Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Zweytes Capitel,
§. 4.
Jrrthum in Ansehung des Daseyns eines
Cörpers.

Man kan sich aber auch durch die Augen, oder
vielmehr durch den mit dem Gesichte verknüpfften
Schluß, betrügen lassen; daß man etwas vor ei-
nen Cörper und etwas fühlbares hält, welches
es doch nicht ist. Ein gantz Einfältiger kan doch
wohl die Personen, die er im Spiegel siehet, vor
wirckliche Personen ansehen; und zu ihnen nahen
wollen. Wenn man sonsten so offte Rüstungen
und Kriegsheere in der Lufft gesehen hat; so mag
solches von einer zwiefachen Wirckung der Ein-
bildungskrafft hergerühret haben, die sich theils
den wahrhafften Schein anders gedichtet, als er
an sich gewesen, theils aber, nach den nicht all-
gemeinen Fördersatz (§. 3.) diesen Schein in ei-
nen wircklichen Cörper verwandelt hat.

§. 5.
Seyn und Schein eines Cörpers.

Da wir nun Vorstellungen durch die Augen
von Sachen haben können, die nicht fühlbar, und
mithin nicht Cörper sind (§. 2.); sondern nur ei-
ne Wirckung anderer Cörper: so müssen wir auch
in der Vorstellung wircklicher Cörper den Schein
von dem Seyn unterscheiden. Der Schein ist
was uns von den Cörpern in die Augen fället:
das Seyn, oder die Wircklichkeit der Cörper be-
stehet darin, daß er fühlbar ist. Die Beschaf-
fenheit des Scheins ist in der Optick auf das
treflichste allbereit erkläret worden. Noch allge-

meiner
Zweytes Capitel,
§. 4.
Jrrthum in Anſehung des Daſeyns eines
Coͤrpers.

Man kan ſich aber auch durch die Augen, oder
vielmehr durch den mit dem Geſichte verknuͤpfften
Schluß, betruͤgen laſſen; daß man etwas vor ei-
nen Coͤrper und etwas fuͤhlbares haͤlt, welches
es doch nicht iſt. Ein gantz Einfaͤltiger kan doch
wohl die Perſonen, die er im Spiegel ſiehet, vor
wirckliche Perſonen anſehen; und zu ihnen nahen
wollen. Wenn man ſonſten ſo offte Ruͤſtungen
und Kriegsheere in der Lufft geſehen hat; ſo mag
ſolches von einer zwiefachen Wirckung der Ein-
bildungskrafft hergeruͤhret haben, die ſich theils
den wahrhafften Schein anders gedichtet, als er
an ſich geweſen, theils aber, nach den nicht all-
gemeinen Foͤrderſatz (§. 3.) dieſen Schein in ei-
nen wircklichen Coͤrper verwandelt hat.

§. 5.
Seyn und Schein eines Coͤrpers.

Da wir nun Vorſtellungen durch die Augen
von Sachen haben koͤnnen, die nicht fuͤhlbar, und
mithin nicht Coͤrper ſind (§. 2.); ſondern nur ei-
ne Wirckung anderer Coͤrper: ſo muͤſſen wir auch
in der Vorſtellung wircklicher Coͤrper den Schein
von dem Seyn unterſcheiden. Der Schein iſt
was uns von den Coͤrpern in die Augen faͤllet:
das Seyn, oder die Wircklichkeit der Coͤrper be-
ſtehet darin, daß er fuͤhlbar iſt. Die Beſchaf-
fenheit des Scheins iſt in der Optick auf das
treflichſte allbereit erklaͤret worden. Noch allge-

meiner
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0066" n="30"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweytes Capitel,</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 4.<lb/>
Jrrthum in An&#x017F;ehung des Da&#x017F;eyns eines<lb/>
Co&#x0364;rpers.</head><lb/>
          <p>Man kan &#x017F;ich aber auch durch die Augen, oder<lb/>
vielmehr durch den mit dem Ge&#x017F;ichte verknu&#x0364;pfften<lb/>
Schluß, betru&#x0364;gen la&#x017F;&#x017F;en; daß man etwas vor ei-<lb/>
nen Co&#x0364;rper und etwas <hi rendition="#fr">fu&#x0364;hlbares</hi> ha&#x0364;lt, welches<lb/>
es doch nicht i&#x017F;t. Ein gantz Einfa&#x0364;ltiger kan doch<lb/>
wohl die Per&#x017F;onen, die er im Spiegel &#x017F;iehet, vor<lb/>
wirckliche Per&#x017F;onen an&#x017F;ehen; und zu ihnen nahen<lb/>
wollen. Wenn man &#x017F;on&#x017F;ten &#x017F;o offte Ru&#x0364;&#x017F;tungen<lb/>
und Kriegsheere in der Lufft ge&#x017F;ehen hat; &#x017F;o mag<lb/>
&#x017F;olches von einer zwiefachen Wirckung der Ein-<lb/>
bildungskrafft hergeru&#x0364;hret haben, die &#x017F;ich theils<lb/>
den wahrhafften Schein anders gedichtet, als er<lb/>
an &#x017F;ich gewe&#x017F;en, theils aber, nach den nicht all-<lb/>
gemeinen Fo&#x0364;rder&#x017F;atz (§. 3.) die&#x017F;en Schein in ei-<lb/>
nen wircklichen Co&#x0364;rper verwandelt hat.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 5.<lb/>
Seyn und Schein eines Co&#x0364;rpers.</head><lb/>
          <p>Da wir nun Vor&#x017F;tellungen durch die Augen<lb/>
von Sachen haben ko&#x0364;nnen, die nicht fu&#x0364;hlbar, und<lb/>
mithin nicht Co&#x0364;rper &#x017F;ind (§. 2.); &#x017F;ondern nur ei-<lb/>
ne Wirckung anderer Co&#x0364;rper: &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir auch<lb/>
in der Vor&#x017F;tellung wircklicher Co&#x0364;rper den <hi rendition="#fr">Schein</hi><lb/>
von dem <hi rendition="#fr">Seyn</hi> unter&#x017F;cheiden. Der <hi rendition="#fr">Schein</hi> i&#x017F;t<lb/>
was uns von den Co&#x0364;rpern in die Augen fa&#x0364;llet:<lb/>
das <hi rendition="#fr">Seyn,</hi> oder die Wircklichkeit der Co&#x0364;rper be-<lb/>
&#x017F;tehet darin, daß er fu&#x0364;hlbar i&#x017F;t. Die Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit des <hi rendition="#fr">Scheins</hi> i&#x017F;t in der Optick auf das<lb/>
treflich&#x017F;te allbereit erkla&#x0364;ret worden. Noch allge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">meiner</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0066] Zweytes Capitel, §. 4. Jrrthum in Anſehung des Daſeyns eines Coͤrpers. Man kan ſich aber auch durch die Augen, oder vielmehr durch den mit dem Geſichte verknuͤpfften Schluß, betruͤgen laſſen; daß man etwas vor ei- nen Coͤrper und etwas fuͤhlbares haͤlt, welches es doch nicht iſt. Ein gantz Einfaͤltiger kan doch wohl die Perſonen, die er im Spiegel ſiehet, vor wirckliche Perſonen anſehen; und zu ihnen nahen wollen. Wenn man ſonſten ſo offte Ruͤſtungen und Kriegsheere in der Lufft geſehen hat; ſo mag ſolches von einer zwiefachen Wirckung der Ein- bildungskrafft hergeruͤhret haben, die ſich theils den wahrhafften Schein anders gedichtet, als er an ſich geweſen, theils aber, nach den nicht all- gemeinen Foͤrderſatz (§. 3.) dieſen Schein in ei- nen wircklichen Coͤrper verwandelt hat. §. 5. Seyn und Schein eines Coͤrpers. Da wir nun Vorſtellungen durch die Augen von Sachen haben koͤnnen, die nicht fuͤhlbar, und mithin nicht Coͤrper ſind (§. 2.); ſondern nur ei- ne Wirckung anderer Coͤrper: ſo muͤſſen wir auch in der Vorſtellung wircklicher Coͤrper den Schein von dem Seyn unterſcheiden. Der Schein iſt was uns von den Coͤrpern in die Augen faͤllet: das Seyn, oder die Wircklichkeit der Coͤrper be- ſtehet darin, daß er fuͤhlbar iſt. Die Beſchaf- fenheit des Scheins iſt in der Optick auf das treflichſte allbereit erklaͤret worden. Noch allge- meiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/66
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/66>, abgerufen am 19.04.2024.