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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Uebereinstimmung, welche gewisse von außen erregte Vor¬
stellungen in ihrer eigenthümlichen Folge, mit der Gesetz¬
mäßigkeit unsers eigenen Geistes tief empfinden läßt, uns
bestimmen kann, vorauszusetzen, daß auch jene Einwirkun¬
gen nicht bloß in sich zufällige waren, sondern daß ihnen,
gleich wie unserm innersten Sein, eine eigene innere Nö¬
thigung, ein besonderes inneres Göttliches, mit einem Worte
eine eigenthümliche, von der unserigen verschiedene Idee zum
Grunde liege. Ueberdenkt man, sage ich, diesen ganzen
so sehr zusammengesetzten Vorgang, so wird man bald er¬
kennen, wie eigenthümlich und in sich mannichfaltig bedingt
die Operation ist, welche uns z. B. den Gedanken entste¬
hen läßt, es sei wirklich außer unserer Seele eine andere
Seele vorhanden, welche auf uns wirkt, es stehe wirklich
ein anderer denkender, fühlender, wollender Mensch uns
gegenüber. Es kann denn ein gewisses Erstaunen erregen,
wenn man gewahr wird, daß der Geist mit all diesen so
complicirten Verhältnissen ganz wie mit einer Einfachheit zu
gebahren im Stande ist. -- Ich sehe die verwandte mensch¬
liche Individualität neben mir, wirke auf sie und lasse sie
auf mich wirken, und denke für gewöhnlich keinesweges
daran, was Alles dazu gehört hat, damit mir, obgleich
ich eigentlich immer nur mich selbst als ein ganz Umge¬
stimmtes unmittelbar empfinde, doch diese ganz bestimmte
Erkenntniß vom Vorhandensein einer fremden Individuali¬
tät aufgehen konnte. Habe ich mir indeß dieses Alles auf
solche Weise einmal vollkommen deutlich gemacht, so darf
ich nun auch, -- gleichsam alle diese verwickelten Vorgänge
überspringend, -- das Verhältniß meiner Seele zu andern
unmittelbar empfinden und festhalten, und nunmehr darf
es mir denn auch eine Aufgabe werden, das Eigenthüm¬
liche, die Bedeutung und die Einwirkung dieses Verhält¬
nisses reiflicher zu erwägen und deutlicher darzulegen.

Es ist aber eine in diesen Blättern bereits-mehrfach
ausgesprochene Wahrheit: die Entwicklung der Seele zum

Uebereinſtimmung, welche gewiſſe von außen erregte Vor¬
ſtellungen in ihrer eigenthümlichen Folge, mit der Geſetz¬
mäßigkeit unſers eigenen Geiſtes tief empfinden läßt, uns
beſtimmen kann, vorauszuſetzen, daß auch jene Einwirkun¬
gen nicht bloß in ſich zufällige waren, ſondern daß ihnen,
gleich wie unſerm innerſten Sein, eine eigene innere Nö¬
thigung, ein beſonderes inneres Göttliches, mit einem Worte
eine eigenthümliche, von der unſerigen verſchiedene Idee zum
Grunde liege. Ueberdenkt man, ſage ich, dieſen ganzen
ſo ſehr zuſammengeſetzten Vorgang, ſo wird man bald er¬
kennen, wie eigenthümlich und in ſich mannichfaltig bedingt
die Operation iſt, welche uns z. B. den Gedanken entſte¬
hen läßt, es ſei wirklich außer unſerer Seele eine andere
Seele vorhanden, welche auf uns wirkt, es ſtehe wirklich
ein anderer denkender, fühlender, wollender Menſch uns
gegenüber. Es kann denn ein gewiſſes Erſtaunen erregen,
wenn man gewahr wird, daß der Geiſt mit all dieſen ſo
complicirten Verhältniſſen ganz wie mit einer Einfachheit zu
gebahren im Stande iſt. — Ich ſehe die verwandte menſch¬
liche Individualität neben mir, wirke auf ſie und laſſe ſie
auf mich wirken, und denke für gewöhnlich keinesweges
daran, was Alles dazu gehört hat, damit mir, obgleich
ich eigentlich immer nur mich ſelbſt als ein ganz Umge¬
ſtimmtes unmittelbar empfinde, doch dieſe ganz beſtimmte
Erkenntniß vom Vorhandenſein einer fremden Individuali¬
tät aufgehen konnte. Habe ich mir indeß dieſes Alles auf
ſolche Weiſe einmal vollkommen deutlich gemacht, ſo darf
ich nun auch, — gleichſam alle dieſe verwickelten Vorgänge
überſpringend, — das Verhältniß meiner Seele zu andern
unmittelbar empfinden und feſthalten, und nunmehr darf
es mir denn auch eine Aufgabe werden, das Eigenthüm¬
liche, die Bedeutung und die Einwirkung dieſes Verhält¬
niſſes reiflicher zu erwägen und deutlicher darzulegen.

Es iſt aber eine in dieſen Blättern bereits-mehrfach
ausgeſprochene Wahrheit: die Entwicklung der Seele zum

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[374/0390] Uebereinſtimmung, welche gewiſſe von außen erregte Vor¬ ſtellungen in ihrer eigenthümlichen Folge, mit der Geſetz¬ mäßigkeit unſers eigenen Geiſtes tief empfinden läßt, uns beſtimmen kann, vorauszuſetzen, daß auch jene Einwirkun¬ gen nicht bloß in ſich zufällige waren, ſondern daß ihnen, gleich wie unſerm innerſten Sein, eine eigene innere Nö¬ thigung, ein beſonderes inneres Göttliches, mit einem Worte eine eigenthümliche, von der unſerigen verſchiedene Idee zum Grunde liege. Ueberdenkt man, ſage ich, dieſen ganzen ſo ſehr zuſammengeſetzten Vorgang, ſo wird man bald er¬ kennen, wie eigenthümlich und in ſich mannichfaltig bedingt die Operation iſt, welche uns z. B. den Gedanken entſte¬ hen läßt, es ſei wirklich außer unſerer Seele eine andere Seele vorhanden, welche auf uns wirkt, es ſtehe wirklich ein anderer denkender, fühlender, wollender Menſch uns gegenüber. Es kann denn ein gewiſſes Erſtaunen erregen, wenn man gewahr wird, daß der Geiſt mit all dieſen ſo complicirten Verhältniſſen ganz wie mit einer Einfachheit zu gebahren im Stande iſt. — Ich ſehe die verwandte menſch¬ liche Individualität neben mir, wirke auf ſie und laſſe ſie auf mich wirken, und denke für gewöhnlich keinesweges daran, was Alles dazu gehört hat, damit mir, obgleich ich eigentlich immer nur mich ſelbſt als ein ganz Umge¬ ſtimmtes unmittelbar empfinde, doch dieſe ganz beſtimmte Erkenntniß vom Vorhandenſein einer fremden Individuali¬ tät aufgehen konnte. Habe ich mir indeß dieſes Alles auf ſolche Weiſe einmal vollkommen deutlich gemacht, ſo darf ich nun auch, — gleichſam alle dieſe verwickelten Vorgänge überſpringend, — das Verhältniß meiner Seele zu andern unmittelbar empfinden und feſthalten, und nunmehr darf es mir denn auch eine Aufgabe werden, das Eigenthüm¬ liche, die Bedeutung und die Einwirkung dieſes Verhält¬ niſſes reiflicher zu erwägen und deutlicher darzulegen. Es iſt aber eine in dieſen Blättern bereits-mehrfach ausgeſprochene Wahrheit: die Entwicklung der Seele zum

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/390>, abgerufen am 23.04.2024.