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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Zoologische Kenntnisse des Alterthums.
eine bloße Formbekanntschaft mit den Thieren um so weniger befriedigt
fühlen, als diese "keine charakterlosen Bewohner des Feldes und Wal-
des" waren, sondern die werkthätige Kraftanstrengung, den Scharfsinn
und in nicht geringem Maße die innere Theilnahme des Menschen her-
ausforderten. Wie auch jetzt noch, trotzdem daß "die wissenschaftliche
Forschung überall den Schein zerstört hat und der alte Glaube an die
götterbeseelte Natur längst gebrochen ist", die in dem Gefühle der Zu-
sammengehörigkeit wurzelnde Befreundung mit der Natur und ihren
Heimlichkeiten eine Wahrheit ist, so mußte in Zeiten, wo die Berüh-
rung des Menschen mit der Natur eine äußerst innige war, auch das
Thierleben in nähere Verbindung mit den übrigen Naturvorgängen
treten. Die Thiere waren nicht bloß der Ausdruck der Bewegung in
der irdischen Natur, sie bezeichneten nicht allein durch ihr Auftreten
und Verschwinden den Wechsel der Jahreszeiten u. s. f., die in Folge
engern Zusammenlebens sorgfältiger beobachteten Sitten, das sich über-
haupt weiter erschließende Leben der Thiere bot auch der dichterischen
Einbildungskraft, welche in allen Zeiten und Breiten das beständige
Werden in der Natur mit einem ersten Gewordenen in Verbindung zu
bringen versuchte, reichlichen Stoff zur Belebung jetzt als todt erkann-
ter, starren Gesetzen gehorchender Vorgänge dar. "Werden nun aber
die Naturerscheinungen als persönliche göttliche Wesen oder als von
ihnen ausgehend gedacht, so liegt es nahe, zwischen dem Thier, in dem
sich eine natürliche Fähigkeit am energischsten und kräftigsten zu erken-
nen gibt, und der verwandten Naturerscheinung eine tiefere Beziehung
sich zu denken; das Thier wird zum Ausdruck der Naturerscheinung,
zum Träger oder Begleiter ihrer Gottheit; es wird leicht auch zu deren
Bilde."13). So kommt es, daß es außer der jüdischen Schöpfungssage
wohl kaum eine Urform religiöser Vorstellungskreise gibt, in welcher
nicht auf eine oder die andere Weise Thiere als Träger, Begleiter,
Sinnbilder der Gottheiten erscheinen. Zur Erklärung dieser Verbindung
scheinbar gar nüchterner, doch im Grunde tief poetischer Verkörperun-
gen gewisser Ideen mit den höchsten sittlichen und geistigen Vorstellungen

13) Lassen, Indische Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 346.

Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
eine bloße Formbekanntſchaft mit den Thieren um ſo weniger befriedigt
fühlen, als dieſe „keine charakterloſen Bewohner des Feldes und Wal-
des“ waren, ſondern die werkthätige Kraftanſtrengung, den Scharfſinn
und in nicht geringem Maße die innere Theilnahme des Menſchen her-
ausforderten. Wie auch jetzt noch, trotzdem daß „die wiſſenſchaftliche
Forſchung überall den Schein zerſtört hat und der alte Glaube an die
götterbeſeelte Natur längſt gebrochen iſt“, die in dem Gefühle der Zu-
ſammengehörigkeit wurzelnde Befreundung mit der Natur und ihren
Heimlichkeiten eine Wahrheit iſt, ſo mußte in Zeiten, wo die Berüh-
rung des Menſchen mit der Natur eine äußerſt innige war, auch das
Thierleben in nähere Verbindung mit den übrigen Naturvorgängen
treten. Die Thiere waren nicht bloß der Ausdruck der Bewegung in
der irdiſchen Natur, ſie bezeichneten nicht allein durch ihr Auftreten
und Verſchwinden den Wechſel der Jahreszeiten u. ſ. f., die in Folge
engern Zuſammenlebens ſorgfältiger beobachteten Sitten, das ſich über-
haupt weiter erſchließende Leben der Thiere bot auch der dichteriſchen
Einbildungskraft, welche in allen Zeiten und Breiten das beſtändige
Werden in der Natur mit einem erſten Gewordenen in Verbindung zu
bringen verſuchte, reichlichen Stoff zur Belebung jetzt als todt erkann-
ter, ſtarren Geſetzen gehorchender Vorgänge dar. „Werden nun aber
die Naturerſcheinungen als perſönliche göttliche Weſen oder als von
ihnen ausgehend gedacht, ſo liegt es nahe, zwiſchen dem Thier, in dem
ſich eine natürliche Fähigkeit am energiſchſten und kräftigſten zu erken-
nen gibt, und der verwandten Naturerſcheinung eine tiefere Beziehung
ſich zu denken; das Thier wird zum Ausdruck der Naturerſcheinung,
zum Träger oder Begleiter ihrer Gottheit; es wird leicht auch zu deren
Bilde.“13). So kommt es, daß es außer der jüdiſchen Schöpfungsſage
wohl kaum eine Urform religiöſer Vorſtellungskreiſe gibt, in welcher
nicht auf eine oder die andere Weiſe Thiere als Träger, Begleiter,
Sinnbilder der Gottheiten erſcheinen. Zur Erklärung dieſer Verbindung
ſcheinbar gar nüchterner, doch im Grunde tief poetiſcher Verkörperun-
gen gewiſſer Ideen mit den höchſten ſittlichen und geiſtigen Vorſtellungen

13) Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 346.
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[16/0027] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. eine bloße Formbekanntſchaft mit den Thieren um ſo weniger befriedigt fühlen, als dieſe „keine charakterloſen Bewohner des Feldes und Wal- des“ waren, ſondern die werkthätige Kraftanſtrengung, den Scharfſinn und in nicht geringem Maße die innere Theilnahme des Menſchen her- ausforderten. Wie auch jetzt noch, trotzdem daß „die wiſſenſchaftliche Forſchung überall den Schein zerſtört hat und der alte Glaube an die götterbeſeelte Natur längſt gebrochen iſt“, die in dem Gefühle der Zu- ſammengehörigkeit wurzelnde Befreundung mit der Natur und ihren Heimlichkeiten eine Wahrheit iſt, ſo mußte in Zeiten, wo die Berüh- rung des Menſchen mit der Natur eine äußerſt innige war, auch das Thierleben in nähere Verbindung mit den übrigen Naturvorgängen treten. Die Thiere waren nicht bloß der Ausdruck der Bewegung in der irdiſchen Natur, ſie bezeichneten nicht allein durch ihr Auftreten und Verſchwinden den Wechſel der Jahreszeiten u. ſ. f., die in Folge engern Zuſammenlebens ſorgfältiger beobachteten Sitten, das ſich über- haupt weiter erſchließende Leben der Thiere bot auch der dichteriſchen Einbildungskraft, welche in allen Zeiten und Breiten das beſtändige Werden in der Natur mit einem erſten Gewordenen in Verbindung zu bringen verſuchte, reichlichen Stoff zur Belebung jetzt als todt erkann- ter, ſtarren Geſetzen gehorchender Vorgänge dar. „Werden nun aber die Naturerſcheinungen als perſönliche göttliche Weſen oder als von ihnen ausgehend gedacht, ſo liegt es nahe, zwiſchen dem Thier, in dem ſich eine natürliche Fähigkeit am energiſchſten und kräftigſten zu erken- nen gibt, und der verwandten Naturerſcheinung eine tiefere Beziehung ſich zu denken; das Thier wird zum Ausdruck der Naturerſcheinung, zum Träger oder Begleiter ihrer Gottheit; es wird leicht auch zu deren Bilde.“ 13). So kommt es, daß es außer der jüdiſchen Schöpfungsſage wohl kaum eine Urform religiöſer Vorſtellungskreiſe gibt, in welcher nicht auf eine oder die andere Weiſe Thiere als Träger, Begleiter, Sinnbilder der Gottheiten erſcheinen. Zur Erklärung dieſer Verbindung ſcheinbar gar nüchterner, doch im Grunde tief poetiſcher Verkörperun- gen gewiſſer Ideen mit den höchſten ſittlichen und geiſtigen Vorſtellungen 13) Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 346.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/27>, abgerufen am 29.03.2024.