Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite


Eilfftes Capitel,
Von alten und ausländischen
Geschichten.
§. 1.
Erklärung der alten Geschichte.

Der Begriff des alten ist bey den meisten Sa-
chen sehr unbestimmt. Manche Sache wird
bald alt, manche späte. Man rechnet das
Alter zwar gemeiniglich nach Jahren: aber eigent-
lich entstehet es aus einer Veränderung der Sache
selbst. Es ist also die Frage: Was dasjenige sey,
wodurch eine Geschichte eigentlich alt wird? Wir
antworten so: Die Art der Erkentniß bey einer
Geschichte wird geändert, wenn alle Zuschauer ab-
gestorben sind; dergestalt, daß man nunmehro sie
nur von Nachsagern erlernen muß. (§. 3. 4.
C. 7.) Nun giebt es der Nachsager vielerley Ar-
ten, nachdem die Nachricht durch mehrere Hände
gehet, ehe sie zu uns kommt. (§. 5. C. 7.) Wenn
man nun die Geschichte alsdenn alt nennet, wenn
keine Zuschauer mehr am Leben sind, so wird sie
noch älter seyn, wenn auch keiner von den ersten
Nachsagern am Leben ist. Und hauptsächlich wird
eine Geschichte alt zu nennen seyn, wenn niemand
mehr da ist, der durchs Hören von seinen Vorfah-
ren von der Sache wäre belehret worden: so daß
man sich nunmehro bloß an die Denckmale halten
muß. Da man nun schon seit sehr langer Zeit nicht

mehr
Z


Eilfftes Capitel,
Von alten und auslaͤndiſchen
Geſchichten.
§. 1.
Erklaͤrung der alten Geſchichte.

Der Begriff des alten iſt bey den meiſten Sa-
chen ſehr unbeſtimmt. Manche Sache wird
bald alt, manche ſpaͤte. Man rechnet das
Alter zwar gemeiniglich nach Jahren: aber eigent-
lich entſtehet es aus einer Veraͤnderung der Sache
ſelbſt. Es iſt alſo die Frage: Was dasjenige ſey,
wodurch eine Geſchichte eigentlich alt wird? Wir
antworten ſo: Die Art der Erkentniß bey einer
Geſchichte wird geaͤndert, wenn alle Zuſchauer ab-
geſtorben ſind; dergeſtalt, daß man nunmehro ſie
nur von Nachſagern erlernen muß. (§. 3. 4.
C. 7.) Nun giebt es der Nachſager vielerley Ar-
ten, nachdem die Nachricht durch mehrere Haͤnde
gehet, ehe ſie zu uns kommt. (§. 5. C. 7.) Wenn
man nun die Geſchichte alsdenn alt nennet, wenn
keine Zuſchauer mehr am Leben ſind, ſo wird ſie
noch aͤlter ſeyn, wenn auch keiner von den erſten
Nachſagern am Leben iſt. Und hauptſaͤchlich wird
eine Geſchichte alt zu nennen ſeyn, wenn niemand
mehr da iſt, der durchs Hoͤren von ſeinen Vorfah-
ren von der Sache waͤre belehret worden: ſo daß
man ſich nunmehro bloß an die Denckmale halten
muß. Da man nun ſchon ſeit ſehr langer Zeit nicht

mehr
Z
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0389" n="353"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Eilfftes Capitel,<lb/>
Von alten und ausla&#x0364;ndi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;chichten.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 1.<lb/>
Erkla&#x0364;rung der alten Ge&#x017F;chichte.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>er Begriff des <hi rendition="#fr">alten</hi> i&#x017F;t bey den mei&#x017F;ten Sa-<lb/>
chen &#x017F;ehr unbe&#x017F;timmt. Manche Sache wird<lb/>
bald alt, manche &#x017F;pa&#x0364;te. Man rechnet das<lb/>
Alter zwar gemeiniglich nach Jahren: aber eigent-<lb/>
lich ent&#x017F;tehet es aus einer Vera&#x0364;nderung der Sache<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Es i&#x017F;t al&#x017F;o die Frage: Was dasjenige &#x017F;ey,<lb/>
wodurch eine Ge&#x017F;chichte eigentlich <hi rendition="#fr">alt</hi> wird? Wir<lb/>
antworten &#x017F;o: Die <hi rendition="#fr">Art der Erkentniß</hi> bey einer<lb/>
Ge&#x017F;chichte wird gea&#x0364;ndert, wenn alle Zu&#x017F;chauer ab-<lb/>
ge&#x017F;torben &#x017F;ind; derge&#x017F;talt, daß man nunmehro &#x017F;ie<lb/>
nur von <hi rendition="#fr">Nach&#x017F;agern</hi> erlernen muß. (§. 3. 4.<lb/>
C. 7.) Nun giebt es der Nach&#x017F;ager vielerley Ar-<lb/>
ten, nachdem die Nachricht durch mehrere Ha&#x0364;nde<lb/>
gehet, ehe &#x017F;ie zu uns kommt. (§. 5. C. 7.) Wenn<lb/>
man nun die Ge&#x017F;chichte alsdenn <hi rendition="#fr">alt</hi> nennet, wenn<lb/>
keine Zu&#x017F;chauer mehr am Leben &#x017F;ind, &#x017F;o wird &#x017F;ie<lb/>
noch <hi rendition="#fr">a&#x0364;lter</hi> &#x017F;eyn, wenn auch keiner von den er&#x017F;ten<lb/>
Nach&#x017F;agern am Leben i&#x017F;t. Und haupt&#x017F;a&#x0364;chlich wird<lb/>
eine Ge&#x017F;chichte <hi rendition="#fr">alt</hi> zu nennen &#x017F;eyn, wenn niemand<lb/>
mehr da i&#x017F;t, der durchs <hi rendition="#fr">Ho&#x0364;ren</hi> von &#x017F;einen Vorfah-<lb/>
ren von der Sache wa&#x0364;re belehret worden: &#x017F;o daß<lb/>
man &#x017F;ich nunmehro bloß an die Denckmale halten<lb/>
muß. Da man nun &#x017F;chon &#x017F;eit &#x017F;ehr langer Zeit nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z</fw><fw place="bottom" type="catch">mehr</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0389] Eilfftes Capitel, Von alten und auslaͤndiſchen Geſchichten. §. 1. Erklaͤrung der alten Geſchichte. Der Begriff des alten iſt bey den meiſten Sa- chen ſehr unbeſtimmt. Manche Sache wird bald alt, manche ſpaͤte. Man rechnet das Alter zwar gemeiniglich nach Jahren: aber eigent- lich entſtehet es aus einer Veraͤnderung der Sache ſelbſt. Es iſt alſo die Frage: Was dasjenige ſey, wodurch eine Geſchichte eigentlich alt wird? Wir antworten ſo: Die Art der Erkentniß bey einer Geſchichte wird geaͤndert, wenn alle Zuſchauer ab- geſtorben ſind; dergeſtalt, daß man nunmehro ſie nur von Nachſagern erlernen muß. (§. 3. 4. C. 7.) Nun giebt es der Nachſager vielerley Ar- ten, nachdem die Nachricht durch mehrere Haͤnde gehet, ehe ſie zu uns kommt. (§. 5. C. 7.) Wenn man nun die Geſchichte alsdenn alt nennet, wenn keine Zuſchauer mehr am Leben ſind, ſo wird ſie noch aͤlter ſeyn, wenn auch keiner von den erſten Nachſagern am Leben iſt. Und hauptſaͤchlich wird eine Geſchichte alt zu nennen ſeyn, wenn niemand mehr da iſt, der durchs Hoͤren von ſeinen Vorfah- ren von der Sache waͤre belehret worden: ſo daß man ſich nunmehro bloß an die Denckmale halten muß. Da man nun ſchon ſeit ſehr langer Zeit nicht mehr Z

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/389
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/389>, abgerufen am 23.04.2024.