Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung etc.
niglich in kurtzen zu einer gemeinen Sage
zu werden.

§. 8.
Geschwindigkeit der Ausbreitung.

Wie aber sich eine Begebenheit in kurtzen un-
gemein ausbreiten könne, lässet sich leichte berech-
nen, wenn nehmlich jeder, der davon Nachricht
erhält, sich ein Geschäffte daraus macht, seine er-
langte Erkentniß und die erhaltene Nachricht an-
dern mitzutheilen. Denn wenn der Zuschauer
solches 10 Personen sagt, und jeder davon es eben
soviel andern nachsagt, so wissen es bald 111 Per-
sonen, welche bey Neuigkeiten, durch fleißiges
Nachsagen, gar bald in 1111 Personen verwan-
deln; die noch alle um die Sache wissen, wenn
ihnen anders der Canal bekannt gemacht wird,
durch welchen es an sie gekommen (§. 5.). Es
geschiehet auch, daß Cajus von jemanden eine
Begebenheit erzehlen hört, die er selber ausge-
bracht, oder wenigstens nachgesagt hat, daß sie
an denjenigen gekommen, den er die Geschichte
erzehlen höret. Wenn man eine Begebenheit, die
man selbst erzehlet, von seinen Nachsagern wie-
der höret, so ist das eine Art eines Circkels, der
zur Ausbreitung einer Nachricht nichts beyträget.
Dieses aber pflegt sehr öffters zu geschehen, wenn
eine Sache einmahl zu einer gemeinen Sage ge-
worden ist (§. 7.).

§. 9.
Nachricht geben und bekommen.

Bey allen diesen Fällen ist in der Wissen-
schafft, die wir abhandeln, nöthig, daß wir uns

einer-
L 2

v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc.
niglich in kurtzen zu einer gemeinen Sage
zu werden.

§. 8.
Geſchwindigkeit der Ausbreitung.

Wie aber ſich eine Begebenheit in kurtzen un-
gemein ausbreiten koͤnne, laͤſſet ſich leichte berech-
nen, wenn nehmlich jeder, der davon Nachricht
erhaͤlt, ſich ein Geſchaͤffte daraus macht, ſeine er-
langte Erkentniß und die erhaltene Nachricht an-
dern mitzutheilen. Denn wenn der Zuſchauer
ſolches 10 Perſonen ſagt, und jeder davon es eben
ſoviel andern nachſagt, ſo wiſſen es bald 111 Per-
ſonen, welche bey Neuigkeiten, durch fleißiges
Nachſagen, gar bald in 1111 Perſonen verwan-
deln; die noch alle um die Sache wiſſen, wenn
ihnen anders der Canal bekannt gemacht wird,
durch welchen es an ſie gekommen (§. 5.). Es
geſchiehet auch, daß Cajus von jemanden eine
Begebenheit erzehlen hoͤrt, die er ſelber ausge-
bracht, oder wenigſtens nachgeſagt hat, daß ſie
an denjenigen gekommen, den er die Geſchichte
erzehlen hoͤret. Wenn man eine Begebenheit, die
man ſelbſt erzehlet, von ſeinen Nachſagern wie-
der hoͤret, ſo iſt das eine Art eines Circkels, der
zur Ausbreitung einer Nachricht nichts beytraͤget.
Dieſes aber pflegt ſehr oͤffters zu geſchehen, wenn
eine Sache einmahl zu einer gemeinen Sage ge-
worden iſt (§. 7.).

§. 9.
Nachricht geben und bekommen.

Bey allen dieſen Faͤllen iſt in der Wiſſen-
ſchafft, die wir abhandeln, noͤthig, daß wir uns

einer-
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="163"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
niglich in kurtzen zu einer <hi rendition="#fr">gemeinen Sage</hi><lb/>
zu werden.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 8.<lb/>
Ge&#x017F;chwindigkeit der Ausbreitung.</head><lb/>
          <p>Wie aber &#x017F;ich eine Begebenheit in kurtzen un-<lb/>
gemein ausbreiten ko&#x0364;nne, la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich leichte berech-<lb/>
nen, wenn nehmlich jeder, der davon Nachricht<lb/>
erha&#x0364;lt, &#x017F;ich ein Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte daraus macht, &#x017F;eine er-<lb/>
langte Erkentniß und die erhaltene Nachricht an-<lb/>
dern mitzutheilen. Denn wenn der Zu&#x017F;chauer<lb/>
&#x017F;olches 10 Per&#x017F;onen &#x017F;agt, und jeder davon es eben<lb/>
&#x017F;oviel andern nach&#x017F;agt, &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en es bald 111 Per-<lb/>
&#x017F;onen, welche bey Neuigkeiten, durch fleißiges<lb/>
Nach&#x017F;agen, gar bald in 1111 Per&#x017F;onen verwan-<lb/>
deln; die noch alle um die Sache wi&#x017F;&#x017F;en, wenn<lb/>
ihnen anders der Canal bekannt gemacht wird,<lb/>
durch welchen es an &#x017F;ie gekommen (§. 5.). Es<lb/>
ge&#x017F;chiehet auch, daß Cajus von jemanden eine<lb/>
Begebenheit erzehlen ho&#x0364;rt, die er &#x017F;elber ausge-<lb/>
bracht, oder wenig&#x017F;tens nachge&#x017F;agt hat, daß &#x017F;ie<lb/>
an denjenigen gekommen, den er die Ge&#x017F;chichte<lb/>
erzehlen ho&#x0364;ret. Wenn man eine Begebenheit, die<lb/>
man &#x017F;elb&#x017F;t erzehlet, von &#x017F;einen Nach&#x017F;agern wie-<lb/>
der ho&#x0364;ret, &#x017F;o i&#x017F;t das eine Art eines <hi rendition="#fr">Circkels,</hi> der<lb/>
zur Ausbreitung einer Nachricht nichts beytra&#x0364;get.<lb/>
Die&#x017F;es aber pflegt &#x017F;ehr o&#x0364;ffters zu ge&#x017F;chehen, wenn<lb/>
eine Sache einmahl zu einer gemeinen Sage ge-<lb/>
worden i&#x017F;t (§. 7.).</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 9.<lb/>
Nachricht geben und bekommen.</head><lb/>
          <p>Bey allen die&#x017F;en Fa&#x0364;llen i&#x017F;t in der Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chafft, die wir abhandeln, no&#x0364;thig, daß wir uns<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">einer-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0199] v. d. Ausbreitung u. Fortpflantzung ꝛc. niglich in kurtzen zu einer gemeinen Sage zu werden. §. 8. Geſchwindigkeit der Ausbreitung. Wie aber ſich eine Begebenheit in kurtzen un- gemein ausbreiten koͤnne, laͤſſet ſich leichte berech- nen, wenn nehmlich jeder, der davon Nachricht erhaͤlt, ſich ein Geſchaͤffte daraus macht, ſeine er- langte Erkentniß und die erhaltene Nachricht an- dern mitzutheilen. Denn wenn der Zuſchauer ſolches 10 Perſonen ſagt, und jeder davon es eben ſoviel andern nachſagt, ſo wiſſen es bald 111 Per- ſonen, welche bey Neuigkeiten, durch fleißiges Nachſagen, gar bald in 1111 Perſonen verwan- deln; die noch alle um die Sache wiſſen, wenn ihnen anders der Canal bekannt gemacht wird, durch welchen es an ſie gekommen (§. 5.). Es geſchiehet auch, daß Cajus von jemanden eine Begebenheit erzehlen hoͤrt, die er ſelber ausge- bracht, oder wenigſtens nachgeſagt hat, daß ſie an denjenigen gekommen, den er die Geſchichte erzehlen hoͤret. Wenn man eine Begebenheit, die man ſelbſt erzehlet, von ſeinen Nachſagern wie- der hoͤret, ſo iſt das eine Art eines Circkels, der zur Ausbreitung einer Nachricht nichts beytraͤget. Dieſes aber pflegt ſehr oͤffters zu geſchehen, wenn eine Sache einmahl zu einer gemeinen Sage ge- worden iſt (§. 7.). §. 9. Nachricht geben und bekommen. Bey allen dieſen Faͤllen iſt in der Wiſſen- ſchafft, die wir abhandeln, noͤthig, daß wir uns einer- L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/199
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/199>, abgerufen am 29.03.2024.