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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
sehr klar auseinandersetzt, dass in jedem Augenblick das Gleich-
gewicht dasselbe sei.1) Es ist in der That unerfindlich, in wiefern die
Systole einen "Fortschritt" über die Diastole, die Pendelbewegung
nach rechts einen "Fortschritt" über die Pendelbewegung nach links
bilden sollte. Und trotzdem haben gute Köpfe, vom Strome des
herrschenden Irrtumes hingerissen, gerade in der Evolution die Gewähr,
ja, den Beweis der Realität des Fortschrittes erblicken wollen! Wohin
es bei solch ungereimtem Beginnen mit der Logik kommt, muss ich
an einem Beispiele zeigen, denn ich schwimme hier gegen den Strom
und darf keinen Vorteil unbenützt lassen.

John Fiske, der mit Recht vielgerühmte Verfasser der Entdeckungs-
geschichte von Amerika, führt in seinem gedankenreichen darwinistischen
Werke: The destiny of Man, viewed in the light of his origin2) aus:
"der Kampf ums Dasein hat jenes vollendete Erzeugnis schöpferischer
Kraft, die menschliche Seele, hervorgebracht". Nun weiss ich zwar
nicht, wie der Kampf die alleinig wirkende Ursache für die Entstehung
irgend eines Dinges abgeben soll; diese Weltanschauung scheint mir
ein bischen sehr summarisch, wie alle Evolutionsphilosophie; doch
liegt es so sehr auf der Hand, dass der Kampf vorhandene Kräfte
stählt, physische und geistige Anlagen hervorlockt und durch Übung
entwickelt (der alte Homer lehrt es ja unseren Kindern), dass ich hier-
über augenblicklich nicht streiten will. Fiske sagt weiter: "das un-
aufhörliche Hinschlachten ist es, durch welches die höheren Formen
des organischen Lebens entwickelt worden sind" (S. 95 fg.); gut, wir
wollen es annehmen. Nun aber, was macht der Fortschritt?
Logischerweise sollte man voraussetzen, der Fortschritt bestünde in der
Zunahme des Massenmordes, oder wäre wenigstens durch sie bedingt --
wozu allenfalls einige Erscheinungen unserer Zeit annehmbare Belege
liefern könnten. Doch, weit gefehlt! Herr Fiske befindet sich solcher
hausbackener Logik gegenüber im Vorteil, denn er kennt nicht allein
den Ursprung, sondern auch die Bestimmung des Menschen. Er teilt
uns mit: "Bei der höheren Evolution wird der Kampf ums Dasein
aufhören, ein bestimmender Faktor zu sein. .... Dieses Ausser-

1) Siehe First Principles, das Kapitel über The Rythm of motion und die ersten
zwei Kapitel über Evolution.
2) Des Menschen Bestimmung, im Lichte seines Ursprunges betrachtet (Boston 1884).
Das sind unsere modernen Empiriker! sie kennen aller Dinge "Ursprung" und
"Bestimmung" und haben folglich leicht weise sein. Der Papst zu Rom ist be-
scheidener.

Die Entstehung einer neuen Welt.
sehr klar auseinandersetzt, dass in jedem Augenblick das Gleich-
gewicht dasselbe sei.1) Es ist in der That unerfindlich, in wiefern die
Systole einen »Fortschritt« über die Diastole, die Pendelbewegung
nach rechts einen »Fortschritt« über die Pendelbewegung nach links
bilden sollte. Und trotzdem haben gute Köpfe, vom Strome des
herrschenden Irrtumes hingerissen, gerade in der Evolution die Gewähr,
ja, den Beweis der Realität des Fortschrittes erblicken wollen! Wohin
es bei solch ungereimtem Beginnen mit der Logik kommt, muss ich
an einem Beispiele zeigen, denn ich schwimme hier gegen den Strom
und darf keinen Vorteil unbenützt lassen.

John Fiske, der mit Recht vielgerühmte Verfasser der Entdeckungs-
geschichte von Amerika, führt in seinem gedankenreichen darwinistischen
Werke: The destiny of Man, viewed in the light of his origin2) aus:
»der Kampf ums Dasein hat jenes vollendete Erzeugnis schöpferischer
Kraft, die menschliche Seele, hervorgebracht«. Nun weiss ich zwar
nicht, wie der Kampf die alleinig wirkende Ursache für die Entstehung
irgend eines Dinges abgeben soll; diese Weltanschauung scheint mir
ein bischen sehr summarisch, wie alle Evolutionsphilosophie; doch
liegt es so sehr auf der Hand, dass der Kampf vorhandene Kräfte
stählt, physische und geistige Anlagen hervorlockt und durch Übung
entwickelt (der alte Homer lehrt es ja unseren Kindern), dass ich hier-
über augenblicklich nicht streiten will. Fiske sagt weiter: »das un-
aufhörliche Hinschlachten ist es, durch welches die höheren Formen
des organischen Lebens entwickelt worden sind« (S. 95 fg.); gut, wir
wollen es annehmen. Nun aber, was macht der Fortschritt?
Logischerweise sollte man voraussetzen, der Fortschritt bestünde in der
Zunahme des Massenmordes, oder wäre wenigstens durch sie bedingt —
wozu allenfalls einige Erscheinungen unserer Zeit annehmbare Belege
liefern könnten. Doch, weit gefehlt! Herr Fiske befindet sich solcher
hausbackener Logik gegenüber im Vorteil, denn er kennt nicht allein
den Ursprung, sondern auch die Bestimmung des Menschen. Er teilt
uns mit: »Bei der höheren Evolution wird der Kampf ums Dasein
aufhören, ein bestimmender Faktor zu sein. .... Dieses Ausser-

1) Siehe First Principles, das Kapitel über The Rythm of motion und die ersten
zwei Kapitel über Evolution.
2) Des Menschen Bestimmung, im Lichte seines Ursprunges betrachtet (Boston 1884).
Das sind unsere modernen Empiriker! sie kennen aller Dinge »Ursprung« und
»Bestimmung« und haben folglich leicht weise sein. Der Papst zu Rom ist be-
scheidener.
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[716/0195] Die Entstehung einer neuen Welt. sehr klar auseinandersetzt, dass in jedem Augenblick das Gleich- gewicht dasselbe sei. 1) Es ist in der That unerfindlich, in wiefern die Systole einen »Fortschritt« über die Diastole, die Pendelbewegung nach rechts einen »Fortschritt« über die Pendelbewegung nach links bilden sollte. Und trotzdem haben gute Köpfe, vom Strome des herrschenden Irrtumes hingerissen, gerade in der Evolution die Gewähr, ja, den Beweis der Realität des Fortschrittes erblicken wollen! Wohin es bei solch ungereimtem Beginnen mit der Logik kommt, muss ich an einem Beispiele zeigen, denn ich schwimme hier gegen den Strom und darf keinen Vorteil unbenützt lassen. John Fiske, der mit Recht vielgerühmte Verfasser der Entdeckungs- geschichte von Amerika, führt in seinem gedankenreichen darwinistischen Werke: The destiny of Man, viewed in the light of his origin 2) aus: »der Kampf ums Dasein hat jenes vollendete Erzeugnis schöpferischer Kraft, die menschliche Seele, hervorgebracht«. Nun weiss ich zwar nicht, wie der Kampf die alleinig wirkende Ursache für die Entstehung irgend eines Dinges abgeben soll; diese Weltanschauung scheint mir ein bischen sehr summarisch, wie alle Evolutionsphilosophie; doch liegt es so sehr auf der Hand, dass der Kampf vorhandene Kräfte stählt, physische und geistige Anlagen hervorlockt und durch Übung entwickelt (der alte Homer lehrt es ja unseren Kindern), dass ich hier- über augenblicklich nicht streiten will. Fiske sagt weiter: »das un- aufhörliche Hinschlachten ist es, durch welches die höheren Formen des organischen Lebens entwickelt worden sind« (S. 95 fg.); gut, wir wollen es annehmen. Nun aber, was macht der Fortschritt? Logischerweise sollte man voraussetzen, der Fortschritt bestünde in der Zunahme des Massenmordes, oder wäre wenigstens durch sie bedingt — wozu allenfalls einige Erscheinungen unserer Zeit annehmbare Belege liefern könnten. Doch, weit gefehlt! Herr Fiske befindet sich solcher hausbackener Logik gegenüber im Vorteil, denn er kennt nicht allein den Ursprung, sondern auch die Bestimmung des Menschen. Er teilt uns mit: »Bei der höheren Evolution wird der Kampf ums Dasein aufhören, ein bestimmender Faktor zu sein. .... Dieses Ausser- 1) Siehe First Principles, das Kapitel über The Rythm of motion und die ersten zwei Kapitel über Evolution. 2) Des Menschen Bestimmung, im Lichte seines Ursprunges betrachtet (Boston 1884). Das sind unsere modernen Empiriker! sie kennen aller Dinge »Ursprung« und »Bestimmung« und haben folglich leicht weise sein. Der Papst zu Rom ist be- scheidener.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/195>, abgerufen am 25.04.2024.