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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Kenntniß des thierischen Baues.
gemeinen, sondern besonders auch mit deren Anatomie hinweisen92).
Als Anhänger Plato's hätte ihm eine warme Begeisterung für Aristo-
teles
nicht gerade nahe liegen können. Und doch spricht er in Bezug
auf seine naturhistorischen Studien mit der größten Verehrung vom
Stagiriten. Seine naturhistorischen Schriften93) sind leider nicht er-
halten, so daß die Römer in der Litteratur der wissenschaftlichen Bear-
beitung des Thierreichs auch nicht mit einem Namen vertreten sind.

Noch wäre, wenn es hier auf eine vollständige Uebersicht dessen
ankäme, was im Alterthum überhaupt über Thiere gedacht und ge-
schrieben worden ist, der Schriften zu gedenken, welche das Thierleben
von der psychologischen Seite zu betrachten sich zum Vorwurf genom-
men hatten. Wenn aber hier die Sammlungen von wunderbaren Din-
gen ausgenommen werden, in denen sich neben manchen aus Aristoteles
und andern Schriftstellern entlehnten Angaben auch einzelne Züge aus
dem Thierleben geschildert finden, welche entweder selbst beobachtet oder
der Volksüberlieferung eigen gewesen zu sein scheinen, so bleiben streng
genommen nur die beiden Schriften des Plutarch übrig, welche ge-
wöhnlich als "Ueber die Klugheit der Thiere" und "Daß die Thiere Ver-
nunft haben" angeführt werden. Doch sind in beiden eingehendere
wissenschaftliche Betrachtungen nicht nachzuweisen. Während in der
letztgenannten nach Analogie mit menschlichem Thun gewisse geistige
Eigenschaften auch den Thieren zugeschrieben werden, wie Muth, Ueber-
legung u. s. f., ist die erstere mehr oder weniger als Anekdotensamm-
lung anzusehen, deren einzelne Stücke weder einer planmäßigen Beob-

92) So z. B. die Stelle im 40. Kapitel, wo er vom lepus marinus angibt:
er allein habe, trotzdem er sonst knochenlos sei, zwölf Knochen "ad similitudinem
talorum suillorum in ventre connexa et catenata,
" was Aristoteles nicht gewußt
habe. Cuvier bezieht die Angabe unbedenklich auf Aplysia. (Hist. d. scienc.
natur. T. 1. p. 287).
93) s. Stahr, Aristoteles bei den Römern. S. 141 flgde. -- Daß Appulejus
zoologische Schriften verfaßt hat, geht aus seiner Apologie hervor. So erzählt er im
37. Kapitel, daß Sophokles der Geistesschwäche angeklagt, seinen Richtern als ein-
zige Vertheidigung seinen Koloneus vorgelesen habe, und fährt dann fort: cedo
enim experiamur, an et mihi possint in iudicio litterae meae prodesse. Lege
pauca de principio, dein quaedam de piscibus.

Kenntniß des thieriſchen Baues.
gemeinen, ſondern beſonders auch mit deren Anatomie hinweiſen92).
Als Anhänger Plato's hätte ihm eine warme Begeiſterung für Ariſto-
teles
nicht gerade nahe liegen können. Und doch ſpricht er in Bezug
auf ſeine naturhiſtoriſchen Studien mit der größten Verehrung vom
Stagiriten. Seine naturhiſtoriſchen Schriften93) ſind leider nicht er-
halten, ſo daß die Römer in der Litteratur der wiſſenſchaftlichen Bear-
beitung des Thierreichs auch nicht mit einem Namen vertreten ſind.

Noch wäre, wenn es hier auf eine vollſtändige Ueberſicht deſſen
ankäme, was im Alterthum überhaupt über Thiere gedacht und ge-
ſchrieben worden iſt, der Schriften zu gedenken, welche das Thierleben
von der pſychologiſchen Seite zu betrachten ſich zum Vorwurf genom-
men hatten. Wenn aber hier die Sammlungen von wunderbaren Din-
gen ausgenommen werden, in denen ſich neben manchen aus Ariſtoteles
und andern Schriftſtellern entlehnten Angaben auch einzelne Züge aus
dem Thierleben geſchildert finden, welche entweder ſelbſt beobachtet oder
der Volksüberlieferung eigen geweſen zu ſein ſcheinen, ſo bleiben ſtreng
genommen nur die beiden Schriften des Plutarch übrig, welche ge-
wöhnlich als „Ueber die Klugheit der Thiere“ und „Daß die Thiere Ver-
nunft haben“ angeführt werden. Doch ſind in beiden eingehendere
wiſſenſchaftliche Betrachtungen nicht nachzuweiſen. Während in der
letztgenannten nach Analogie mit menſchlichem Thun gewiſſe geiſtige
Eigenſchaften auch den Thieren zugeſchrieben werden, wie Muth, Ueber-
legung u. ſ. f., iſt die erſtere mehr oder weniger als Anekdotenſamm-
lung anzuſehen, deren einzelne Stücke weder einer planmäßigen Beob-

92) So z. B. die Stelle im 40. Kapitel, wo er vom lepus marinus angibt:
er allein habe, trotzdem er ſonſt knochenlos ſei, zwölf Knochen „ad similitudinem
talorum suillorum in ventre connexa et catenata,
“ was Ariſtoteles nicht gewußt
habe. Cuvier bezieht die Angabe unbedenklich auf Aplysia. (Hist. d. scienc.
natur. T. 1. p. 287).
93) ſ. Stahr, Ariſtoteles bei den Römern. S. 141 flgde. — Daß Appulejus
zoologiſche Schriften verfaßt hat, geht aus ſeiner Apologie hervor. So erzählt er im
37. Kapitel, daß Sophokles der Geiſtesſchwäche angeklagt, ſeinen Richtern als ein-
zige Vertheidigung ſeinen Koloneus vorgeleſen habe, und fährt dann fort: cedo
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[75/0086] Kenntniß des thieriſchen Baues. gemeinen, ſondern beſonders auch mit deren Anatomie hinweiſen 92). Als Anhänger Plato's hätte ihm eine warme Begeiſterung für Ariſto- teles nicht gerade nahe liegen können. Und doch ſpricht er in Bezug auf ſeine naturhiſtoriſchen Studien mit der größten Verehrung vom Stagiriten. Seine naturhiſtoriſchen Schriften 93) ſind leider nicht er- halten, ſo daß die Römer in der Litteratur der wiſſenſchaftlichen Bear- beitung des Thierreichs auch nicht mit einem Namen vertreten ſind. Noch wäre, wenn es hier auf eine vollſtändige Ueberſicht deſſen ankäme, was im Alterthum überhaupt über Thiere gedacht und ge- ſchrieben worden iſt, der Schriften zu gedenken, welche das Thierleben von der pſychologiſchen Seite zu betrachten ſich zum Vorwurf genom- men hatten. Wenn aber hier die Sammlungen von wunderbaren Din- gen ausgenommen werden, in denen ſich neben manchen aus Ariſtoteles und andern Schriftſtellern entlehnten Angaben auch einzelne Züge aus dem Thierleben geſchildert finden, welche entweder ſelbſt beobachtet oder der Volksüberlieferung eigen geweſen zu ſein ſcheinen, ſo bleiben ſtreng genommen nur die beiden Schriften des Plutarch übrig, welche ge- wöhnlich als „Ueber die Klugheit der Thiere“ und „Daß die Thiere Ver- nunft haben“ angeführt werden. Doch ſind in beiden eingehendere wiſſenſchaftliche Betrachtungen nicht nachzuweiſen. Während in der letztgenannten nach Analogie mit menſchlichem Thun gewiſſe geiſtige Eigenſchaften auch den Thieren zugeſchrieben werden, wie Muth, Ueber- legung u. ſ. f., iſt die erſtere mehr oder weniger als Anekdotenſamm- lung anzuſehen, deren einzelne Stücke weder einer planmäßigen Beob- 92) So z. B. die Stelle im 40. Kapitel, wo er vom lepus marinus angibt: er allein habe, trotzdem er ſonſt knochenlos ſei, zwölf Knochen „ad similitudinem talorum suillorum in ventre connexa et catenata,“ was Ariſtoteles nicht gewußt habe. Cuvier bezieht die Angabe unbedenklich auf Aplysia. (Hist. d. scienc. natur. T. 1. p. 287). 93) ſ. Stahr, Ariſtoteles bei den Römern. S. 141 flgde. — Daß Appulejus zoologiſche Schriften verfaßt hat, geht aus ſeiner Apologie hervor. So erzählt er im 37. Kapitel, daß Sophokles der Geiſtesſchwäche angeklagt, ſeinen Richtern als ein- zige Vertheidigung ſeinen Koloneus vorgeleſen habe, und fährt dann fort: cedo enim experiamur, an et mihi possint in iudicio litterae meae prodesse. Lege pauca de principio, dein quaedam de piscibus.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/86>, abgerufen am 20.04.2024.