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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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v. d. historischen Wahrscheinlichkeit.
det, (§. cit.) wieder ausgewickelt werde; und daß
man sich die Sache nach ihren individuellen Um-
ständen, und so viel möglich en detail erzehlen
lasse.

§. 6.
Vierter Versuch bey widersprechenden
Aussagen.

Ohngeachtet durch die angeführten Mittel schon
recht sehr viele widersprechende Aussagen können
gehoben werden, so daß man auf solche Art durch
den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; so werden
doch Fälle übrig bleiben, wo dadurch der vorhan-
dene Widerspruch noch nicht gehoben wird; ja wo
man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf sol-
che Art könne gehoben werden: wenn nehmlich die
Worte der Aussagen so bestimmt, so genau ge-
fast sind, daß es ist, als wenn man bey der Sache
selbst gegenwärtig gewesen wäre. Hier scheinet es
nunmehro unvermeidlich zu seyn, daß nicht einer
von beyden vorsetzlich die Unwahrheit sagen sollte:
allein es ist noch vorher ein anderer Casus möglich:
nehmlich daß die Aussager die Sache aus ver-
schiedenen Sehepuncten
angesehen haben, und
darum einander widersprechen. Z. E. Man be-
findet sich an einem angelauffenen Wasser, und
fragt deswegen die Leute in der Nähe, ob man durch-
fahren könne: die meisten sagen: nein! einer et-
wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan
noch darzu Exempel anführen, daß welche bey eben
so hohem Wasser durchgefahren wären. Warum
widersprechen diese einander? nehmlich der letztere
hat etwa einmahl einen hochgebauten Wagen

durch-
X 3

v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
det, (§. cit.) wieder ausgewickelt werde; und daß
man ſich die Sache nach ihren individuellen Um-
ſtaͤnden, und ſo viel moͤglich en detail erzehlen
laſſe.

§. 6.
Vierter Verſuch bey widerſprechenden
Ausſagen.

Ohngeachtet durch die angefuͤhrten Mittel ſchon
recht ſehr viele widerſprechende Ausſagen koͤnnen
gehoben werden, ſo daß man auf ſolche Art durch
den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; ſo werden
doch Faͤlle uͤbrig bleiben, wo dadurch der vorhan-
dene Widerſpruch noch nicht gehoben wird; ja wo
man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf ſol-
che Art koͤnne gehoben werden: wenn nehmlich die
Worte der Ausſagen ſo beſtimmt, ſo genau ge-
faſt ſind, daß es iſt, als wenn man bey der Sache
ſelbſt gegenwaͤrtig geweſen waͤre. Hier ſcheinet es
nunmehro unvermeidlich zu ſeyn, daß nicht einer
von beyden vorſetzlich die Unwahrheit ſagen ſollte:
allein es iſt noch vorher ein anderer Caſus moͤglich:
nehmlich daß die Ausſager die Sache aus ver-
ſchiedenen Sehepuncten
angeſehen haben, und
darum einander widerſprechen. Z. E. Man be-
findet ſich an einem angelauffenen Waſſer, und
fragt deswegen die Leute in der Naͤhe, ob man durch-
fahren koͤnne: die meiſten ſagen: nein! einer et-
wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan
noch darzu Exempel anfuͤhren, daß welche bey eben
ſo hohem Waſſer durchgefahren waͤren. Warum
widerſprechen dieſe einander? nehmlich der letztere
hat etwa einmahl einen hochgebauten Wagen

durch-
X 3
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[325/0361] v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. det, (§. cit.) wieder ausgewickelt werde; und daß man ſich die Sache nach ihren individuellen Um- ſtaͤnden, und ſo viel moͤglich en detail erzehlen laſſe. §. 6. Vierter Verſuch bey widerſprechenden Ausſagen. Ohngeachtet durch die angefuͤhrten Mittel ſchon recht ſehr viele widerſprechende Ausſagen koͤnnen gehoben werden, ſo daß man auf ſolche Art durch den Zweiffel zur Gewißheit durchdringet; ſo werden doch Faͤlle uͤbrig bleiben, wo dadurch der vorhan- dene Widerſpruch noch nicht gehoben wird; ja wo man nicht einmahl vermuthen kan, daß er auf ſol- che Art koͤnne gehoben werden: wenn nehmlich die Worte der Ausſagen ſo beſtimmt, ſo genau ge- faſt ſind, daß es iſt, als wenn man bey der Sache ſelbſt gegenwaͤrtig geweſen waͤre. Hier ſcheinet es nunmehro unvermeidlich zu ſeyn, daß nicht einer von beyden vorſetzlich die Unwahrheit ſagen ſollte: allein es iſt noch vorher ein anderer Caſus moͤglich: nehmlich daß die Ausſager die Sache aus ver- ſchiedenen Sehepuncten angeſehen haben, und darum einander widerſprechen. Z. E. Man be- findet ſich an einem angelauffenen Waſſer, und fragt deswegen die Leute in der Naͤhe, ob man durch- fahren koͤnne: die meiſten ſagen: nein! einer et- wa, oder der andere: ja! der es bejahet, kan noch darzu Exempel anfuͤhren, daß welche bey eben ſo hohem Waſſer durchgefahren waͤren. Warum widerſprechen dieſe einander? nehmlich der letztere hat etwa einmahl einen hochgebauten Wagen durch- X 3

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/361>, abgerufen am 28.03.2024.