem, was in jenem beglückten Volke noch nicht hatte zum Durchbruch kommen können. So viel denn von dem, was wir unter dem Einfluſſe der Erkenntniß auf äußeres ſich Darleben der Idee zuſam¬ menfaſſen konnten; das was ſich vom Einfluſſe der Er¬ kenntniß auf das Weſen, auf das An-ſich-ſein der Idee ausſprechen läßt, fällt zuſammen mit dem, was früher ſchon über das Wachsthum der Idee dargeſtellt worden iſt. — Auf keinen Fall kann es dem Wiſſenden verborgen bleiben, daß die Erkenntniß, d. i. das Gewahrwerden des Verhältniſſes der Ideen unter ſich und zur Er¬ ſcheinung, die erſte und weſentlichſte Bedingung ſei, da¬ mit eine innere Steigerung, ein höheres Wachsthum der eigenen Idee möglich werde. Man hat ſich nur an die oben gegebene Bedeutung des „cogito ergo sum“ zu er¬ innern, zu bedenken, daß die Entwicklung der Seele zum Geiſt nur in dem Moment erſt Statt hat, als ſie ſelbſt durch jenes Gebahren mit den wunderbaren Aequivalenten der Idee und deren ſinnlicher Offenbarung, welches wir „Denken“ nennen, zuerſt in den Stand geſetzt wird, wie andere ſo auch die eigene Idee vernehmen zu lernen, und man kann nicht in Zweifel ſein, welchen mächtigen Einfluß die Erkenntniß auf die Entwicklung des An-ſich-ſeins der Seele haben müſſe. Die vernachläſſigte Erkenntniß kann nicht anders als mindern und ſchwächen, die geſteigerte und klarer werdende kann nicht anders als erheben und kräftigen die Energie der Idee — das Höchſte des Men¬ ſchen. — Und ſo möge denn dieſes Alles für jetzt hin¬ reichen die Geſchichte der Erkenntniß deutlich gemacht zu haben.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/370>, abgerufen am 19.04.2024.