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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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In dieser Stimmung bestieg er den Wagen,
welcher ihn um eine halbe Tagereise dem Ziele
näher bringen sollte. Er überdachte die letzte
Vergangenheit noch einmal; er wollte den heim¬
lichen Grund seines Trübsinnes aufsuchen. War
es etwa der letzte Brief seines Vaters, der darin
beiläufig von einer Verbindung mit einem jungen
Mädchen gesprochen, die er nicht einmal dem
Namen nach kannte? "Ich wünsche, mein Sohn,"
hatte der Vater gesagt, "ich wünsche, daß Dein
Herz sich nicht früher durch die Bande der Liebe
fesseln lassen möge, als Du das Mädchen gesehn,
welches ich Dir im Stillen als Dein treuster
Freund erwählt!" Wer mogte, wer konnte dies
sein? Wie kam der Herr Papa auch gerade jetzt
auf diesen Einfall? -- Blauenstein schloß die
Augen, er träumte sich wachend in alle diese künf¬
tigen Verhältnisse hinein, und wünschte nichts
sehnlicher, als die völlige Freiheit in Beziehung
auf die dereinstige Wahl seines Her -- --

Ich hab' einmal ein Schätzel gehabt,
Ich wollt' ich hätt' es noch! etc.
schmetterte der Postillon in sein Horn; die
Peitsche flog den abgemagerten Commissionsgaulen
um die Rippen, und der polternde Wagen durch
das düstere Thor des Städtchens Friedlingen.

In dieſer Stimmung beſtieg er den Wagen,
welcher ihn um eine halbe Tagereiſe dem Ziele
naͤher bringen ſollte. Er uͤberdachte die letzte
Vergangenheit noch einmal; er wollte den heim¬
lichen Grund ſeines Truͤbſinnes aufſuchen. War
es etwa der letzte Brief ſeines Vaters, der darin
beilaͤufig von einer Verbindung mit einem jungen
Maͤdchen geſprochen, die er nicht einmal dem
Namen nach kannte? „Ich wuͤnſche, mein Sohn,“
hatte der Vater geſagt, „ich wuͤnſche, daß Dein
Herz ſich nicht fruͤher durch die Bande der Liebe
feſſeln laſſen moͤge, als Du das Maͤdchen geſehn,
welches ich Dir im Stillen als Dein treuſter
Freund erwaͤhlt!“ Wer mogte, wer konnte dies
ſein? Wie kam der Herr Papa auch gerade jetzt
auf dieſen Einfall? — Blauenſtein ſchloß die
Augen, er traͤumte ſich wachend in alle dieſe kuͤnf¬
tigen Verhaͤltniſſe hinein, und wuͤnſchte nichts
ſehnlicher, als die voͤllige Freiheit in Beziehung
auf die dereinſtige Wahl ſeines Her — —

Ich hab' einmal ein Schaͤtzel gehabt,
Ich wollt' ich haͤtt' es noch! ꝛc.
ſchmetterte der Poſtillon in ſein Horn; die
Peitſche flog den abgemagerten Commiſſionsgaulen
um die Rippen, und der polternde Wagen durch
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[4/0010] In dieſer Stimmung beſtieg er den Wagen, welcher ihn um eine halbe Tagereiſe dem Ziele naͤher bringen ſollte. Er uͤberdachte die letzte Vergangenheit noch einmal; er wollte den heim¬ lichen Grund ſeines Truͤbſinnes aufſuchen. War es etwa der letzte Brief ſeines Vaters, der darin beilaͤufig von einer Verbindung mit einem jungen Maͤdchen geſprochen, die er nicht einmal dem Namen nach kannte? „Ich wuͤnſche, mein Sohn,“ hatte der Vater geſagt, „ich wuͤnſche, daß Dein Herz ſich nicht fruͤher durch die Bande der Liebe feſſeln laſſen moͤge, als Du das Maͤdchen geſehn, welches ich Dir im Stillen als Dein treuſter Freund erwaͤhlt!“ Wer mogte, wer konnte dies ſein? Wie kam der Herr Papa auch gerade jetzt auf dieſen Einfall? — Blauenſtein ſchloß die Augen, er traͤumte ſich wachend in alle dieſe kuͤnf¬ tigen Verhaͤltniſſe hinein, und wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als die voͤllige Freiheit in Beziehung auf die dereinſtige Wahl ſeines Her — — Ich hab' einmal ein Schaͤtzel gehabt, Ich wollt' ich haͤtt' es noch! ꝛc. ſchmetterte der Poſtillon in ſein Horn; die Peitſche flog den abgemagerten Commiſſionsgaulen um die Rippen, und der polternde Wagen durch das duͤſtere Thor des Staͤdtchens Friedlingen.

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/10>, abgerufen am 28.03.2024.