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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Wir behaupten dagegen: der Krieg ist Nichts als eine
Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer
Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um
damit zugleich zu behaupten daß dieser politische Verkehr
durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas ganz
Anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen
fortbesteht, wie auch die Mittel gestaltet sein mögen deren
er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die
kriegerischen Ereignisse fortlaufen und gebunden sind,
nur seine Lineamente sind, die sich zwischen den Krieg
durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie wäre es
anders denkbar? Hören denn mit den diplomatischen
Noten je die politischen Verhältnisse verschiedener Völker und
Regierungen auf? Ist nicht der Krieg bloß eine andere Art
von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich
seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik.

Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen
Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung
irgendwo geschieht, werden gewissermaßen alle Fäden des
Verhältnisses zerrissen und es entsteht ein sinn- und zweck-
loses Ding.

Diese Vorstellungsart würde selbst dann unentbehrlich
sein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene
Element der Feindschaft wäre, denn alle die Gegenstände,
auf welchen er ruht und die seine Hauptrichtungen bestim-
men: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderseitige
Bundesgenossen, gegenseitiger Volks- und Regierungscha-
rakter u. s. w., wie wir sie im ersten Kapitel des ersten
Buches aufgezählt haben, sind sie nicht politischer Natur
und hängen sie nicht mit dem ganzen politischen Verkehr
so genau zusammen daß es unmöglich ist sie davon zu
trennen? -- Aber diese Vorstellungsart wird doppelt unent-

Wir behaupten dagegen: der Krieg iſt Nichts als eine
Fortſetzung des politiſchen Verkehrs mit Einmiſchung anderer
Mittel. Wir ſagen mit Einmiſchung anderer Mittel, um
damit zugleich zu behaupten daß dieſer politiſche Verkehr
durch den Krieg ſelbſt nicht aufhoͤrt, nicht in etwas ganz
Anderes verwandelt wird, ſondern daß er in ſeinem Weſen
fortbeſteht, wie auch die Mittel geſtaltet ſein moͤgen deren
er ſich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die
kriegeriſchen Ereigniſſe fortlaufen und gebunden ſind,
nur ſeine Lineamente ſind, die ſich zwiſchen den Krieg
durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie waͤre es
anders denkbar? Hoͤren denn mit den diplomatiſchen
Noten je die politiſchen Verhaͤltniſſe verſchiedener Voͤlker und
Regierungen auf? Iſt nicht der Krieg bloß eine andere Art
von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich
ſeine eigene Grammatik, aber nicht ſeine eigene Logik.

Hiernach kann der Krieg niemals von dem politiſchen
Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung
irgendwo geſchieht, werden gewiſſermaßen alle Faͤden des
Verhaͤltniſſes zerriſſen und es entſteht ein ſinn- und zweck-
loſes Ding.

Dieſe Vorſtellungsart wuͤrde ſelbſt dann unentbehrlich
ſein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene
Element der Feindſchaft waͤre, denn alle die Gegenſtaͤnde,
auf welchen er ruht und die ſeine Hauptrichtungen beſtim-
men: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderſeitige
Bundesgenoſſen, gegenſeitiger Volks- und Regierungscha-
rakter u. ſ. w., wie wir ſie im erſten Kapitel des erſten
Buches aufgezaͤhlt haben, ſind ſie nicht politiſcher Natur
und haͤngen ſie nicht mit dem ganzen politiſchen Verkehr
ſo genau zuſammen daß es unmoͤglich iſt ſie davon zu
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[140/0154] Wir behaupten dagegen: der Krieg iſt Nichts als eine Fortſetzung des politiſchen Verkehrs mit Einmiſchung anderer Mittel. Wir ſagen mit Einmiſchung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten daß dieſer politiſche Verkehr durch den Krieg ſelbſt nicht aufhoͤrt, nicht in etwas ganz Anderes verwandelt wird, ſondern daß er in ſeinem Weſen fortbeſteht, wie auch die Mittel geſtaltet ſein moͤgen deren er ſich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegeriſchen Ereigniſſe fortlaufen und gebunden ſind, nur ſeine Lineamente ſind, die ſich zwiſchen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie waͤre es anders denkbar? Hoͤren denn mit den diplomatiſchen Noten je die politiſchen Verhaͤltniſſe verſchiedener Voͤlker und Regierungen auf? Iſt nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich ſeine eigene Grammatik, aber nicht ſeine eigene Logik. Hiernach kann der Krieg niemals von dem politiſchen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geſchieht, werden gewiſſermaßen alle Faͤden des Verhaͤltniſſes zerriſſen und es entſteht ein ſinn- und zweck- loſes Ding. Dieſe Vorſtellungsart wuͤrde ſelbſt dann unentbehrlich ſein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene Element der Feindſchaft waͤre, denn alle die Gegenſtaͤnde, auf welchen er ruht und die ſeine Hauptrichtungen beſtim- men: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderſeitige Bundesgenoſſen, gegenſeitiger Volks- und Regierungscha- rakter u. ſ. w., wie wir ſie im erſten Kapitel des erſten Buches aufgezaͤhlt haben, ſind ſie nicht politiſcher Natur und haͤngen ſie nicht mit dem ganzen politiſchen Verkehr ſo genau zuſammen daß es unmoͤglich iſt ſie davon zu trennen? — Aber dieſe Vorſtellungsart wird doppelt unent-

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/154>, abgerufen am 29.03.2024.