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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Man kann auf den ägyptischen Denkmälern gewissermassen das "Jude-
werden" der Israeliten verfolgen, wenn sie auch freilich selbst auf
den allerältesten (die ja nicht sehr weit in die israelitische Geschichte
hinaufreichen, da das Volk erst unter Salomo über seine Grenzen
hinaus bekannt wurde) wenig vom unverfälschten semitischen Typus
mehr zeigen. Wir sehen hier, als israelitische Soldaten abgebildet,
echte Hethiter und Halbhethiter; nur die Führer -- man sehe z. B. das
angebliche Porträt des Königs Rehabeam (Salomo's Sohn) -- könnten
allenfalls an Beduinenphysiognomien erinnern, gemahnen aber bisweilen
noch mehr an gute europäische Gesichter.

Mit diesen letzten Bemerkungen treten wir aus der allgemeinen,
prähistorischen Einflussphäre in die speziellere, kanaanitische über, die
ebenfalls weit über ein Jahrtausend dauerte, und wo uns sichere That-
sachen reichlich zur Verfügung stehen. Denn ehe den hebräischen
Israeliten die Ehre der Verewigung durch die Kunst ägyptischer Maler
zu Teil wurde, waren sie aus Mesopotamien nach Kanaan gezogen.
Wir müssen zwischen dem ersten kanaanitischen Erscheinen und dem
zweiten unterscheiden: beim ersten weilten sie dort als nomadisierende
Hirten im besten Einvernehmen mit den rechtmässigen Einwohnern
der Städte und der urbar gemachten Strecken, beim zweiten fielen sie
als Eroberer ins Land. Das erste Mal waren sie eben wenig zahlreich,
das zweite Mal ein ganzes Volk. Wie unsicher und umstritten manche
historischen Detailfragen noch sein mögen, eine Thatsache ist sicher:
beim allerersten Betreten des Landes fanden die Israeliten die Hethiter
dort zu Hause, jene Hethiter, die einen wichtigsten Stamm des Homo
syriacus
bildeten. Abraham spricht zu den Einwohnern Hebrons, "den
Kindern Heth's", wie er sie ausdrücklich nennt: "Ich bin ein Fremder,
der unter euch wohnt" (Gen. XXIII, 4), und er bittet, wie nur ein
geduldeter Gast bitten konnte, um ein Grab für sein Eheweib, Sarah.
Isaak's ältester Sohn, Esau, hat nur Hethiterinnen zu Frauen (Gen. XXVI,
34); der jüngere, Jakob, wird in das ferne Mesopotamien geschickt,
damit er ein hebräisches Weib zur Ehe nehmen könne, woraus man
schliessen muss, dass es in Palästina gar keines gab, kein hebräisches
Mädchen wenigstens, welches dem Vermögen nach für ihn gepasst
hätte. Isaak hätte nicht darauf gedrungen, ihm wäre eine wohlhabende
Hethiterin recht gewesen, doch Rebekka, seine mesopotamische Frau,
vertrug sich schlecht mit ihren hethitischen Schwiegertöchtern, den
Frauen Esau's, und meinte, sie würde lieber sterben, als mehr solche
ins Haus bekommen (Gen. XXIII, 46). Unter Jakob's Söhnen wiederum

Die Erben.
Man kann auf den ägyptischen Denkmälern gewissermassen das »Jude-
werden« der Israeliten verfolgen, wenn sie auch freilich selbst auf
den allerältesten (die ja nicht sehr weit in die israelitische Geschichte
hinaufreichen, da das Volk erst unter Salomo über seine Grenzen
hinaus bekannt wurde) wenig vom unverfälschten semitischen Typus
mehr zeigen. Wir sehen hier, als israelitische Soldaten abgebildet,
echte Hethiter und Halbhethiter; nur die Führer — man sehe z. B. das
angebliche Porträt des Königs Rehabeam (Salomo’s Sohn) — könnten
allenfalls an Beduinenphysiognomien erinnern, gemahnen aber bisweilen
noch mehr an gute europäische Gesichter.

Mit diesen letzten Bemerkungen treten wir aus der allgemeinen,
prähistorischen Einflussphäre in die speziellere, kanaanitische über, die
ebenfalls weit über ein Jahrtausend dauerte, und wo uns sichere That-
sachen reichlich zur Verfügung stehen. Denn ehe den hebräischen
Israeliten die Ehre der Verewigung durch die Kunst ägyptischer Maler
zu Teil wurde, waren sie aus Mesopotamien nach Kanaan gezogen.
Wir müssen zwischen dem ersten kanaanitischen Erscheinen und dem
zweiten unterscheiden: beim ersten weilten sie dort als nomadisierende
Hirten im besten Einvernehmen mit den rechtmässigen Einwohnern
der Städte und der urbar gemachten Strecken, beim zweiten fielen sie
als Eroberer ins Land. Das erste Mal waren sie eben wenig zahlreich,
das zweite Mal ein ganzes Volk. Wie unsicher und umstritten manche
historischen Detailfragen noch sein mögen, eine Thatsache ist sicher:
beim allerersten Betreten des Landes fanden die Israeliten die Hethiter
dort zu Hause, jene Hethiter, die einen wichtigsten Stamm des Homo
syriacus
bildeten. Abraham spricht zu den Einwohnern Hebrons, »den
Kindern Heth’s«, wie er sie ausdrücklich nennt: »Ich bin ein Fremder,
der unter euch wohnt« (Gen. XXIII, 4), und er bittet, wie nur ein
geduldeter Gast bitten konnte, um ein Grab für sein Eheweib, Sarah.
Isaak’s ältester Sohn, Esau, hat nur Hethiterinnen zu Frauen (Gen. XXVI,
34); der jüngere, Jakob, wird in das ferne Mesopotamien geschickt,
damit er ein hebräisches Weib zur Ehe nehmen könne, woraus man
schliessen muss, dass es in Palästina gar keines gab, kein hebräisches
Mädchen wenigstens, welches dem Vermögen nach für ihn gepasst
hätte. Isaak hätte nicht darauf gedrungen, ihm wäre eine wohlhabende
Hethiterin recht gewesen, doch Rebekka, seine mesopotamische Frau,
vertrug sich schlecht mit ihren hethitischen Schwiegertöchtern, den
Frauen Esau’s, und meinte, sie würde lieber sterben, als mehr solche
ins Haus bekommen (Gen. XXIII, 46). Unter Jakob’s Söhnen wiederum

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[362/0385] Die Erben. Man kann auf den ägyptischen Denkmälern gewissermassen das »Jude- werden« der Israeliten verfolgen, wenn sie auch freilich selbst auf den allerältesten (die ja nicht sehr weit in die israelitische Geschichte hinaufreichen, da das Volk erst unter Salomo über seine Grenzen hinaus bekannt wurde) wenig vom unverfälschten semitischen Typus mehr zeigen. Wir sehen hier, als israelitische Soldaten abgebildet, echte Hethiter und Halbhethiter; nur die Führer — man sehe z. B. das angebliche Porträt des Königs Rehabeam (Salomo’s Sohn) — könnten allenfalls an Beduinenphysiognomien erinnern, gemahnen aber bisweilen noch mehr an gute europäische Gesichter. Mit diesen letzten Bemerkungen treten wir aus der allgemeinen, prähistorischen Einflussphäre in die speziellere, kanaanitische über, die ebenfalls weit über ein Jahrtausend dauerte, und wo uns sichere That- sachen reichlich zur Verfügung stehen. Denn ehe den hebräischen Israeliten die Ehre der Verewigung durch die Kunst ägyptischer Maler zu Teil wurde, waren sie aus Mesopotamien nach Kanaan gezogen. Wir müssen zwischen dem ersten kanaanitischen Erscheinen und dem zweiten unterscheiden: beim ersten weilten sie dort als nomadisierende Hirten im besten Einvernehmen mit den rechtmässigen Einwohnern der Städte und der urbar gemachten Strecken, beim zweiten fielen sie als Eroberer ins Land. Das erste Mal waren sie eben wenig zahlreich, das zweite Mal ein ganzes Volk. Wie unsicher und umstritten manche historischen Detailfragen noch sein mögen, eine Thatsache ist sicher: beim allerersten Betreten des Landes fanden die Israeliten die Hethiter dort zu Hause, jene Hethiter, die einen wichtigsten Stamm des Homo syriacus bildeten. Abraham spricht zu den Einwohnern Hebrons, »den Kindern Heth’s«, wie er sie ausdrücklich nennt: »Ich bin ein Fremder, der unter euch wohnt« (Gen. XXIII, 4), und er bittet, wie nur ein geduldeter Gast bitten konnte, um ein Grab für sein Eheweib, Sarah. Isaak’s ältester Sohn, Esau, hat nur Hethiterinnen zu Frauen (Gen. XXVI, 34); der jüngere, Jakob, wird in das ferne Mesopotamien geschickt, damit er ein hebräisches Weib zur Ehe nehmen könne, woraus man schliessen muss, dass es in Palästina gar keines gab, kein hebräisches Mädchen wenigstens, welches dem Vermögen nach für ihn gepasst hätte. Isaak hätte nicht darauf gedrungen, ihm wäre eine wohlhabende Hethiterin recht gewesen, doch Rebekka, seine mesopotamische Frau, vertrug sich schlecht mit ihren hethitischen Schwiegertöchtern, den Frauen Esau’s, und meinte, sie würde lieber sterben, als mehr solche ins Haus bekommen (Gen. XXIII, 46). Unter Jakob’s Söhnen wiederum

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/385>, abgerufen am 19.04.2024.