Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Einleitung.
trägt und dabei einen ähnlichen Aufschwung nimmt wie einst die
Reblaus, die in Amerika das wenig beachtete Dasein eines unschuldigen
Käferchens geführt hatte, nach Europa übergeführt jedoch plötzlich
zu einem nicht ganz unbedenklichen Weltruhme gelangte. Wir dürfen
aber wohl hoffen und glauben, dass die Juden, wie die Amerikaner,
uns nicht bloss eine neue Laus, sondern auch eine neue Rebe mit-
gebracht haben. Gewiss ist, dass sie unserem Jahrhundert ein be-
sonderes Gepräge aufgedrückt haben und dass die im Entstehen be-
griffene "neue Welt" für das Werk der Assimilation dieses Stückes
"alter Welt" einen bedeutenden Kraftaufwand benötigen wird. Es
giebt noch andere "neue Kräfte", die an Ort und Stelle zu behandeln
sein werden, so z. B. ward die Begründung der modernen Chemie
der Ausgangspunkt für eine neue Naturwissenschaft, und die Vollendung
einer neuen künstlerischen Sprache durch Beethoven ist ohne Frage
eine der folgenreichsten Thaten auf dem Gebiete der Kunst seit den
Tagen des Homer: sie schenkte dem Menschen ein neues Sprach-
organ, d. h. eine neue Kraft.

Der Anhang soll, wie gesagt, dem Vergleichungswerk
zwischen dem ersten und dem zweiten Band dienen. Diese
Parallelisierung führe ich Punkt für Punkt, mit Benützung des
Schemas des ersten Teiles, in mehreren Kapiteln durch; man wird,
glaube ich, finden, dass diese Betrachtungsweise zu vielen und inter-
essanten Anregungen und Einsichten führt. Ausserdem bereitet sie
ganz vorzüglich auf den etwas gewagten, aber unentbehrlichen Blick
in die Zukunft
vor, ohne welchen die volle Plastizität der Vorstellung
nicht zu erwirken wäre; erst dann kann man auch hoffen, unser
Jahrhundert mit der nötigen, vollkommenen Objektivität beurteilen
und, sozusagen, aus der Vogelperspektive erschauen zu können, womit
zugleich meine Aufgabe zu Ende geführt sein wird.

Dies also die höchst einfache, ungekünstelte Anlage des zweiten
Bandes. Es handelt sich da um ein Vorhaben, dessen Ausführung
ich vielleicht nicht erleben werde, doch musste ich es hier erwähnen,
da es die Gestaltung des vorliegenden Buches wesentlich beeinflusst hat.

Über einige prinzipiell wichtige Punkte muss ich mich noch hier in
der allgemeinen Einleitung kurz aussprechen, damit wir nicht später, an
unpassendem Orte, durch theoretische Erörterungen aufgehalten werden!

Anonyme
Kräfte.

Fast alle Menschen sind von Natur "Heldenverehrer"; gegen
diesen gesunden Instinkt lässt sich nichts Stichhaltiges einwenden.

Allgemeine Einleitung.
trägt und dabei einen ähnlichen Aufschwung nimmt wie einst die
Reblaus, die in Amerika das wenig beachtete Dasein eines unschuldigen
Käferchens geführt hatte, nach Europa übergeführt jedoch plötzlich
zu einem nicht ganz unbedenklichen Weltruhme gelangte. Wir dürfen
aber wohl hoffen und glauben, dass die Juden, wie die Amerikaner,
uns nicht bloss eine neue Laus, sondern auch eine neue Rebe mit-
gebracht haben. Gewiss ist, dass sie unserem Jahrhundert ein be-
sonderes Gepräge aufgedrückt haben und dass die im Entstehen be-
griffene »neue Welt« für das Werk der Assimilation dieses Stückes
»alter Welt« einen bedeutenden Kraftaufwand benötigen wird. Es
giebt noch andere »neue Kräfte«, die an Ort und Stelle zu behandeln
sein werden, so z. B. ward die Begründung der modernen Chemie
der Ausgangspunkt für eine neue Naturwissenschaft, und die Vollendung
einer neuen künstlerischen Sprache durch Beethoven ist ohne Frage
eine der folgenreichsten Thaten auf dem Gebiete der Kunst seit den
Tagen des Homer: sie schenkte dem Menschen ein neues Sprach-
organ, d. h. eine neue Kraft.

Der Anhang soll, wie gesagt, dem Vergleichungswerk
zwischen dem ersten und dem zweiten Band dienen. Diese
Parallelisierung führe ich Punkt für Punkt, mit Benützung des
Schemas des ersten Teiles, in mehreren Kapiteln durch; man wird,
glaube ich, finden, dass diese Betrachtungsweise zu vielen und inter-
essanten Anregungen und Einsichten führt. Ausserdem bereitet sie
ganz vorzüglich auf den etwas gewagten, aber unentbehrlichen Blick
in die Zukunft
vor, ohne welchen die volle Plastizität der Vorstellung
nicht zu erwirken wäre; erst dann kann man auch hoffen, unser
Jahrhundert mit der nötigen, vollkommenen Objektivität beurteilen
und, sozusagen, aus der Vogelperspektive erschauen zu können, womit
zugleich meine Aufgabe zu Ende geführt sein wird.

Dies also die höchst einfache, ungekünstelte Anlage des zweiten
Bandes. Es handelt sich da um ein Vorhaben, dessen Ausführung
ich vielleicht nicht erleben werde, doch musste ich es hier erwähnen,
da es die Gestaltung des vorliegenden Buches wesentlich beeinflusst hat.

Über einige prinzipiell wichtige Punkte muss ich mich noch hier in
der allgemeinen Einleitung kurz aussprechen, damit wir nicht später, an
unpassendem Orte, durch theoretische Erörterungen aufgehalten werden!

Anonyme
Kräfte.

Fast alle Menschen sind von Natur »Heldenverehrer«; gegen
diesen gesunden Instinkt lässt sich nichts Stichhaltiges einwenden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="22"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Einleitung.</fw><lb/>
trägt und dabei einen ähnlichen Aufschwung nimmt wie einst die<lb/>
Reblaus, die in Amerika das wenig beachtete Dasein eines unschuldigen<lb/>
Käferchens geführt hatte, nach Europa übergeführt jedoch plötzlich<lb/>
zu einem nicht ganz unbedenklichen Weltruhme gelangte. Wir dürfen<lb/>
aber wohl hoffen und glauben, dass die Juden, wie die Amerikaner,<lb/>
uns nicht bloss eine neue Laus, sondern auch eine neue Rebe mit-<lb/>
gebracht haben. Gewiss ist, dass sie unserem Jahrhundert ein be-<lb/>
sonderes Gepräge aufgedrückt haben und dass die im Entstehen be-<lb/>
griffene »neue Welt« für das Werk der Assimilation dieses Stückes<lb/>
»alter Welt« einen bedeutenden Kraftaufwand benötigen wird. Es<lb/>
giebt noch andere »neue Kräfte«, die an Ort und Stelle zu behandeln<lb/>
sein werden, so z. B. ward die Begründung der modernen <hi rendition="#g">Chemie</hi><lb/>
der Ausgangspunkt für eine neue Naturwissenschaft, und die Vollendung<lb/>
einer neuen künstlerischen Sprache durch <hi rendition="#g">Beethoven</hi> ist ohne Frage<lb/>
eine der folgenreichsten Thaten auf dem Gebiete der Kunst seit den<lb/>
Tagen des Homer: sie schenkte dem Menschen ein neues Sprach-<lb/>
organ, d. h. eine neue Kraft.</p><lb/>
        <p>Der Anhang soll, wie gesagt, dem <hi rendition="#g">Vergleichungswerk</hi><lb/>
zwischen dem ersten und dem zweiten Band dienen. Diese<lb/>
Parallelisierung führe ich Punkt für Punkt, mit Benützung des<lb/>
Schemas des ersten Teiles, in mehreren Kapiteln durch; man wird,<lb/>
glaube ich, finden, dass diese Betrachtungsweise zu vielen und inter-<lb/>
essanten Anregungen und Einsichten führt. Ausserdem bereitet sie<lb/>
ganz vorzüglich auf den etwas gewagten, aber unentbehrlichen <hi rendition="#g">Blick<lb/>
in die Zukunft</hi> vor, ohne welchen die volle Plastizität der Vorstellung<lb/>
nicht zu erwirken wäre; erst dann kann man auch hoffen, unser<lb/>
Jahrhundert mit der nötigen, vollkommenen Objektivität beurteilen<lb/>
und, sozusagen, aus der Vogelperspektive erschauen zu können, womit<lb/>
zugleich meine Aufgabe zu Ende geführt sein wird.</p><lb/>
        <p>Dies also die höchst einfache, ungekünstelte Anlage des zweiten<lb/>
Bandes. Es handelt sich da um ein Vorhaben, dessen Ausführung<lb/>
ich vielleicht nicht erleben werde, doch musste ich es hier erwähnen,<lb/>
da es die Gestaltung des vorliegenden Buches wesentlich beeinflusst hat.</p><lb/>
        <p>Über einige prinzipiell wichtige Punkte muss ich mich noch hier in<lb/>
der allgemeinen Einleitung kurz aussprechen, damit wir nicht später, an<lb/>
unpassendem Orte, durch theoretische Erörterungen aufgehalten werden!</p><lb/>
        <note place="left">Anonyme<lb/>
Kräfte.</note>
        <p>Fast alle Menschen sind von Natur »Heldenverehrer«; gegen<lb/>
diesen gesunden Instinkt lässt sich nichts Stichhaltiges einwenden.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0045] Allgemeine Einleitung. trägt und dabei einen ähnlichen Aufschwung nimmt wie einst die Reblaus, die in Amerika das wenig beachtete Dasein eines unschuldigen Käferchens geführt hatte, nach Europa übergeführt jedoch plötzlich zu einem nicht ganz unbedenklichen Weltruhme gelangte. Wir dürfen aber wohl hoffen und glauben, dass die Juden, wie die Amerikaner, uns nicht bloss eine neue Laus, sondern auch eine neue Rebe mit- gebracht haben. Gewiss ist, dass sie unserem Jahrhundert ein be- sonderes Gepräge aufgedrückt haben und dass die im Entstehen be- griffene »neue Welt« für das Werk der Assimilation dieses Stückes »alter Welt« einen bedeutenden Kraftaufwand benötigen wird. Es giebt noch andere »neue Kräfte«, die an Ort und Stelle zu behandeln sein werden, so z. B. ward die Begründung der modernen Chemie der Ausgangspunkt für eine neue Naturwissenschaft, und die Vollendung einer neuen künstlerischen Sprache durch Beethoven ist ohne Frage eine der folgenreichsten Thaten auf dem Gebiete der Kunst seit den Tagen des Homer: sie schenkte dem Menschen ein neues Sprach- organ, d. h. eine neue Kraft. Der Anhang soll, wie gesagt, dem Vergleichungswerk zwischen dem ersten und dem zweiten Band dienen. Diese Parallelisierung führe ich Punkt für Punkt, mit Benützung des Schemas des ersten Teiles, in mehreren Kapiteln durch; man wird, glaube ich, finden, dass diese Betrachtungsweise zu vielen und inter- essanten Anregungen und Einsichten führt. Ausserdem bereitet sie ganz vorzüglich auf den etwas gewagten, aber unentbehrlichen Blick in die Zukunft vor, ohne welchen die volle Plastizität der Vorstellung nicht zu erwirken wäre; erst dann kann man auch hoffen, unser Jahrhundert mit der nötigen, vollkommenen Objektivität beurteilen und, sozusagen, aus der Vogelperspektive erschauen zu können, womit zugleich meine Aufgabe zu Ende geführt sein wird. Dies also die höchst einfache, ungekünstelte Anlage des zweiten Bandes. Es handelt sich da um ein Vorhaben, dessen Ausführung ich vielleicht nicht erleben werde, doch musste ich es hier erwähnen, da es die Gestaltung des vorliegenden Buches wesentlich beeinflusst hat. Über einige prinzipiell wichtige Punkte muss ich mich noch hier in der allgemeinen Einleitung kurz aussprechen, damit wir nicht später, an unpassendem Orte, durch theoretische Erörterungen aufgehalten werden! Fast alle Menschen sind von Natur »Heldenverehrer«; gegen diesen gesunden Instinkt lässt sich nichts Stichhaltiges einwenden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/45
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/45>, abgerufen am 19.04.2024.