Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Eilfftes Capitel,
aus politischen Ursachen, meistens nicht einmahl
frey stehet (§. cit.); so entstehet auch 5. daraus
eine Weitläufftigkeit, die zwar vielen nützlich, auch
manchem angenehm seyn kan; aber welche auch
eine Menge von Lesern abschreckt, sich in Geschich-
te einzulassen, die sie auszulesen nicht Gedult ge-
nug haben. Zu geschweigen, daß 6. indem man
die Umstände gar zu genau bemerckt, bald die-
ser, bald jener, viele Stücke finden wird, die er
als überflüßig ansiehet; und ohne zu bedencken,
daß solche doch andern nützlich und angenehm seyn
können, den Geschichtschreiber eines Gewäsches
beschuldiget. Daher ist unumgänglich nöthig,
daß ein Geschichtschreiber aus einer Geschichte, die
er auf das ausführlichste weiß, einen Auszug
machen
muß.

§. 20.
Erstes Kunststück eines Geschichtschreibers:

Denn ein Geschichtschreiber ist, vermöge
dieses seines Amts, das er auf sich genommen hat,
verbunden, allen Eckel und Abneigung der Leser
sorgfältig zu vermeyden. Denn er schreibt zum
Dienste und Gebrauch der Nachwelt; sein Buch
soll also bis auf spätere Zeiten aufbehalten wer-
den. Wie kan es aber vor dem Untergange ge-
rettet werden, wenn es gleich Anfangs, nicht chne
Mißfallen gelesen wird? Dieses aber also muß
vermieden werden. Folglich auch die Weitläuff-
tigkeit.
Jn den späten Zeiten würde dieselbe
vielleicht angenehm seyn: Als wenn wir ietzo von
der Expedition des Xerxes in Griechenland, alle

March-

Eilfftes Capitel,
aus politiſchen Urſachen, meiſtens nicht einmahl
frey ſtehet (§. cit.); ſo entſtehet auch 5. daraus
eine Weitlaͤufftigkeit, die zwar vielen nuͤtzlich, auch
manchem angenehm ſeyn kan; aber welche auch
eine Menge von Leſern abſchreckt, ſich in Geſchich-
te einzulaſſen, die ſie auszuleſen nicht Gedult ge-
nug haben. Zu geſchweigen, daß 6. indem man
die Umſtaͤnde gar zu genau bemerckt, bald die-
ſer, bald jener, viele Stuͤcke finden wird, die er
als uͤberfluͤßig anſiehet; und ohne zu bedencken,
daß ſolche doch andern nuͤtzlich und angenehm ſeyn
koͤnnen, den Geſchichtſchreiber eines Gewaͤſches
beſchuldiget. Daher iſt unumgaͤnglich noͤthig,
daß ein Geſchichtſchreiber aus einer Geſchichte, die
er auf das ausfuͤhrlichſte weiß, einen Auszug
machen
muß.

§. 20.
Erſtes Kunſtſtuͤck eines Geſchichtſchreibers:

Denn ein Geſchichtſchreiber iſt, vermoͤge
dieſes ſeines Amts, das er auf ſich genommen hat,
verbunden, allen Eckel und Abneigung der Leſer
ſorgfaͤltig zu vermeyden. Denn er ſchreibt zum
Dienſte und Gebrauch der Nachwelt; ſein Buch
ſoll alſo bis auf ſpaͤtere Zeiten aufbehalten wer-
den. Wie kan es aber vor dem Untergange ge-
rettet werden, wenn es gleich Anfangs, nicht chne
Mißfallen geleſen wird? Dieſes aber alſo muß
vermieden werden. Folglich auch die Weitlaͤuff-
tigkeit.
Jn den ſpaͤten Zeiten wuͤrde dieſelbe
vielleicht angenehm ſeyn: Als wenn wir ietzo von
der Expedition des Xerxes in Griechenland, alle

March-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0406" n="370"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eilfftes Capitel,</hi></fw><lb/>
aus politi&#x017F;chen Ur&#x017F;achen, mei&#x017F;tens nicht einmahl<lb/>
frey &#x017F;tehet (§. <hi rendition="#aq">cit.</hi>); &#x017F;o ent&#x017F;tehet auch 5. daraus<lb/>
eine Weitla&#x0364;ufftigkeit, die zwar vielen nu&#x0364;tzlich, auch<lb/>
manchem angenehm &#x017F;eyn kan; aber welche auch<lb/>
eine Menge von Le&#x017F;ern ab&#x017F;chreckt, &#x017F;ich in Ge&#x017F;chich-<lb/>
te einzula&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;ie auszule&#x017F;en nicht Gedult ge-<lb/>
nug haben. Zu ge&#x017F;chweigen, daß 6. indem man<lb/>
die <hi rendition="#fr">Um&#x017F;ta&#x0364;nde</hi> gar zu genau bemerckt, bald die-<lb/>
&#x017F;er, bald jener, viele Stu&#x0364;cke finden wird, die er<lb/>
als u&#x0364;berflu&#x0364;ßig an&#x017F;iehet; und ohne zu bedencken,<lb/>
daß &#x017F;olche doch andern nu&#x0364;tzlich und angenehm &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnen, den Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber eines <hi rendition="#fr">Gewa&#x0364;&#x017F;ches</hi><lb/>
be&#x017F;chuldiget. Daher i&#x017F;t unumga&#x0364;nglich no&#x0364;thig,<lb/>
daß ein Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber aus einer Ge&#x017F;chichte, die<lb/>
er auf das ausfu&#x0364;hrlich&#x017F;te weiß, einen <hi rendition="#fr">Auszug<lb/>
machen</hi> muß.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 20.<lb/>
Er&#x017F;tes Kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck eines Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreibers:</head><lb/>
          <p>Denn ein <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber</hi> i&#x017F;t, vermo&#x0364;ge<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;eines Amts, das er auf &#x017F;ich genommen hat,<lb/>
verbunden, allen Eckel und Abneigung der Le&#x017F;er<lb/>
&#x017F;orgfa&#x0364;ltig zu vermeyden. Denn er &#x017F;chreibt zum<lb/>
Dien&#x017F;te und Gebrauch der Nachwelt; &#x017F;ein Buch<lb/>
&#x017F;oll al&#x017F;o bis auf &#x017F;pa&#x0364;tere Zeiten aufbehalten wer-<lb/>
den. Wie kan es aber vor dem Untergange ge-<lb/>
rettet werden, wenn es gleich Anfangs, nicht chne<lb/><hi rendition="#fr">Mißfallen</hi> gele&#x017F;en wird? Die&#x017F;es aber al&#x017F;o muß<lb/>
vermieden werden. Folglich auch die <hi rendition="#fr">Weitla&#x0364;uff-<lb/>
tigkeit.</hi> Jn den &#x017F;pa&#x0364;ten Zeiten wu&#x0364;rde die&#x017F;elbe<lb/>
vielleicht angenehm &#x017F;eyn: Als wenn wir ietzo von<lb/>
der Expedition des <hi rendition="#aq">Xerxes</hi> in Griechenland, alle<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">March-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0406] Eilfftes Capitel, aus politiſchen Urſachen, meiſtens nicht einmahl frey ſtehet (§. cit.); ſo entſtehet auch 5. daraus eine Weitlaͤufftigkeit, die zwar vielen nuͤtzlich, auch manchem angenehm ſeyn kan; aber welche auch eine Menge von Leſern abſchreckt, ſich in Geſchich- te einzulaſſen, die ſie auszuleſen nicht Gedult ge- nug haben. Zu geſchweigen, daß 6. indem man die Umſtaͤnde gar zu genau bemerckt, bald die- ſer, bald jener, viele Stuͤcke finden wird, die er als uͤberfluͤßig anſiehet; und ohne zu bedencken, daß ſolche doch andern nuͤtzlich und angenehm ſeyn koͤnnen, den Geſchichtſchreiber eines Gewaͤſches beſchuldiget. Daher iſt unumgaͤnglich noͤthig, daß ein Geſchichtſchreiber aus einer Geſchichte, die er auf das ausfuͤhrlichſte weiß, einen Auszug machen muß. §. 20. Erſtes Kunſtſtuͤck eines Geſchichtſchreibers: Denn ein Geſchichtſchreiber iſt, vermoͤge dieſes ſeines Amts, das er auf ſich genommen hat, verbunden, allen Eckel und Abneigung der Leſer ſorgfaͤltig zu vermeyden. Denn er ſchreibt zum Dienſte und Gebrauch der Nachwelt; ſein Buch ſoll alſo bis auf ſpaͤtere Zeiten aufbehalten wer- den. Wie kan es aber vor dem Untergange ge- rettet werden, wenn es gleich Anfangs, nicht chne Mißfallen geleſen wird? Dieſes aber alſo muß vermieden werden. Folglich auch die Weitlaͤuff- tigkeit. Jn den ſpaͤten Zeiten wuͤrde dieſelbe vielleicht angenehm ſeyn: Als wenn wir ietzo von der Expedition des Xerxes in Griechenland, alle March-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/406
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/406>, abgerufen am 25.04.2024.