Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
v. d. Verwandelung der Geschichte etc.
§. 24.
Dritte Art der Verdunckelung.

Auch wird eine Sache und Begebenheit ver-
dunckelt, wenn man sie auf einer andern Seite
vorstellig macht, als sie in die gegenwärtige und
vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es
hat jemand im Gerichte einen Termin versäumt:
er erzehlt und beklagt seinen Unfall mit Anfüh-
rung dieses Umstandes, daß er eben eine nöthige
Reise vorgehabt hätte. So lässet sich vor gemei-
nen Ohren, als ein Unglücksfall, der Mitleiden
verdienet, hören; da doch dieser Umstand nach
der Proceßordnung zur Sache gar nichts beyträgt,
weil er, seiner Reise unbeschadet, per mandata-
rium
hätte erscheinen können. Er erzehlet also
die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen
Geschäfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel,
nach den Jdeen der Proceßordnung sollte angese-
hen werden. Es wird jemand wegen seines Exa-
mens befragt; er giebt die Zeit desselben an, und
den Umstand: es wären mehrere dabey gewesen,
die zugleich geprüft wurden, und wir erhielten
ein gutes Lob, eine gute Censur. Es kan
seyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieser
Zufall, ja selbst die Muthmassung, welche etwa
von ohngefehr entstehen könnte, wird durch diese
Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im
übrigen sich dadurch rechtfertigen lässet; daß man
ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re-
det, die Eigenschafft der meisten, oder auch der
vornehmsten Indiuiduorum dem gantzen Hauffen

bey-
v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
§. 24.
Dritte Art der Verdunckelung.

Auch wird eine Sache und Begebenheit ver-
dunckelt, wenn man ſie auf einer andern Seite
vorſtellig macht, als ſie in die gegenwaͤrtige und
vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es
hat jemand im Gerichte einen Termin verſaͤumt:
er erzehlt und beklagt ſeinen Unfall mit Anfuͤh-
rung dieſes Umſtandes, daß er eben eine noͤthige
Reiſe vorgehabt haͤtte. So laͤſſet ſich vor gemei-
nen Ohren, als ein Ungluͤcksfall, der Mitleiden
verdienet, hoͤren; da doch dieſer Umſtand nach
der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytraͤgt,
weil er, ſeiner Reiſe unbeſchadet, per mandata-
rium
haͤtte erſcheinen koͤnnen. Er erzehlet alſo
die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen
Geſchaͤfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel,
nach den Jdeen der Proceßordnung ſollte angeſe-
hen werden. Es wird jemand wegen ſeines Exa-
mens befragt; er giebt die Zeit deſſelben an, und
den Umſtand: es waͤren mehrere dabey geweſen,
die zugleich gepruͤft wurden, und wir erhielten
ein gutes Lob, eine gute Cenſur. Es kan
ſeyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieſer
Zufall, ja ſelbſt die Muthmaſſung, welche etwa
von ohngefehr entſtehen koͤnnte, wird durch dieſe
Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im
uͤbrigen ſich dadurch rechtfertigen laͤſſet; daß man
ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re-
det, die Eigenſchafft der meiſten, oder auch der
vornehmſten Indiuiduorum dem gantzen Hauffen

bey-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0177" n="141"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">v. d. Verwandelung der Ge&#x017F;chichte &#xA75B;c.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 24.<lb/>
Dritte Art der Verdunckelung.</head><lb/>
          <p>Auch wird eine Sache und Begebenheit ver-<lb/>
dunckelt, wenn man &#x017F;ie auf einer <hi rendition="#fr">andern Seite</hi><lb/>
vor&#x017F;tellig macht, als &#x017F;ie in die gegenwa&#x0364;rtige und<lb/>
vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es<lb/>
hat jemand im Gerichte einen Termin ver&#x017F;a&#x0364;umt:<lb/>
er erzehlt und beklagt &#x017F;einen Unfall mit Anfu&#x0364;h-<lb/>
rung die&#x017F;es Um&#x017F;tandes, daß er eben eine no&#x0364;thige<lb/>
Rei&#x017F;e vorgehabt ha&#x0364;tte. So la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich vor gemei-<lb/>
nen Ohren, als ein Unglu&#x0364;cksfall, der Mitleiden<lb/>
verdienet, ho&#x0364;ren; da doch die&#x017F;er Um&#x017F;tand nach<lb/>
der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytra&#x0364;gt,<lb/>
weil er, &#x017F;einer Rei&#x017F;e unbe&#x017F;chadet, <hi rendition="#aq">per mandata-<lb/>
rium</hi> ha&#x0364;tte er&#x017F;cheinen ko&#x0364;nnen. Er erzehlet al&#x017F;o<lb/>
die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;fftes, da es doch, als ein Gerichtshandel,<lb/>
nach den Jdeen der Proceßordnung &#x017F;ollte ange&#x017F;e-<lb/>
hen werden. Es wird jemand wegen &#x017F;eines Exa-<lb/>
mens befragt; er giebt die Zeit de&#x017F;&#x017F;elben an, und<lb/>
den Um&#x017F;tand: es wa&#x0364;ren mehrere dabey gewe&#x017F;en,<lb/>
die zugleich gepru&#x0364;ft wurden, und wir erhielten<lb/><hi rendition="#fr">ein gutes Lob, eine gute Cen&#x017F;ur.</hi> Es kan<lb/>
&#x017F;eyn, daß er den Repuls bekommen: aber die&#x017F;er<lb/>
Zufall, ja &#x017F;elb&#x017F;t die Muthma&#x017F;&#x017F;ung, welche etwa<lb/>
von ohngefehr ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnte, wird durch die&#x017F;e<lb/>
Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im<lb/>
u&#x0364;brigen &#x017F;ich dadurch rechtfertigen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et; daß man<lb/>
ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re-<lb/>
det, die Eigen&#x017F;chafft der mei&#x017F;ten, oder auch der<lb/>
vornehm&#x017F;ten <hi rendition="#aq">Indiuiduorum</hi> dem gantzen Hauffen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">bey-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0177] v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. §. 24. Dritte Art der Verdunckelung. Auch wird eine Sache und Begebenheit ver- dunckelt, wenn man ſie auf einer andern Seite vorſtellig macht, als ſie in die gegenwaͤrtige und vorhabende Sache einen Einfluß hat. Z. E. es hat jemand im Gerichte einen Termin verſaͤumt: er erzehlt und beklagt ſeinen Unfall mit Anfuͤh- rung dieſes Umſtandes, daß er eben eine noͤthige Reiſe vorgehabt haͤtte. So laͤſſet ſich vor gemei- nen Ohren, als ein Ungluͤcksfall, der Mitleiden verdienet, hoͤren; da doch dieſer Umſtand nach der Proceßordnung zur Sache gar nichts beytraͤgt, weil er, ſeiner Reiſe unbeſchadet, per mandata- rium haͤtte erſcheinen koͤnnen. Er erzehlet alſo die Sache nach dem Sehepunckte eines gemeinen Geſchaͤfftes, da es doch, als ein Gerichtshandel, nach den Jdeen der Proceßordnung ſollte angeſe- hen werden. Es wird jemand wegen ſeines Exa- mens befragt; er giebt die Zeit deſſelben an, und den Umſtand: es waͤren mehrere dabey geweſen, die zugleich gepruͤft wurden, und wir erhielten ein gutes Lob, eine gute Cenſur. Es kan ſeyn, daß er den Repuls bekommen: aber dieſer Zufall, ja ſelbſt die Muthmaſſung, welche etwa von ohngefehr entſtehen koͤnnte, wird durch dieſe Erzehlungsart verdunckelt: deren Wahrheit im uͤbrigen ſich dadurch rechtfertigen laͤſſet; daß man ja gemeiniglich, wenn man von einem Hauffen re- det, die Eigenſchafft der meiſten, oder auch der vornehmſten Indiuiduorum dem gantzen Hauffen bey-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/177
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/177>, abgerufen am 19.04.2024.