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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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herdagewesene verräth, obwohl es doch selbst nur in steter
Flucht zwischen Vergangenheit und Zukunft, ohne eigent¬
liche Gegenwart, sich erweiset, so muß diese Vorausschau
und diese Erinnerung in ihm allerdings fester und gewisser
als in der bewußten Sphäre genannt werden, und es
muß eine wichtige Aufgabe werden, hier, wo das Unbe¬
wußte der Seele erwogen werden soll, darzulegen, welche
Bewandtniß es mit dieser unbewußten Erinnerung und
unbewußten Voraussicht eigentlich habe. Erst später wird
sich dann ergeben, daß eine eigentliche Gegenwart,
d. h. das Finden eines wahren Haltpunktes zwischen Ver¬
gangenheit und Zukunft, erst im bewußten Geiste möglich
sei, daß aber dann hierin auch überhaupt die Flucht der
Zeit überwunden und die Ewigkeit ergriffen werde. Hier
in der Entwicklung des bewußten Geistes ist aber bei er¬
langter Gegenwart Vergangenheit und Zukunft dunkler,
während im Unbewußten zwar die eigentliche Gegenwart
fehlt, aber die Beziehungen zwischen Vergangenheit und
Zukunft um so inniger und gewisser sind.

Jedenfalls ist es nun von höchster Wichtigkeit, daß
uns ganz und vollkommen deutlich werde, welche Bedeutung
in dieser, im Dunkel des unbewußten Schaffens der Idee
verborgen liegenden, und doch so ganz genau sich bewäh¬
renden Voraussicht und Erinnerung enthalten sei, und es
wird nöthig zuerst hier etwas in's Einzelne einzugehen um
den Begriff davon ganz klar und vollständig aufzuerbauen.
Nur dann erst wenn dies gelungen, wird es möglich sein
ein Verständniß über dasjenige zu eröffnen, was davon
in das bewußte Leben der Seele übergeht, ja zu zeigen,
wie dieses bewußte Leben nur eben erst durch dieses Pro¬
metheische und Epimetheische der unbewußt schaffenden
Idee sich durch und durch begründet findet. Nicht ohne
tiefe Weisheit hatten ja schon die Griechen die Mythe vom
Prometheus und Epimetheus mit allem was höhere Aus¬
bildung der Menschheit heißt in Verbindung gesetzt.

herdageweſene verräth, obwohl es doch ſelbſt nur in ſteter
Flucht zwiſchen Vergangenheit und Zukunft, ohne eigent¬
liche Gegenwart, ſich erweiſet, ſo muß dieſe Vorausſchau
und dieſe Erinnerung in ihm allerdings feſter und gewiſſer
als in der bewußten Sphäre genannt werden, und es
muß eine wichtige Aufgabe werden, hier, wo das Unbe¬
wußte der Seele erwogen werden ſoll, darzulegen, welche
Bewandtniß es mit dieſer unbewußten Erinnerung und
unbewußten Vorausſicht eigentlich habe. Erſt ſpäter wird
ſich dann ergeben, daß eine eigentliche Gegenwart,
d. h. das Finden eines wahren Haltpunktes zwiſchen Ver¬
gangenheit und Zukunft, erſt im bewußten Geiſte möglich
ſei, daß aber dann hierin auch überhaupt die Flucht der
Zeit überwunden und die Ewigkeit ergriffen werde. Hier
in der Entwicklung des bewußten Geiſtes iſt aber bei er¬
langter Gegenwart Vergangenheit und Zukunft dunkler,
während im Unbewußten zwar die eigentliche Gegenwart
fehlt, aber die Beziehungen zwiſchen Vergangenheit und
Zukunft um ſo inniger und gewiſſer ſind.

Jedenfalls iſt es nun von höchſter Wichtigkeit, daß
uns ganz und vollkommen deutlich werde, welche Bedeutung
in dieſer, im Dunkel des unbewußten Schaffens der Idee
verborgen liegenden, und doch ſo ganz genau ſich bewäh¬
renden Vorausſicht und Erinnerung enthalten ſei, und es
wird nöthig zuerſt hier etwas in's Einzelne einzugehen um
den Begriff davon ganz klar und vollſtändig aufzuerbauen.
Nur dann erſt wenn dies gelungen, wird es möglich ſein
ein Verſtändniß über dasjenige zu eröffnen, was davon
in das bewußte Leben der Seele übergeht, ja zu zeigen,
wie dieſes bewußte Leben nur eben erſt durch dieſes Pro¬
metheïſche und Epimetheïſche der unbewußt ſchaffenden
Idee ſich durch und durch begründet findet. Nicht ohne
tiefe Weisheit hatten ja ſchon die Griechen die Mythe vom
Prometheus und Epimetheus mit allem was höhere Aus¬
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[26/0042] herdageweſene verräth, obwohl es doch ſelbſt nur in ſteter Flucht zwiſchen Vergangenheit und Zukunft, ohne eigent¬ liche Gegenwart, ſich erweiſet, ſo muß dieſe Vorausſchau und dieſe Erinnerung in ihm allerdings feſter und gewiſſer als in der bewußten Sphäre genannt werden, und es muß eine wichtige Aufgabe werden, hier, wo das Unbe¬ wußte der Seele erwogen werden ſoll, darzulegen, welche Bewandtniß es mit dieſer unbewußten Erinnerung und unbewußten Vorausſicht eigentlich habe. Erſt ſpäter wird ſich dann ergeben, daß eine eigentliche Gegenwart, d. h. das Finden eines wahren Haltpunktes zwiſchen Ver¬ gangenheit und Zukunft, erſt im bewußten Geiſte möglich ſei, daß aber dann hierin auch überhaupt die Flucht der Zeit überwunden und die Ewigkeit ergriffen werde. Hier in der Entwicklung des bewußten Geiſtes iſt aber bei er¬ langter Gegenwart Vergangenheit und Zukunft dunkler, während im Unbewußten zwar die eigentliche Gegenwart fehlt, aber die Beziehungen zwiſchen Vergangenheit und Zukunft um ſo inniger und gewiſſer ſind. Jedenfalls iſt es nun von höchſter Wichtigkeit, daß uns ganz und vollkommen deutlich werde, welche Bedeutung in dieſer, im Dunkel des unbewußten Schaffens der Idee verborgen liegenden, und doch ſo ganz genau ſich bewäh¬ renden Vorausſicht und Erinnerung enthalten ſei, und es wird nöthig zuerſt hier etwas in's Einzelne einzugehen um den Begriff davon ganz klar und vollſtändig aufzuerbauen. Nur dann erſt wenn dies gelungen, wird es möglich ſein ein Verſtändniß über dasjenige zu eröffnen, was davon in das bewußte Leben der Seele übergeht, ja zu zeigen, wie dieſes bewußte Leben nur eben erſt durch dieſes Pro¬ metheïſche und Epimetheïſche der unbewußt ſchaffenden Idee ſich durch und durch begründet findet. Nicht ohne tiefe Weisheit hatten ja ſchon die Griechen die Mythe vom Prometheus und Epimetheus mit allem was höhere Aus¬ bildung der Menſchheit heißt in Verbindung geſetzt.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/42>, abgerufen am 18.04.2024.