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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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der römischen Kirche überging, so dass aus dem gedankenschweren,
männlich reifen Heilverkünder frühester Darstellungen zuletzt der über-
mütige bambino italienischer Bilder wurde.1) -- Man sieht, hier arbeitet
neben Indoeuropäertum und Judentum auch das Völkerchaos thätig mit
an dem Ausbau des christlichen Kirchengebäudes. Ähnliches finden wir
bei den Vorstellungen von Himmel und Hölle, von der Auferstehung,
von Engeln und Dämonen u. s. w., und zugleich finden wir, dass
der mythologische Wert immer mehr abnimmt, bis zuletzt fast blosser
Sklavenaberglaube übrig bleibt, der vor den angeblichen Nägeln eines
Heiligen fetischartigen Götzendienst verrichtet. Den Unterschied zwischen
Aberglaube und Religion habe ich in der zweiten Hälfte des ersten
Kapitels zu bestimmen gesucht; zugleich zeigte ich, wie die Wahn-
vorstellungen des rohen Volkes im Bunde mit der raffiniertesten Philo-
sophie gegen echte Religion erfolgreich anzustürmen begannen, sobald
hellenische, poetische Kraft zur Neige ging; das dort Gesagte ist hier
anwendbar und braucht nicht wiederholt zu werden (siehe S. 99
bis 106). Schon seit Jahrhunderten vor Christus waren in Griechen-
land die sogenannten Mysterien eingeführt, in die man durch
Reinigung (Taufe) eingeweiht wurde, um sodann durch den gemein-
samen Genuss des göttlichen Fleisches und Blutes (auf griechisch
"Mysterion", auf lateinisch "sacramentum") Teilhaber des göttlichen
Wesens und der Unsterblichkeit zu werden; doch fanden diese Wahn-
lehren dort ausschliesslich bei den an Zahl stets zunehmenden "Aus-
ländern und Sklaven" Aufnahme, und erregten bei allen echten Hellenen
Abscheu und Verachtung.2) Je tiefer nun das religiös-schöpferische Be-
wusstsein sank, um so kecker erhob dieses Völkerchaos das Haupt.
Durch das römische Reich vermittelt, fand eine Amalgamation der ver-
schiedensten Superstitionen statt, und als nun Constantius II, am Ende
des 4. Jahrhunderts, die christliche Religion zur Staatskirche proklamiert
und somit die ganze Schar der innerlich Nicht-Christen in die Gemeinde
der Christen hineingezwungen hatte, da stürzten auch die chaotischen

1) Interessant ist in dieser Beziehung der von demselben Verfasser geführte
Nachweis, dass das bekannte, auf alten Monumenten häufige, doch auch heute noch
gebräuchliche christliche Monogramm (angeblich khi-rho aus dem griechischen
Alphabet) nichts mehr und nichts weniger ist als das in Ägypten übliche
Symbol des Gottes Horus!
2) Siehe namentlich die berühmte Rede des Demosthenes De corona, und
für eine Zusammenfassung der hierher gehörigen Thatsachen, Jevons: Introduction
to the history of religion,
1896, Kap. 23.

Der Kampt.
der römischen Kirche überging, so dass aus dem gedankenschweren,
männlich reifen Heilverkünder frühester Darstellungen zuletzt der über-
mütige bambino italienischer Bilder wurde.1) — Man sieht, hier arbeitet
neben Indoeuropäertum und Judentum auch das Völkerchaos thätig mit
an dem Ausbau des christlichen Kirchengebäudes. Ähnliches finden wir
bei den Vorstellungen von Himmel und Hölle, von der Auferstehung,
von Engeln und Dämonen u. s. w., und zugleich finden wir, dass
der mythologische Wert immer mehr abnimmt, bis zuletzt fast blosser
Sklavenaberglaube übrig bleibt, der vor den angeblichen Nägeln eines
Heiligen fetischartigen Götzendienst verrichtet. Den Unterschied zwischen
Aberglaube und Religion habe ich in der zweiten Hälfte des ersten
Kapitels zu bestimmen gesucht; zugleich zeigte ich, wie die Wahn-
vorstellungen des rohen Volkes im Bunde mit der raffiniertesten Philo-
sophie gegen echte Religion erfolgreich anzustürmen begannen, sobald
hellenische, poetische Kraft zur Neige ging; das dort Gesagte ist hier
anwendbar und braucht nicht wiederholt zu werden (siehe S. 99
bis 106). Schon seit Jahrhunderten vor Christus waren in Griechen-
land die sogenannten Mysterien eingeführt, in die man durch
Reinigung (Taufe) eingeweiht wurde, um sodann durch den gemein-
samen Genuss des göttlichen Fleisches und Blutes (auf griechisch
»Mysterion«, auf lateinisch »sacramentum«) Teilhaber des göttlichen
Wesens und der Unsterblichkeit zu werden; doch fanden diese Wahn-
lehren dort ausschliesslich bei den an Zahl stets zunehmenden »Aus-
ländern und Sklaven« Aufnahme, und erregten bei allen echten Hellenen
Abscheu und Verachtung.2) Je tiefer nun das religiös-schöpferische Be-
wusstsein sank, um so kecker erhob dieses Völkerchaos das Haupt.
Durch das römische Reich vermittelt, fand eine Amalgamation der ver-
schiedensten Superstitionen statt, und als nun Constantius II, am Ende
des 4. Jahrhunderts, die christliche Religion zur Staatskirche proklamiert
und somit die ganze Schar der innerlich Nicht-Christen in die Gemeinde
der Christen hineingezwungen hatte, da stürzten auch die chaotischen

1) Interessant ist in dieser Beziehung der von demselben Verfasser geführte
Nachweis, dass das bekannte, auf alten Monumenten häufige, doch auch heute noch
gebräuchliche christliche Monogramm ☧ (angeblich khi-rho aus dem griechischen
Alphabet) nichts mehr und nichts weniger ist als das in Ägypten übliche
Symbol des Gottes Horus!
2) Siehe namentlich die berühmte Rede des Demosthenes De corona, und
für eine Zusammenfassung der hierher gehörigen Thatsachen, Jevons: Introduction
to the history of religion,
1896, Kap. 23.
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[558/0037] Der Kampt. der römischen Kirche überging, so dass aus dem gedankenschweren, männlich reifen Heilverkünder frühester Darstellungen zuletzt der über- mütige bambino italienischer Bilder wurde. 1) — Man sieht, hier arbeitet neben Indoeuropäertum und Judentum auch das Völkerchaos thätig mit an dem Ausbau des christlichen Kirchengebäudes. Ähnliches finden wir bei den Vorstellungen von Himmel und Hölle, von der Auferstehung, von Engeln und Dämonen u. s. w., und zugleich finden wir, dass der mythologische Wert immer mehr abnimmt, bis zuletzt fast blosser Sklavenaberglaube übrig bleibt, der vor den angeblichen Nägeln eines Heiligen fetischartigen Götzendienst verrichtet. Den Unterschied zwischen Aberglaube und Religion habe ich in der zweiten Hälfte des ersten Kapitels zu bestimmen gesucht; zugleich zeigte ich, wie die Wahn- vorstellungen des rohen Volkes im Bunde mit der raffiniertesten Philo- sophie gegen echte Religion erfolgreich anzustürmen begannen, sobald hellenische, poetische Kraft zur Neige ging; das dort Gesagte ist hier anwendbar und braucht nicht wiederholt zu werden (siehe S. 99 bis 106). Schon seit Jahrhunderten vor Christus waren in Griechen- land die sogenannten Mysterien eingeführt, in die man durch Reinigung (Taufe) eingeweiht wurde, um sodann durch den gemein- samen Genuss des göttlichen Fleisches und Blutes (auf griechisch »Mysterion«, auf lateinisch »sacramentum«) Teilhaber des göttlichen Wesens und der Unsterblichkeit zu werden; doch fanden diese Wahn- lehren dort ausschliesslich bei den an Zahl stets zunehmenden »Aus- ländern und Sklaven« Aufnahme, und erregten bei allen echten Hellenen Abscheu und Verachtung. 2) Je tiefer nun das religiös-schöpferische Be- wusstsein sank, um so kecker erhob dieses Völkerchaos das Haupt. Durch das römische Reich vermittelt, fand eine Amalgamation der ver- schiedensten Superstitionen statt, und als nun Constantius II, am Ende des 4. Jahrhunderts, die christliche Religion zur Staatskirche proklamiert und somit die ganze Schar der innerlich Nicht-Christen in die Gemeinde der Christen hineingezwungen hatte, da stürzten auch die chaotischen 1) Interessant ist in dieser Beziehung der von demselben Verfasser geführte Nachweis, dass das bekannte, auf alten Monumenten häufige, doch auch heute noch gebräuchliche christliche Monogramm ☧ (angeblich khi-rho aus dem griechischen Alphabet) nichts mehr und nichts weniger ist als das in Ägypten übliche Symbol des Gottes Horus! 2) Siehe namentlich die berühmte Rede des Demosthenes De corona, und für eine Zusammenfassung der hierher gehörigen Thatsachen, Jevons: Introduction to the history of religion, 1896, Kap. 23.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/37>, abgerufen am 29.03.2024.