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Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Nur wenn die Politik sich zu einer richtigen Würdi-
gung der in Frankreich erwachten Kräfte und der in der
Politik Europas neuentstehenden Verhältnisse erhob, konnte
sie das Resultat vorhersehen, welches für die großen Li-
neamente des Krieges daraus entstehen würde, und nur
auf diese Weise auf den nothwendigen Umfang der Mittel
und die Wahl der besten Wege geführt werden.

Man kann also sagen: die zwanzigjährigen Siege der
Revolution sind hauptsächlich die Folge der fehlerhaften
Politik der ihr gegenüberstehenden Regierungen.

Freilich haben sich diese Fehler erst innerhalb des
Krieges offenbart, und die Erscheinungen desselben haben
den Erwartungen, welche die Politik hatte, völlig wider-
sprochen. Dies ist aber nicht deshalb geschehen, weil die Politik
versäumt hatte sich bei der Kriegskunst Raths zu erholen.
Diejenige Kriegskunst, an welche ein Politiker glauben
konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik
der Zeit zugehörige, das ihr wohlbekannte Instrument
dessen sie sich bis dahin bedient hatte, diese Kriegskunst,
sage ich, war natürlich in dem Irrthum der Politik mit-
befangen und konnte sie darum nicht eines Besseren
belehren. Es ist wahr, auch der Krieg selbst hat in seinem
Wesen und in seinen Formen bedeutende Veränderungen
erlitten, die ihn seiner absoluten Gestalt näher gebracht
haben; aber diese Veränderungen sind nicht dadurch ent-
standen daß die französische Regierung gewissermaßen eman-
cipirt, vom Gängelbande der Politik losgelassen hätte,
sondern sie sind aus der veränderten Politik entstanden,
welche aus der französischen Revolution sowohl für
Frankreich als für ganz Europa hervorgegangen ist.
Diese Politik hatte andere Mittel, andere Kräfte auf-
geboten und dadurch eine Energie der Kriegführung

Nur wenn die Politik ſich zu einer richtigen Wuͤrdi-
gung der in Frankreich erwachten Kraͤfte und der in der
Politik Europas neuentſtehenden Verhaͤltniſſe erhob, konnte
ſie das Reſultat vorherſehen, welches fuͤr die großen Li-
neamente des Krieges daraus entſtehen wuͤrde, und nur
auf dieſe Weiſe auf den nothwendigen Umfang der Mittel
und die Wahl der beſten Wege gefuͤhrt werden.

Man kann alſo ſagen: die zwanzigjaͤhrigen Siege der
Revolution ſind hauptſaͤchlich die Folge der fehlerhaften
Politik der ihr gegenuͤberſtehenden Regierungen.

Freilich haben ſich dieſe Fehler erſt innerhalb des
Krieges offenbart, und die Erſcheinungen deſſelben haben
den Erwartungen, welche die Politik hatte, voͤllig wider-
ſprochen. Dies iſt aber nicht deshalb geſchehen, weil die Politik
verſaͤumt hatte ſich bei der Kriegskunſt Raths zu erholen.
Diejenige Kriegskunſt, an welche ein Politiker glauben
konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik
der Zeit zugehoͤrige, das ihr wohlbekannte Inſtrument
deſſen ſie ſich bis dahin bedient hatte, dieſe Kriegskunſt,
ſage ich, war natuͤrlich in dem Irrthum der Politik mit-
befangen und konnte ſie darum nicht eines Beſſeren
belehren. Es iſt wahr, auch der Krieg ſelbſt hat in ſeinem
Weſen und in ſeinen Formen bedeutende Veraͤnderungen
erlitten, die ihn ſeiner abſoluten Geſtalt naͤher gebracht
haben; aber dieſe Veraͤnderungen ſind nicht dadurch ent-
ſtanden daß die franzoͤſiſche Regierung gewiſſermaßen eman-
cipirt, vom Gaͤngelbande der Politik losgelaſſen haͤtte,
ſondern ſie ſind aus der veraͤnderten Politik entſtanden,
welche aus der franzoͤſiſchen Revolution ſowohl fuͤr
Frankreich als fuͤr ganz Europa hervorgegangen iſt.
Dieſe Politik hatte andere Mittel, andere Kraͤfte auf-
geboten und dadurch eine Energie der Kriegfuͤhrung

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[149/0163] Nur wenn die Politik ſich zu einer richtigen Wuͤrdi- gung der in Frankreich erwachten Kraͤfte und der in der Politik Europas neuentſtehenden Verhaͤltniſſe erhob, konnte ſie das Reſultat vorherſehen, welches fuͤr die großen Li- neamente des Krieges daraus entſtehen wuͤrde, und nur auf dieſe Weiſe auf den nothwendigen Umfang der Mittel und die Wahl der beſten Wege gefuͤhrt werden. Man kann alſo ſagen: die zwanzigjaͤhrigen Siege der Revolution ſind hauptſaͤchlich die Folge der fehlerhaften Politik der ihr gegenuͤberſtehenden Regierungen. Freilich haben ſich dieſe Fehler erſt innerhalb des Krieges offenbart, und die Erſcheinungen deſſelben haben den Erwartungen, welche die Politik hatte, voͤllig wider- ſprochen. Dies iſt aber nicht deshalb geſchehen, weil die Politik verſaͤumt hatte ſich bei der Kriegskunſt Raths zu erholen. Diejenige Kriegskunſt, an welche ein Politiker glauben konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik der Zeit zugehoͤrige, das ihr wohlbekannte Inſtrument deſſen ſie ſich bis dahin bedient hatte, dieſe Kriegskunſt, ſage ich, war natuͤrlich in dem Irrthum der Politik mit- befangen und konnte ſie darum nicht eines Beſſeren belehren. Es iſt wahr, auch der Krieg ſelbſt hat in ſeinem Weſen und in ſeinen Formen bedeutende Veraͤnderungen erlitten, die ihn ſeiner abſoluten Geſtalt naͤher gebracht haben; aber dieſe Veraͤnderungen ſind nicht dadurch ent- ſtanden daß die franzoͤſiſche Regierung gewiſſermaßen eman- cipirt, vom Gaͤngelbande der Politik losgelaſſen haͤtte, ſondern ſie ſind aus der veraͤnderten Politik entſtanden, welche aus der franzoͤſiſchen Revolution ſowohl fuͤr Frankreich als fuͤr ganz Europa hervorgegangen iſt. Dieſe Politik hatte andere Mittel, andere Kraͤfte auf- geboten und dadurch eine Energie der Kriegfuͤhrung

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Zitationshilfe: Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/163>, abgerufen am 28.03.2024.