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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Sechstes Capitel,
Sache sehr erläutern, aber bey gantz Fremden,
und bey der späten Nachwelt eine ehrwürdige
Dunckelheit
über die Geschichte ausbreiten.

§. 15.
Ein Sehepunckt giebt keine gantze Er-
zehlung.

Aus einem eintzigen Sehepunckte bringt man
nicht leicht eine gantze Geschichte zusammen; son-
dern es kommen auch wohl Dinge darinnen vor,
die unbegreiflich sind (§. 26. C. 5.). Nun trägt
man Bedencken, solche Dinge zu erzehlen, von
denen man an sich selbst begreifft, daß sie dem
Zuhörer und Leser unbegreifflich oder anstößig seyn
werden, und wovon er ehe das Gegentheil ver-
muthen muß. Man pflegt daher die Geschichte,
die man erzehlen will, zu ergäntzen, und durch
eine Muthmassung, den Umstand, wodurch die
Sache zusammen hangend und begreiflich wird,
hinzuzufügen. Weiß man aber zu gutem Glück
aus Erzehlung anderer Zuschauer, woran es ge-
fehlet, und was es mit dem Knoten vor Be-
wandniß habe, so pflegt man diese Nachrichten,
die eigentlich nicht unser eigen seyn, dennoch
unter die seinigen zu mischen. Wie man aber
durch Muthmassungen und Schlüsse Historien
und Umstände entdecke, soll an seinem Orte ge-
zeigt werden. Nun aber geräth diese Ergäntzung
nicht allemahl. Andere bemercken dieses Flick-
werck, und fangen an, demselben zu widerspre-
chen. Daher wird dieser Umstand in der Ein-
leitung zur historischen Erkentniß merckwürdig.

So

Sechſtes Capitel,
Sache ſehr erlaͤutern, aber bey gantz Fremden,
und bey der ſpaͤten Nachwelt eine ehrwuͤrdige
Dunckelheit
uͤber die Geſchichte ausbreiten.

§. 15.
Ein Sehepunckt giebt keine gantze Er-
zehlung.

Aus einem eintzigen Sehepunckte bringt man
nicht leicht eine gantze Geſchichte zuſammen; ſon-
dern es kommen auch wohl Dinge darinnen vor,
die unbegreiflich ſind (§. 26. C. 5.). Nun traͤgt
man Bedencken, ſolche Dinge zu erzehlen, von
denen man an ſich ſelbſt begreifft, daß ſie dem
Zuhoͤrer und Leſer unbegreifflich oder anſtoͤßig ſeyn
werden, und wovon er ehe das Gegentheil ver-
muthen muß. Man pflegt daher die Geſchichte,
die man erzehlen will, zu ergaͤntzen, und durch
eine Muthmaſſung, den Umſtand, wodurch die
Sache zuſammen hangend und begreiflich wird,
hinzuzufuͤgen. Weiß man aber zu gutem Gluͤck
aus Erzehlung anderer Zuſchauer, woran es ge-
fehlet, und was es mit dem Knoten vor Be-
wandniß habe, ſo pflegt man dieſe Nachrichten,
die eigentlich nicht unſer eigen ſeyn, dennoch
unter die ſeinigen zu miſchen. Wie man aber
durch Muthmaſſungen und Schluͤſſe Hiſtorien
und Umſtaͤnde entdecke, ſoll an ſeinem Orte ge-
zeigt werden. Nun aber geraͤth dieſe Ergaͤntzung
nicht allemahl. Andere bemercken dieſes Flick-
werck, und fangen an, demſelben zu widerſpre-
chen. Daher wird dieſer Umſtand in der Ein-
leitung zur hiſtoriſchen Erkentniß merckwuͤrdig.

So
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[130/0166] Sechſtes Capitel, Sache ſehr erlaͤutern, aber bey gantz Fremden, und bey der ſpaͤten Nachwelt eine ehrwuͤrdige Dunckelheit uͤber die Geſchichte ausbreiten. §. 15. Ein Sehepunckt giebt keine gantze Er- zehlung. Aus einem eintzigen Sehepunckte bringt man nicht leicht eine gantze Geſchichte zuſammen; ſon- dern es kommen auch wohl Dinge darinnen vor, die unbegreiflich ſind (§. 26. C. 5.). Nun traͤgt man Bedencken, ſolche Dinge zu erzehlen, von denen man an ſich ſelbſt begreifft, daß ſie dem Zuhoͤrer und Leſer unbegreifflich oder anſtoͤßig ſeyn werden, und wovon er ehe das Gegentheil ver- muthen muß. Man pflegt daher die Geſchichte, die man erzehlen will, zu ergaͤntzen, und durch eine Muthmaſſung, den Umſtand, wodurch die Sache zuſammen hangend und begreiflich wird, hinzuzufuͤgen. Weiß man aber zu gutem Gluͤck aus Erzehlung anderer Zuſchauer, woran es ge- fehlet, und was es mit dem Knoten vor Be- wandniß habe, ſo pflegt man dieſe Nachrichten, die eigentlich nicht unſer eigen ſeyn, dennoch unter die ſeinigen zu miſchen. Wie man aber durch Muthmaſſungen und Schluͤſſe Hiſtorien und Umſtaͤnde entdecke, ſoll an ſeinem Orte ge- zeigt werden. Nun aber geraͤth dieſe Ergaͤntzung nicht allemahl. Andere bemercken dieſes Flick- werck, und fangen an, demſelben zu widerſpre- chen. Daher wird dieſer Umſtand in der Ein- leitung zur hiſtoriſchen Erkentniß merckwuͤrdig. So

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/166>, abgerufen am 29.03.2024.