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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
-- aber auch nur drei -- Gestalten annehmen kann: die feste, die
flüssige, die luftartige; womit nur weiter ausgeführt wird, was das
Volk längst wusste, dass unser Planet aus Erde, Wasser und Luft be-
steht. Wie Homer sich ausdrückt:

Dreifach teilte sich Alles.

Geht man derartigen Vorstellungen mit Absichtlichkeit nach, so artet
dies bald (wie bei Hegel) in willkürliche Spielerei aus;1) durchaus keine
Spielerei ist dagegen die unwillkürliche, intuitive Ausgestaltung einer
allgemeinen, doch nicht analytisch zergliederten (zugleich physischen
und metaphysischen) kosmischen Erfahrung zu einem Mythus. Und
aus diesem Beispiel ergiebt sich die tröstliche Gewissheit, dass auch
im christlichen Dogma der indoeuropäische Geist seinem eigenen Wesen
nicht ganz untreu geworden ist, sondern seine Mythen-schaffende Religion
noch immer Natursymbolik blieb, wie das bei den Indoeraniern
und bei den Slavokeltogermanen von jeher der Fall war. Nur ist
freilich hier die Symbolik eine äusserst subtile, weil eben die philo-
sophische Abstraktion in den ersten christlichen Jahrhunderten blühte,
wogegen die künstlerische Schöpferkraft darniederlag.2) Auch das
muss betont werden, dass der Mythus von der grossen Masse der
Christen nicht als Symbol empfunden wurde; doch das galt bei den
Indern und Germanen mit ihren Licht-, Luft- und Wassergöttern eben-
falls; er ist auch nicht bloss Symbol, sondern die gesamte Natur ver-
bürgt uns die innere, transscendente Wahrheit eines derartigen Dogmas
und sichert seine Fähigkeit zu lebensvoller Weiterentwickelung.3)

Solcher äusseren oder, wenn man will, kosmischen Mythologie
enthält nun das christliche Dogmengebäude eine grosse Menge.

Zunächst so ziemlich Alles, was als Gotteslehre die Vorstellung der
Dreieinigkeit ergänzt: das Fleischwerden des Logos, der Paraklet u. s. w.

1) So z. B. die angeblich notwendige Progression der These, Antithese und
Synthese, oder wiederum das Ansichsein des Absoluten als Vater, das Anderssein
als Sohn, die Rückkehr zu sich als Geist.
2) Siehe den ganzen Schluss des ersten Kapitels.
3) Den ägyptischen Triaden hat man wohl früher einen grösseren Einfluss
auf die christliche Dogmenbildung zugesprochen, als ihnen wirklich zukommt. Zwar
scheint die Vorstellung des Gott-Sohnes in seinem Verhältnis zum Gott-Vater, der
Sohn "nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern erzeugt" (buchstäblich wie im Atha-
nasischen Glaubensbekenntnis), spezifisch ägyptisch; wir finden sie in allen verschie-
denen Göttersystemen der Ägypter wieder; doch ist die dritte Person die Göttin.
(Man vergl. Maspero: Histoire ancienne des peuples de l'Orient classique, 1895, I, 151
und Budge: The Book of the Dead, p. XCVI.)

Religion.
— aber auch nur drei — Gestalten annehmen kann: die feste, die
flüssige, die luftartige; womit nur weiter ausgeführt wird, was das
Volk längst wusste, dass unser Planet aus Erde, Wasser und Luft be-
steht. Wie Homer sich ausdrückt:

Dreifach teilte sich Alles.

Geht man derartigen Vorstellungen mit Absichtlichkeit nach, so artet
dies bald (wie bei Hegel) in willkürliche Spielerei aus;1) durchaus keine
Spielerei ist dagegen die unwillkürliche, intuitive Ausgestaltung einer
allgemeinen, doch nicht analytisch zergliederten (zugleich physischen
und metaphysischen) kosmischen Erfahrung zu einem Mythus. Und
aus diesem Beispiel ergiebt sich die tröstliche Gewissheit, dass auch
im christlichen Dogma der indoeuropäische Geist seinem eigenen Wesen
nicht ganz untreu geworden ist, sondern seine Mythen-schaffende Religion
noch immer Natursymbolik blieb, wie das bei den Indoeraniern
und bei den Slavokeltogermanen von jeher der Fall war. Nur ist
freilich hier die Symbolik eine äusserst subtile, weil eben die philo-
sophische Abstraktion in den ersten christlichen Jahrhunderten blühte,
wogegen die künstlerische Schöpferkraft darniederlag.2) Auch das
muss betont werden, dass der Mythus von der grossen Masse der
Christen nicht als Symbol empfunden wurde; doch das galt bei den
Indern und Germanen mit ihren Licht-, Luft- und Wassergöttern eben-
falls; er ist auch nicht bloss Symbol, sondern die gesamte Natur ver-
bürgt uns die innere, transscendente Wahrheit eines derartigen Dogmas
und sichert seine Fähigkeit zu lebensvoller Weiterentwickelung.3)

Solcher äusseren oder, wenn man will, kosmischen Mythologie
enthält nun das christliche Dogmengebäude eine grosse Menge.

Zunächst so ziemlich Alles, was als Gotteslehre die Vorstellung der
Dreieinigkeit ergänzt: das Fleischwerden des Logos, der Paraklet u. s. w.

1) So z. B. die angeblich notwendige Progression der These, Antithese und
Synthese, oder wiederum das Ansichsein des Absoluten als Vater, das Anderssein
als Sohn, die Rückkehr zu sich als Geist.
2) Siehe den ganzen Schluss des ersten Kapitels.
3) Den ägyptischen Triaden hat man wohl früher einen grösseren Einfluss
auf die christliche Dogmenbildung zugesprochen, als ihnen wirklich zukommt. Zwar
scheint die Vorstellung des Gott-Sohnes in seinem Verhältnis zum Gott-Vater, der
Sohn »nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern erzeugt« (buchstäblich wie im Atha-
nasischen Glaubensbekenntnis), spezifisch ägyptisch; wir finden sie in allen verschie-
denen Göttersystemen der Ägypter wieder; doch ist die dritte Person die Göttin.
(Man vergl. Maspero: Histoire ancienne des peuples de l’Orient classique, 1895, I, 151
und Budge: The Book of the Dead, p. XCVI.)
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[555/0034] Religion. — aber auch nur drei — Gestalten annehmen kann: die feste, die flüssige, die luftartige; womit nur weiter ausgeführt wird, was das Volk längst wusste, dass unser Planet aus Erde, Wasser und Luft be- steht. Wie Homer sich ausdrückt: Dreifach teilte sich Alles. Geht man derartigen Vorstellungen mit Absichtlichkeit nach, so artet dies bald (wie bei Hegel) in willkürliche Spielerei aus; 1) durchaus keine Spielerei ist dagegen die unwillkürliche, intuitive Ausgestaltung einer allgemeinen, doch nicht analytisch zergliederten (zugleich physischen und metaphysischen) kosmischen Erfahrung zu einem Mythus. Und aus diesem Beispiel ergiebt sich die tröstliche Gewissheit, dass auch im christlichen Dogma der indoeuropäische Geist seinem eigenen Wesen nicht ganz untreu geworden ist, sondern seine Mythen-schaffende Religion noch immer Natursymbolik blieb, wie das bei den Indoeraniern und bei den Slavokeltogermanen von jeher der Fall war. Nur ist freilich hier die Symbolik eine äusserst subtile, weil eben die philo- sophische Abstraktion in den ersten christlichen Jahrhunderten blühte, wogegen die künstlerische Schöpferkraft darniederlag. 2) Auch das muss betont werden, dass der Mythus von der grossen Masse der Christen nicht als Symbol empfunden wurde; doch das galt bei den Indern und Germanen mit ihren Licht-, Luft- und Wassergöttern eben- falls; er ist auch nicht bloss Symbol, sondern die gesamte Natur ver- bürgt uns die innere, transscendente Wahrheit eines derartigen Dogmas und sichert seine Fähigkeit zu lebensvoller Weiterentwickelung. 3) Solcher äusseren oder, wenn man will, kosmischen Mythologie enthält nun das christliche Dogmengebäude eine grosse Menge. Zunächst so ziemlich Alles, was als Gotteslehre die Vorstellung der Dreieinigkeit ergänzt: das Fleischwerden des Logos, der Paraklet u. s. w. 1) So z. B. die angeblich notwendige Progression der These, Antithese und Synthese, oder wiederum das Ansichsein des Absoluten als Vater, das Anderssein als Sohn, die Rückkehr zu sich als Geist. 2) Siehe den ganzen Schluss des ersten Kapitels. 3) Den ägyptischen Triaden hat man wohl früher einen grösseren Einfluss auf die christliche Dogmenbildung zugesprochen, als ihnen wirklich zukommt. Zwar scheint die Vorstellung des Gott-Sohnes in seinem Verhältnis zum Gott-Vater, der Sohn »nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern erzeugt« (buchstäblich wie im Atha- nasischen Glaubensbekenntnis), spezifisch ägyptisch; wir finden sie in allen verschie- denen Göttersystemen der Ägypter wieder; doch ist die dritte Person die Göttin. (Man vergl. Maspero: Histoire ancienne des peuples de l’Orient classique, 1895, I, 151 und Budge: The Book of the Dead, p. XCVI.)

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/34>, abgerufen am 19.04.2024.