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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Systematik.

Mit einem Gefühle der Befriedigung sieht man die naturgeschicht-
lichen Bestrebungen des siebzehnten Jahrhunderts allmählich in Bah-
nen lenken, welche sowohl durch Vertiefung der Untersuchung als auch
durch Feststellung ihrer mehr formellen Hülfsmittel eine wirklich wis-
senschaftliche Begründung in Aussicht stellen. Der Eintritt neuer
Gesichtspunkte, das klare Erkennen neu gewordener Ziele, vor Allem
aber die Verbreitung des allmählich bereits Errungenen geschah indessen
langsam, freilich vielleicht nicht so langsam, wie es sich unter den trau-
rigen Verhältnissen jenes Jahrhunderts hätte erwarten lassen. Er-
scheinen frühere Jahrhunderte neuerem Auge schon als trübe und durch
die Rohheit und Unsicherheit des öffentlichen Lebens als für Entwicke-
lung geistiger Blüthe wenig versprechend, so ist die Verwüstung und
Zerrüttung, welche Deutschland in der ersten Hälfte des siebzehnten
Jahrhunderts zu erleiden hatte, grauenvoller als irgend ein früheres
Nationalunglück gewesen war. Gegenüber den Wirkungen des dreißig-
jährigen Kriegs in Deutschland sind die Folgen der in dem gleichen
Jahrhundert stattgefundenen politischen Erschütterungen in England,
selbst die Kriege Frankreichs nur leicht vorübergehende Störungen ge-
wesen, während Deutschland materiell sich erst vor kaum einem Jahr-
hundert einigermaßen erholt hat. Aber vielleicht gerade deshalb, weil
es sich um jede Aussicht auf äußere Erfolge gebracht sah, arbeitete es
um so eifriger an seiner geistigen Erhebung, welche in der durch den
westphälischen Frieden neu begründeten Regelung der innern staatlichen
Verhältnisse nur ein förderndes Moment finden konnte. Bezeichnend

Periode der Syſtematik.

Mit einem Gefühle der Befriedigung ſieht man die naturgeſchicht-
lichen Beſtrebungen des ſiebzehnten Jahrhunderts allmählich in Bah-
nen lenken, welche ſowohl durch Vertiefung der Unterſuchung als auch
durch Feſtſtellung ihrer mehr formellen Hülfsmittel eine wirklich wiſ-
ſenſchaftliche Begründung in Ausſicht ſtellen. Der Eintritt neuer
Geſichtspunkte, das klare Erkennen neu gewordener Ziele, vor Allem
aber die Verbreitung des allmählich bereits Errungenen geſchah indeſſen
langſam, freilich vielleicht nicht ſo langſam, wie es ſich unter den trau-
rigen Verhältniſſen jenes Jahrhunderts hätte erwarten laſſen. Er-
ſcheinen frühere Jahrhunderte neuerem Auge ſchon als trübe und durch
die Rohheit und Unſicherheit des öffentlichen Lebens als für Entwicke-
lung geiſtiger Blüthe wenig verſprechend, ſo iſt die Verwüſtung und
Zerrüttung, welche Deutſchland in der erſten Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts zu erleiden hatte, grauenvoller als irgend ein früheres
Nationalunglück geweſen war. Gegenüber den Wirkungen des dreißig-
jährigen Kriegs in Deutſchland ſind die Folgen der in dem gleichen
Jahrhundert ſtattgefundenen politiſchen Erſchütterungen in England,
ſelbſt die Kriege Frankreichs nur leicht vorübergehende Störungen ge-
weſen, während Deutſchland materiell ſich erſt vor kaum einem Jahr-
hundert einigermaßen erholt hat. Aber vielleicht gerade deshalb, weil
es ſich um jede Ausſicht auf äußere Erfolge gebracht ſah, arbeitete es
um ſo eifriger an ſeiner geiſtigen Erhebung, welche in der durch den
weſtphäliſchen Frieden neu begründeten Regelung der innern ſtaatlichen
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[386/0397] Periode der Syſtematik. Mit einem Gefühle der Befriedigung ſieht man die naturgeſchicht- lichen Beſtrebungen des ſiebzehnten Jahrhunderts allmählich in Bah- nen lenken, welche ſowohl durch Vertiefung der Unterſuchung als auch durch Feſtſtellung ihrer mehr formellen Hülfsmittel eine wirklich wiſ- ſenſchaftliche Begründung in Ausſicht ſtellen. Der Eintritt neuer Geſichtspunkte, das klare Erkennen neu gewordener Ziele, vor Allem aber die Verbreitung des allmählich bereits Errungenen geſchah indeſſen langſam, freilich vielleicht nicht ſo langſam, wie es ſich unter den trau- rigen Verhältniſſen jenes Jahrhunderts hätte erwarten laſſen. Er- ſcheinen frühere Jahrhunderte neuerem Auge ſchon als trübe und durch die Rohheit und Unſicherheit des öffentlichen Lebens als für Entwicke- lung geiſtiger Blüthe wenig verſprechend, ſo iſt die Verwüſtung und Zerrüttung, welche Deutſchland in der erſten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts zu erleiden hatte, grauenvoller als irgend ein früheres Nationalunglück geweſen war. Gegenüber den Wirkungen des dreißig- jährigen Kriegs in Deutſchland ſind die Folgen der in dem gleichen Jahrhundert ſtattgefundenen politiſchen Erſchütterungen in England, ſelbſt die Kriege Frankreichs nur leicht vorübergehende Störungen ge- weſen, während Deutſchland materiell ſich erſt vor kaum einem Jahr- hundert einigermaßen erholt hat. Aber vielleicht gerade deshalb, weil es ſich um jede Ausſicht auf äußere Erfolge gebracht ſah, arbeitete es um ſo eifriger an ſeiner geiſtigen Erhebung, welche in der durch den weſtphäliſchen Frieden neu begründeten Regelung der innern ſtaatlichen Verhältniſſe nur ein förderndes Moment finden konnte. Bezeichnend

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/397>, abgerufen am 23.04.2024.