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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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jene früheste Lebensperiode, wo alles Dasein des Menschen
noch ein durchaus Unbewußtes ist -- auf die Periode seiner
ersten Bildung. Wir nennen dort es einen gesunden Ent¬
wicklungsgang, wenn nach und nach in der rechten, der
eigenthümlichen Idee gerade dieses Daseins entsprechenden
Weise, in immer fortgehender Umbildung, die Organe
wachsen und sich ausbilden, ohne dabei irgend gestört zu
werden von Einwirkung bestimmter Krankheiten, deren Ein¬
fluß gerade hier am ersten durch Störung normaler Form¬
verhältnisse sich zu äußern pflegt. Hier liegt nun freilich
ein Gegenstand vor, bei dem es namentlich zu wünschen
bleibt, daß derjenige, der sich mit der Wissenschaft von der
Psyche beschäftigen will, einen Begriff habe von der durch
Bildungskrankheiten bedingten Entstehung alles Dessen, was
man angeborene fehlerhafte Bildung nennt und was später¬
hin oft einen so wesentlichen Einfluß zeigt auf die Art der
Entwicklung des Geistes. Auch hier macht sich die Wahr¬
heit jenes Aristotelischen Wortes wieder geltend: "Und
dieserhalb nun gehört für den Naturforscher die Betrachtung
über die Seele, entweder überhaupt oder als solche be¬
schaffene." -- Gewiß! wem die Geschichte solcher Bildungs¬
fehler (man nennt sie nicht mit Unrecht vitia congenita
gleichsam ihren moralischen Einfluß mit andeutend) ganz
fremd ist, wer nicht weiß, wie klein oft die Störungen zu
sein brauchen welche ganz falsche Gestaltungen des Embryo
erzeugen, wem unbekannt ist wie Entzündung des Hirns
im Fötus gewöhnlich veranlasse, daß das Kind mit Wasser
im Hirn zur Welt kommt, oder daß ähnliche Krankheiten
der Brustorgane in dieser Periode sich entwickelnd, die Ur¬
sache zu werden pflegen, daß angeborene Herzfehler ent¬
stehen, Mißbildungen, welche ein Leben voll Angst -- ganz
eigentliche Herzensangst -- herbeiführen, wie die vorher
erwähnten ein Leben ohne entwickelte höhere Intelligenz, --
wie soll dem klar werden, auf welche Weise schon in der Welt
des unbewußten Seelenlebens die wesentliche Basis gegeben

jene früheſte Lebensperiode, wo alles Daſein des Menſchen
noch ein durchaus Unbewußtes iſt — auf die Periode ſeiner
erſten Bildung. Wir nennen dort es einen geſunden Ent¬
wicklungsgang, wenn nach und nach in der rechten, der
eigenthümlichen Idee gerade dieſes Daſeins entſprechenden
Weiſe, in immer fortgehender Umbildung, die Organe
wachſen und ſich ausbilden, ohne dabei irgend geſtört zu
werden von Einwirkung beſtimmter Krankheiten, deren Ein¬
fluß gerade hier am erſten durch Störung normaler Form¬
verhältniſſe ſich zu äußern pflegt. Hier liegt nun freilich
ein Gegenſtand vor, bei dem es namentlich zu wünſchen
bleibt, daß derjenige, der ſich mit der Wiſſenſchaft von der
Pſyche beſchäftigen will, einen Begriff habe von der durch
Bildungskrankheiten bedingten Entſtehung alles Deſſen, was
man angeborene fehlerhafte Bildung nennt und was ſpäter¬
hin oft einen ſo weſentlichen Einfluß zeigt auf die Art der
Entwicklung des Geiſtes. Auch hier macht ſich die Wahr¬
heit jenes Ariſtoteliſchen Wortes wieder geltend: „Und
dieſerhalb nun gehört für den Naturforſcher die Betrachtung
über die Seele, entweder überhaupt oder als ſolche be¬
ſchaffene.“ — Gewiß! wem die Geſchichte ſolcher Bildungs¬
fehler (man nennt ſie nicht mit Unrecht vitia congenita
gleichſam ihren moraliſchen Einfluß mit andeutend) ganz
fremd iſt, wer nicht weiß, wie klein oft die Störungen zu
ſein brauchen welche ganz falſche Geſtaltungen des Embryo
erzeugen, wem unbekannt iſt wie Entzündung des Hirns
im Fötus gewöhnlich veranlaſſe, daß das Kind mit Waſſer
im Hirn zur Welt kommt, oder daß ähnliche Krankheiten
der Bruſtorgane in dieſer Periode ſich entwickelnd, die Ur¬
ſache zu werden pflegen, daß angeborene Herzfehler ent¬
ſtehen, Mißbildungen, welche ein Leben voll Angſt — ganz
eigentliche Herzensangſt — herbeiführen, wie die vorher
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[420/0436] jene früheſte Lebensperiode, wo alles Daſein des Menſchen noch ein durchaus Unbewußtes iſt — auf die Periode ſeiner erſten Bildung. Wir nennen dort es einen geſunden Ent¬ wicklungsgang, wenn nach und nach in der rechten, der eigenthümlichen Idee gerade dieſes Daſeins entſprechenden Weiſe, in immer fortgehender Umbildung, die Organe wachſen und ſich ausbilden, ohne dabei irgend geſtört zu werden von Einwirkung beſtimmter Krankheiten, deren Ein¬ fluß gerade hier am erſten durch Störung normaler Form¬ verhältniſſe ſich zu äußern pflegt. Hier liegt nun freilich ein Gegenſtand vor, bei dem es namentlich zu wünſchen bleibt, daß derjenige, der ſich mit der Wiſſenſchaft von der Pſyche beſchäftigen will, einen Begriff habe von der durch Bildungskrankheiten bedingten Entſtehung alles Deſſen, was man angeborene fehlerhafte Bildung nennt und was ſpäter¬ hin oft einen ſo weſentlichen Einfluß zeigt auf die Art der Entwicklung des Geiſtes. Auch hier macht ſich die Wahr¬ heit jenes Ariſtoteliſchen Wortes wieder geltend: „Und dieſerhalb nun gehört für den Naturforſcher die Betrachtung über die Seele, entweder überhaupt oder als ſolche be¬ ſchaffene.“ — Gewiß! wem die Geſchichte ſolcher Bildungs¬ fehler (man nennt ſie nicht mit Unrecht vitia congenita gleichſam ihren moraliſchen Einfluß mit andeutend) ganz fremd iſt, wer nicht weiß, wie klein oft die Störungen zu ſein brauchen welche ganz falſche Geſtaltungen des Embryo erzeugen, wem unbekannt iſt wie Entzündung des Hirns im Fötus gewöhnlich veranlaſſe, daß das Kind mit Waſſer im Hirn zur Welt kommt, oder daß ähnliche Krankheiten der Bruſtorgane in dieſer Periode ſich entwickelnd, die Ur¬ ſache zu werden pflegen, daß angeborene Herzfehler ent¬ ſtehen, Mißbildungen, welche ein Leben voll Angſt — ganz eigentliche Herzensangſt — herbeiführen, wie die vorher erwähnten ein Leben ohne entwickelte höhere Intelligenz, — wie ſoll dem klar werden, auf welche Weiſe ſchon in der Welt des unbewußten Seelenlebens die weſentliche Baſis gegeben

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/436>, abgerufen am 25.04.2024.