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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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v. d. Verwandelung der Geschichte etc.
lich ist: oder speciem facti, wenn die Sache erst
zu einem Proceß gedeyen soll, dasjenige zu nen-
nen, was wir hier die Gestalt heissen. Dieses
aber ist bey einer politiscyen Erzehlung das Haupt-
werck, daß man der Geschichte, davon sich je-
der sonst nach seiner Willkühr und gantz nicht
hinlänglichen Einsicht einen Begriff machen wür-
de, eine gewisse Gestalt gebe.

§. 26.
Die bekannten Arten der Geschichte sind
nicht hinlänglich.

Die Sache kommt darauf an, daß wenn von
einer Geschichte soll geurtheilt werden; als von ih-
rer Gerechtigkeit, oder was nun weiter daraus er-
folgen kan, oder soll; so muß sie zuförderst auf
eine gewisse Art der Handlungen, Geschäffte oder
Thaten, reduciret werden: Und dieser allgemei-
ne Begriff, oder die Art ist hernach das Licht,
wobey man die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit,
und was irgend mit der Sache anzufangen ist,
absehen kan. Nun sind viele Arten der Ge-
schäffte
weltkundig. Wenn also eine vorkom-
mende Begebenheit mit denen uns bekannten Ar-
ten der Handlungen und Geschäffte vollkommen
übereinkommt, so kan jedermann davon urtheilen:
als wenn jemand schuldig ist, darbey auch der
Schuld geständig ist, so kan jeder vernünfftiger
Mensch den Schluß machen, daß die Schuld
müsse bezahlt werden. Wenn jemand just so ei-
ne That begangen hat, als wie sie nahmentlich
im Gesetze verpönt ist: so kan jedermann die Stra-

fe

v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc.
lich iſt: oder ſpeciem facti, wenn die Sache erſt
zu einem Proceß gedeyen ſoll, dasjenige zu nen-
nen, was wir hier die Geſtalt heiſſen. Dieſes
aber iſt bey einer politiſcyen Erzehlung das Haupt-
werck, daß man der Geſchichte, davon ſich je-
der ſonſt nach ſeiner Willkuͤhr und gantz nicht
hinlaͤnglichen Einſicht einen Begriff machen wuͤr-
de, eine gewiſſe Geſtalt gebe.

§. 26.
Die bekannten Arten der Geſchichte ſind
nicht hinlaͤnglich.

Die Sache kommt darauf an, daß wenn von
einer Geſchichte ſoll geurtheilt werden; als von ih-
rer Gerechtigkeit, oder was nun weiter daraus er-
folgen kan, oder ſoll; ſo muß ſie zufoͤrderſt auf
eine gewiſſe Art der Handlungen, Geſchaͤffte oder
Thaten, reduciret werden: Und dieſer allgemei-
ne Begriff, oder die Art iſt hernach das Licht,
wobey man die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit,
und was irgend mit der Sache anzufangen iſt,
abſehen kan. Nun ſind viele Arten der Ge-
ſchaͤffte
weltkundig. Wenn alſo eine vorkom-
mende Begebenheit mit denen uns bekannten Ar-
ten der Handlungen und Geſchaͤffte vollkommen
uͤbereinkommt, ſo kan jedermann davon urtheilen:
als wenn jemand ſchuldig iſt, darbey auch der
Schuld geſtaͤndig iſt, ſo kan jeder vernuͤnfftiger
Menſch den Schluß machen, daß die Schuld
muͤſſe bezahlt werden. Wenn jemand juſt ſo ei-
ne That begangen hat, als wie ſie nahmentlich
im Geſetze verpoͤnt iſt: ſo kan jedermann die Stra-

fe
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[143/0179] v. d. Verwandelung der Geſchichte ꝛc. lich iſt: oder ſpeciem facti, wenn die Sache erſt zu einem Proceß gedeyen ſoll, dasjenige zu nen- nen, was wir hier die Geſtalt heiſſen. Dieſes aber iſt bey einer politiſcyen Erzehlung das Haupt- werck, daß man der Geſchichte, davon ſich je- der ſonſt nach ſeiner Willkuͤhr und gantz nicht hinlaͤnglichen Einſicht einen Begriff machen wuͤr- de, eine gewiſſe Geſtalt gebe. §. 26. Die bekannten Arten der Geſchichte ſind nicht hinlaͤnglich. Die Sache kommt darauf an, daß wenn von einer Geſchichte ſoll geurtheilt werden; als von ih- rer Gerechtigkeit, oder was nun weiter daraus er- folgen kan, oder ſoll; ſo muß ſie zufoͤrderſt auf eine gewiſſe Art der Handlungen, Geſchaͤffte oder Thaten, reduciret werden: Und dieſer allgemei- ne Begriff, oder die Art iſt hernach das Licht, wobey man die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, und was irgend mit der Sache anzufangen iſt, abſehen kan. Nun ſind viele Arten der Ge- ſchaͤffte weltkundig. Wenn alſo eine vorkom- mende Begebenheit mit denen uns bekannten Ar- ten der Handlungen und Geſchaͤffte vollkommen uͤbereinkommt, ſo kan jedermann davon urtheilen: als wenn jemand ſchuldig iſt, darbey auch der Schuld geſtaͤndig iſt, ſo kan jeder vernuͤnfftiger Menſch den Schluß machen, daß die Schuld muͤſſe bezahlt werden. Wenn jemand juſt ſo ei- ne That begangen hat, als wie ſie nahmentlich im Geſetze verpoͤnt iſt: ſo kan jedermann die Stra- fe

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/179>, abgerufen am 29.03.2024.